Brilon. Zwei Frauen aus Brilon, die kranke Angehörige pflegen, berichten über neue Ängste – und mehr Einsamkeit, die das Coronavirus in ihr Leben bringt.

Vor zwei Wochen haben Carina Jarosz-Brüggemann und Katja Filbry aus Brilon in der Westfalenpost über die Pflege ihrer Angehörigen gesprochen. Jetzt hat das Coronavirus Deutschland und den Alltag eines jeden Menschen fest im Griff. Und die beiden Frauen aus Brilon stehen vor einer neuen Herausforderung.

Carina Jarosz-Brüggemann

„Wie es mir geht? Schon scheiße“, sagt Carina Jarosz-Brüggemann ehrlich am Telefon. Sie spricht über die Freisprechanlage im Auto, ist wieder unterwegs. Sie pendelt zwischen Brilon, Marsberg und Rüthen hin und her. In Marsberg arbeitet sie im Nachtdienst in der LWL-Klinik, in Rüthen pflegt sie ihre 67-jährige Mutter, die Krebs hat. Die ein Bein wegen eines Gefäßverschlusses verloren hat.

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Die jetzt eine Risikopatientin ist, wenn man übers Coronavirus spricht. „Ich habe meine Mama noch nie so ängstlich erlebt. Sie hält sich sonst so gut, aber die Medien und alles, was darin über Corona berichtet wird, machen ihr zu schaffen“, sagt Carina Jarosz-Brüggemann. Sie pflegt ihre Mutter weiter, trotz der neuen Situation.

Carina Jarosz Brüggemann aus Brilon pflegt schon seit einigen Jahren ihre Mutter.
Carina Jarosz Brüggemann aus Brilon pflegt schon seit einigen Jahren ihre Mutter. © WP | Jana Naima Schopper

Im Flur vor der Wohnungstür ihrer Mutter steht jetzt ein Regal mit Handschuhen, Mundschutz und Desinfektionsmittel. Das soll auch die Caritas oder die Physiotherapeutin benutzen, wenn sie zur Pflege vorbeikommt. „Das machen die auch. Die vermummen sich komplett. Die sind froh, dass ich das Material stelle.“ Probleme beim Kauf von Schutzkleidung hatte Carina Jarosz-Brüggemann bisher nicht. Ihre Mutter sei seit jeher mit Schutzkleidung versorgt worden – viel geändert habe sich durch das Coronavirus daher nicht. Da sie schon immer sehr hygieneaffin gewesen sei, würde ihr auch die zusätzliche Desinfektion nichts ausmachen.

Körperliche Nähe fehlt

„Oft haben mich die Leute ausgelacht, weil ich so übertreibe. Ich sehe das jetzt als eine starke Fähigkeit.“ Nur der Körperkontakt fehlt. Carina Jarosz-Brüggemanns kleine Schwester wohnt mit der Mama im Haus. Sie hat vier Kinder, die jetzt nicht mehr rüber zu Oma dürfen. „Meine Mama hat sich immer gekümmert. Hat mit den Kindern Hausaufgaben gemacht, ihnen vorgelesen. Das fehlt den Kindern, aber auch meiner Mama sehr. Und auch meiner Schwester, denn das war ja eine große Hilfe für sie.“

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Einmal hat ihre Mama in der Küche gesessen und geweint. Sie hat Angst, die ihre Tochter ihr nicht nehmen kann. Und für Carina Jarosz-Brüggemann war das Schlimmste daran, ihre Mutter nicht umarmen zu können. „Ich habe gesagt: Fühl dich gedrückt. Ich werde dann so hart, aber innerlich würde ich sie am liebsten kuscheln und trösten.“

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Sie selbst war erst vor kurzem krank. 20 Tage konnte sie ihre Mutter nicht sehen, ihr keinen Kuss geben. „Ich hätte mir gewünscht, dass sie mich mal getestet hätten. Dann hätte ich vielleicht nicht so lange von Mama wegbleiben müssen.“ In dieser Zeit habe sie ihre Familie aufs höchste Niveau geschützt – sich aber nur gewünscht, endlich Klarheit zu haben. „Mit einem normalen Schnupfen hätte ich auch arbeiten gehen können. Ich als Pflegekraft werde sowieso gebraucht.“

