Hochsauerlandkreis. Ulrike Mikitta arbeitet in der Corona-Kontaktverfolgung des HSK. Der Job ist hart. Die Mitarbeiter gehen an Grenzen. Die Schicksale berühren sie:

Ulrike Mikitta findet in jedem Tatort den Mörder. Das sagt sie mit einem Lachen. Die Hygienekontrolleurin arbeitet in der Kontaktverfolgung des Hochsauerlandkreises. Es ist ihr Job, während der Corona-Pandemie Infizierte und ihre Kontaktpersonen anzurufen und die Quarantäne auszusprechen. Ein Job, der ein bisschen Detektivarbeit erfordert. Der jeden Tag anders läuft, der sie fordert und dem sie noch immer mit Humor zu begegnen scheint.

+++ Wie hat die Pandemie unser Leben und unseren Alltag veränder? Machen Sie mit bei unserem großen Corona-Check für den Altkreis Brilon unter www.wp.de/Corona-Check+++

Am 7. März wird der erste Corona-Fall im Hochsauerlandkreis bekannt. Zuvor hat Ulrike Mikitta Indexfälle bearbeitet. Sie ist Hygienekontrolleurin. Verfolgt Ausbrüche von Windpocken oder Salmonellen. Begeht Seniorenheime und prüft die Hygieneumsetzung dort. Corona sei erst schleichend in den Hochsauerlandkreis gekommen. „Dann wie eine Welle“, sagt sie. Jetzt besteht ihr Arbeitstag zu 98 Prozent aus Pandemie-Management. „Corona bestimmt unseren Tag.“ Manchmal kann sie nicht mehr abschalten. Wacht auf und denkt an die Arbeit. Daran, was am nächsten Tag passieren wird. „Jeder Fall ist wie eine Wundertüte“, sagt sie und lacht – trotzdem.

Auch interessant

Programm, in dem die Infektionen gespeichert werden

Um sieben Uhr beginnt ihr Arbeitstag. Sie kommt ins Büro, checkt die Mails. Dann öffnet sie das Programm, in dem die Infektionen gespeichert werden und zieht sich den ersten Fall. Weitere Hygienekontrolleure arbeiten mit ihr zusammen an den Corona-Fällen. Seit dem Sommer unterstützt sie auch die Bundeswehr.

„Ich bin als Ansprechpartnerin mittlerweile sehr bekannt. Wenn die Menschen ans Telefon gehen und meinen Namen hören, dann würden sie wohl am liebsten wieder auflegen“, sagt Ulrike Mikitta. Lacht wieder. Viele würden sehr verständig reagieren. Manche gereizter, gerade wenn es sich nicht um Infektionen sondern um einen Kontakt mit einem Erkrankten handele. Manche verzweifeln. „Durch die Corona-App wissen die meisten Menschen schon vor uns, dass sie positiv sind. Manchmal rufe ich dann an und die Menschen sind nur am weinen.“ Sie versucht, zu beruhigen. Zu trösten. Sie sagt auch: „Wer einen Abstrich macht, der muss damit rechnen, dass er positiv ist.“ Viele seien dann auch schon informiert und vorbereitet. Sie wissen, Ulrike Mikitta verhängt jetzt die Quarantäne. Beschimpft werde sie kaum, nur ein kleiner Teil der Menschen reagiere aggressiv auf ihren Anruf. Viele bedanken sich am Ende des Gesprächs bei ihr. Sie sagt: „Dann sage ich immer, dass sich niemand bedanken muss. Ich würde doch auch gerne etwas anderes am Telefon sagen.“

Auch interessant

Schicksale nach dem Aussprechen der Quarantäne

Die Schicksale nach dem Aussprechen der Quarantäne beschäftigen sie. Da ist ein Teenager, der nicht zur Fahrschule oder zur Abiprüfung gehen kann. Da ist auch ein Angehöriger, der während der Beerdigung des Familienmitglieds in Quarantäne verbleiben muss. „Da muss ich mir manchmal selbst die Tränen verkneifen. Das nimmt mich psychisch mit“, sagt Ulrike Mikitta ganz ehrlich. „Das ganze geht einem näher als eine Windpocke.“ Sie meint damit auch die Todesfälle. Langzeitfolgen. „Ich kenne jemanden, der seit acht Monaten im Rollstuhl sitzt – wegen Corona.“ Sie bekommt die Möglichkeit zur Supervision. Unterhält sich auch mit den Kollegen. „Wir wissen alle, dass wir in ein großes Loch fallen werden, wenn diese Pandemie beendet ist“, sagt sie. Von Hundert auf null.

Beruf hat eine neue Wertung erhalten

Auf die Pandemie wurden Ulrike Mikitta und ihre Kollegen schon in der Ausbildung vorbereitet. „Wir sind spezifisch auf eine Pandemie vorbereitet worden. Und als das alles angefangen hat war das für uns natürlich spannend, weil niemand damit gerechnet hat, dass wir eine Pandemie erleben werden.“ Mit Ausbrüchen habe sie zwar schon immer zu tun – „Es gibt immer irgendwo einen Norovirus-Ausbruch“ – diese Pandemie sei aber für alle neu. Je ernster die Situation allerdings geworden sei, desto mehr habe diese Ausbildung an Gewicht erhalten. „Vor März 2020 hat jeder von Hygienekontrolleuren gedacht, dass sie Restaurant überprüfe – was nicht einmal stimmt. Jetzt ist das Gesundheitsamt ständig in Presse und Fernsehen. Unser Beruf hat eine neue Wertung erhalten.“ Sie ärgert, dass bei Facebook und Co. so oft auf das Gesundheitsamt geschimpft werde. „Viele bemängeln, der Inzidenz-Wert sei so hoch, weil wir schlecht arbeiten. Dabei ist er hoch, weil wir so gut arbeiten und viele Menschen zum Abstrich schicken.“

Auch interessant

Für sie ist es wichtig, dass die Menschlichkeit nicht auf der Strecke bleibt. „Wir wissen nie, wie ein Kontakt vorher verläuft.“ Schwierig für sie wird es, wenn die Menschen dicht halten. Wenn es eine Geburtstagsfeier gibt, über die niemand reden will. „Das ist meistens das Problem, wenn es um Ausbrüche wie den in Brilon geht. Die Leute wollen dicht halten.“ Ein bisschen wird Ulrike Mikitta dann zu einer Detektivin. Den Nachnamen hat sie vielleicht schon mal gehört – und war der nicht auch bei dem zum Kaffeetrinken? „Wir erkennen die Zusammenhänge“, sagt sie. „Detektivarbeit ist das.“