Winterberg/Hochsauerlandkreis. Mit schockierenden Beleidigungen wird die Sauerlandpraxis in Winterberg von Querdenkern angegangen. Die Praxis ist erschüttert – und wehrt sich.

Die Sauerlandpraxis in Winterberg ist in den Fokus von Querdenkern geraten. Im Internet und im Postfach der Praxis sammeln sich zusehends beleidigende Nachrichten bis hin zu Nazi-Vergleichen. Tim-Henning Förster bestätigt, dass schon Anzeigen ausgesprochen wurden und zeigt sich besorgt um seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch der Hochsauerlandkreis erhält regelmäßig Beleidigungen oder negative Kommentare im Netz. Dabei dreht sich alles um die Corona-Schutzimpfung.

Eine Herausforderung nach der anderen für die Praxen

Die Arztpraxen stemmen seit Pandemie-Beginn eine Herausforderung nach der anderen. Erst mussten sie die zahlreichen infizierten Corona-Patienten versorgen, eine Teststruktur vorhalten und den Infektionsschutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sichern. Seit es einen Impfstoff gibt, kämpfen die niedergelassenen Ärzte an vorderster Front gegen das tödliche Virus. Schon vor einiger Zeit hatte Tim-Henning Förster davon gesprochen, dass seine Mitarbeiterinnen erschöpft seien von der Herkulesaufgabe. Doch jetzt kommen neben der Organisation der Dritt-Impfungen andere Sorgen hinzu: „Die anstehende Aufgabe werden wir im Team stemmen können, größere Sorge bereiten mir die wenigen Menschen, die aggressiv und weit unter der Gürtellinie gegen die impfenden Praxen und Teams pöbeln. Unser Team arbeitet seit anderthalb Jahren am Limit, wenn wir jetzt als Mörder oder Nazi-Ärzte bezeichnet werden, geht das an der realen Situation vorbei.“

Viele beleidigende Antworten auf einen Tweet

Eine E-Mail an die Sauerlandpraxis vom 6. August liest sich in etwa so: „Eure Ärzte die Kinder impfen, mit dieser Nazibrühe, hätten auch Experimente an KZ Insassen vorgenommen! Ihr werdet alle vor einen Tribunal enden! Ihr seid Team Mengele! Adolf wäre stolz auf euch!“ Auf Twitter wird die Praxis, die dort unter @Sauerlandpraxis aktiv ist, immer wieder angegangen. „Die spritzen das ungeprüfte Zeug prahlend Kindern, die es infektiologisch nicht brauchen, da sind Vorwürfe ja wohl mehr als angebracht“, heißt es. Allein unter einem Tweet vom 5. August häufen sich die negativen Kommentare. So twitterte die Praxis: „Neuer Rekord, meine jüngste, geimpfte Patientin, 12 Jahre und einen Tag, es war total schön, wie sich die junge Dame über die Impfung gefreut hat.“ Über 100 Kommentare folgen. „Nun, dann erinnert sie sich hoffentlich bei Unfruchtbarkeit und Autoimmunerkrankungen, wer Ihr das ohne angemessene Aufklärung angetan hat … Können Sie morgens noch in den Spiegel schauen??“ „Haben Sie nicht mehr alle Latten am Zaun?“ Selbst vor Vergleichen zum KZ-Arzt Mengele wird nicht Halt gemacht, der skrupellose, menschenverachtende Experimente an Häftlingen vornahm: „Sie stehen für mich auf dem gleichen rücksichtslosen Niveau wie Mengele“, heißt es in etwa.

Die Anonymität des Internets lässt Hemmungen sinken

„Tja, leider kein schönes Thema“, sagt Tim-Henning Förster „In der Anonymität des Internets und der Social Media Auftritte kommen solche verbalen Entgleisungen, die sich weit jenseits einer vernünftigen Erziehung bewegen, deutlich häufiger vor, als in der täglichen Praxis.“ In der Praxis würden zwar auch mal direkte Worte fallen, wenn es zu langen Wartezeiten komme oder die Terminvergabe nicht nachvollziehbar erscheine. Die üblen Beleidigungen kommen per Mail oder Twitter. „Deutlich zunehmend seitdem wir auch 12- bis 15-Jährige impfen. Ich hoffe, ich muss nicht betonen, dass bei uns natürlich niemand gegen seinen und den Willen der Eltern geimpft wird, selbstverständlich nach ausführlicher, individueller Aufklärung“, sagt Tim-Henning Förster.

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Vergleiche mit einem Nazi-Arzt sind „sehr harter Tobak“, sagt der Mediziner. Er erstattet Anzeige für diese Art der Beleidigungen, gibt die Nachrichten und Tweets auch an die Kriminalpolizei weiter. „Die besonders bösen Fälle werden dann wohl an den Staatsschutz weitergegeben“, mutmaßt er.

Mitarbeiter tief erschüttert

Seine Mitarbeiter sind durch solche Aussagen tief erschüttert, teilweise beunruhigt. „Die Frage nach der Herkunft solcher Gedanken stelle ich mir auch, was treibt jemanden an, solchen Quatsch zu schreiben? Ein kleiner Teil der Gesellschaft verliert sich in den Untiefen des Internets, ist empfänglich für jegliche Verschwörungstheorien, teilweise auch getriggert durch wenige klangvolle universitäre Namen, welche diese charakterschwachen Personen anstacheln und zu solchen Äußerungen treiben“, so Förster.

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Martin Reuther, Pressesprecher des HSK, bestätigt, dass zwar auch beim Kreis und im Impfzentrum mal beleidigende oder negative Kommentare und Nachrichten eingehen. „Das hält sich aber in Grenzen. Bei uns sind es vornehmlich die Facebook-Kommentare. Dort werden die meisten schon von der großen Mehrheit gemaßregelt, wenn es zu negativen Beleidigungen kommt. Und in öffentlichen Kommentaren sind die Hemmungen ohnehin größer.“ Mit Nazi-Vergleichen seien sie aber bisher nicht konfrontiert worden.

Auch positive Rückmeldungen erreichen die Mediziner

Wie macht eine Praxis weiter, ohnehin schon am Limit, erschöpft und mit solchen Attacken konfrontiert? „Von solchen Quertreibern werden wir uns nicht beeinflussen lassen, wir werden die Impfungen weiter in den Alltag integrieren und natürlich auch die dritten Impfungen durchführen. Wer impfende Ärzte mit Nazi-Ärzten vergleicht, hat sich sicher nie selbst mit den zurückliegenden dunklen Kapiteln der deutschen Geschichte beschäftigt, geschweige denn mit den positiven Effekten von Impfungen.“

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Es sammeln sich nicht nur negative Kommentare unter dem Tweet der Sauerlandpraxis, der eigentlich doch eine Stolz-Nachricht werden sollte. So schreibt jemand dann auch: „Was zur Hölle ist unter diesem Tweet los? Aber alle Querdenker würden mich vermutlich auch als schlechte Mutter sehen. Ich würde mein Kind nämlich auch Impfen lassen, wenn ich eins hätte. @Sauerlandpraxis danke für den Einsatz, den Sie zeigen!“