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Sie hätte am liebsten einen Schnelltest. Einen, der ihr sagt, dass heute ein Coronafreier Tag ist und sie ohne Risiko zu ihrer Mama kann. Die Chemotherapie ihrer Mutter pausiert gerade. Nicht wegen des Virus, sondern weil die Nebenwirkungen so stark sind. Weil die Laborwerte schlechter werden. Die Pause soll das Immunsystem stärken. Auch eine Grippeimpfung wurde vorsichtshalber noch einmal nachgeholt. Für eine Impfung gegen Pneumokokken steht ihre Mutter auf der Warteliste. „Besuch ist so wichtig für die Genesung von Patienten. Wenn die Sozialkontakte komplett wegbrechen, weiß ich, dass meine Mama lieber tot wäre“, sagt Carina Jarosz-Brüggemann.

Katja Filbry

Katja Filbry lacht am Telefon etwas verhalten, wenn sie über ihre Situation spricht. Sie pflegt ihren Mann Frank, der Krebs hat – schon zum zweiten Mal. Es ist eine schwierige Situation. Zuhause pflegt sie ihren Mann und kümmert sich um die Kinder, für ihre Arbeit bei der Caritas fährt sie Versorgungstouren, hat viel Kontakt zu anderen Menschen. „Mein Chef kommt mir aber sehr entgegen, denn er sagt, dass Kollegen sofort übernehmen, sollte einer unserer Patienten Symptome zeigen.“ Zu gefährlich wäre das Virus sonst für ihren Mann.

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Finanzielle Probleme

Mit der Arbeit aufhören, unbezahlten Urlaub nehmen – nur zur Sicherheit – geht nicht. Zu wichtig ist ihr Job. Nicht nur für die Menschen, die sie pflegt, sondern auch für ihre Familie. Sie kann sich unbezahlten Urlaub nicht leisten. Durch die Krankheit ihres Mannes muss sich die Familie finanziell stark einschränken, ein Auto wurde schon verkauft, das Haus steht auf der Kippe. „Also arbeite ich weiter – ich bin ja auch geschützt, wenn ich pflege“, sagt Katja Filbry. Sie will positiv bleiben. Für ihre Patienten, aber auch für ihren Mann.

Katja Filbry mit ihrem Mann Frank.
Katja Filbry mit ihrem Mann Frank. © WP | Privat

„Bei uns hat sich die Lage nun auch etwas verändert. Seine Chemotherapie wurde ausgesetzt, erstmal für drei Monate. Im Schreiben stand, dass er sich erholen soll. Dass seine Organe sich etwas erholen müssen. Ich glaube aber, dass es vielleicht am Coronavirus liegen könnte“, überlegt sie. Richard Bornkeßel, Pressesprecher des St. Walburga-Klinikums, widerspricht dieser Mutmaßung auf WP-Anfrage: „In der Klinik für Hämatologie, Onkologie, Palliativmedizin und Stammzelltransplantation am Standort St. Walburga-Krankenhaus in Meschede werden alle medizinisch notwendigen Chemo- und Antikörpertherapien weiterhin angeboten und durchgeführt.“ Zudem verweist er darauf, dass Coronafälle in den Kliniken in Brilon und Neheim gebündelt würden, um den Betrieb in anderen Kliniken aufrecht zu erhalten – ohne einen potenziellen Kontakt zu Infizierten.

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Dass Katja Filbry diesen Zusammenhang sieht, ist verständlich. Sie ist umgeben von Angst vor dem Coronavirus, sei es daheim oder bei den Patienten. Oft müsse sie trösten, wenn sie bei ihren Versorgungsfahrten auf die Patienten trifft. „Die sind den ganzen Tag allein, niemand darf Besuch bekommen und die meisten haben Angst.“ Sie versucht dann, sie zu beruhigen. Vielleicht auch sich selbst.