Brilon. Carina Jarosz Brüggemann aus Brilon pflegt ihre Mutter. Sie hat Krebs und ihr wurde ein Bein amputiert. Die Familie rückt zusammen - und wie.

Carina Jarosz Brüggemann pflegt ihre Freundschaften im Auto. Wenn sie unterwegs ist und von Brilon nach Marsberg, von Marsberg nach Rüthen und von Rüthen nach Lippstadt pendelt – manchmal alles an einem Tag – dann ruft sie über die Freisprechanlage ihre Freundinnen an. Zum Quatschen. Hören, wie es der anderen geht. Sehen tut sie ihre Freundinnen sehr selten.

„Ich hab eine Freundin, die auch in Brilon wohnt. Aber die sehe ich eigentlich nie. Wir hören uns nur über Whatsapp.“ Carina Jarosz Brüggemann hat nicht viel Zeit für einen Kaffee am Esstisch zusammen mit Freundinnen. Sie arbeitet als Krankenschwester im LWL-Klinikum Marsberg, hat einen Mann und zwei Söhne – 11 und 7 Jahre alt. Und sie pflegt ihre Mutter. Jeden Tag.

Adelheid Jarosz’ Bein wird kalt und weiß

Es ist drei Jahre her und gerade Sommer, als Adelheid Jarosz’ Bein kalt und weiß wird. Sie und ihre Tochter Carina Jarosz Brüggemann fahren nach Lippstadt in die Gefäßchirurgie. Der Arzt sieht es sofort an den Blutwerten: sie hat Krebs. „Erst wurde ihr das Bein amputiert, dann ging es weiter auf die nächste Station: Onkologie“, erinnert sich Carina Jarosz Brüggemann.

Aktionstag rückt Leistung in den Fokus

Der Equal Care Day ist ein Aktionstag, der am 29. Februar stattfindet. Er ist extra auf diesen Tag gelegt worden, um darauf aufmerksam zu machen, dass Frauen viermal so viel unbezahlte Arbeit leisten wie Männer.

Die Website zum Aktionstag erklärt es folgendermaßen: „Der Equal Care Day ist eine Initiative, die Menschen, Organisationen und Institutionen international dazu aufruft, einen Aktionstag zu organisieren und zu feiern, der auf die mangelnde Wertschätzung und unfaire Verteilung von Care-Arbeit aufmerksam macht.“

So schrieb der Spiegel erst vor wenigen Tagen, dass Frauen einen deutlich höheren Anteil an unbezahlter Arbeit leisten würden, als Männer – selbst wenn sie erwerbstätig seien und sogar wenn sie Vollzeit arbeiten würden. So pflege jede zehnte Arbeitnehmerin und jeder dreizehnte männliche Arbeitnehmer Angehörige.

Im Durchschnitt würden pflegende Frauen mehr Zeit für die Pflege aufwenden als pflegende Männer. Die Zeit spricht in einem Artikel sogar davon, dass Frauen durchschnittlich vier Stunden am Tag unbezahlt arbeiten würden. Zum Aktionstag erzählen zwei Frauen, wie sie Arbeit, Pflege und die eigene Familie unter einen Hut bringen.

Die Ärzte zeichnen ein dramatisches Bild. „Die dachten, Mama stirbt jetzt.“ Carina Jarosz Brüggemann ist mit ihr in der Klinik. Auch ihre beiden Schwestern sind da. „Meine große Schwester ist so eine Bürotante“, sagt Carina Jarosz Brüggemann zwinkernd, „die hat alles organisatorische gemacht. E-Mails geschrieben, alles in die Wege geleitet. Meine jüngere Schwester hat so viele Kinder, damals frisch Zwillinge, sie konnte also nicht viel helfen. Ich habe das medizinische gemacht – bin zu jeder Visite gefahren. Ich habe Mama Sicherheit gegeben, dass alles so gemacht wird, wie sie es will.“

Das Wort „Mama“ ist immer besonders herzhaft

Auch interessant

Wenn Carina Jarosz Brüggemann von ihrer Mutter redet, dann betont sie das Wort „Mama“ immer besonders herzhaft. Man hört, dass sie sie bewundert. Das Gefühl hinter dem Wort steckt. „Mama ist nicht klagsam. Sie ist unfassbar, ein Phänomen und echt cool.“ Trotz des Beinverlusts verliert Adelheid Jarosz nicht den Mut. Vielleicht auch, weil ihr eigener Vater ein Bein im Krieg verlor und trotzdem Auto fuhr.

Die Zeit nach der Diagnose ist hart für die Familie. Carina Jarosz Brüggemann arbeitet 28 Stunden in drei Schichten. Fährt vor dem Spätdienst in der Klinik nach Rüthen, holt ihre Mutter ab und bringt sie nach Lippstadt. Dann zurück nach Rüthen und weiter nach Marsberg – arbeiten. Ihre Kinder und ihren Mann sieht sie nur am Morgen in dieser Zeit. „Das war nicht schön.“ Irgendwann entscheidet sie sich in die Nachtwache zu wechseln, nur noch nachts zu arbeiten und ihre Stundenzahl noch einmal zu reduzieren. Jetzt wird es einfacher.

Die Pflegezeit ist eine coole Zeit

„Es war eine harte Zeit. Aber ich habe gestern noch zu meinem Mann gesagt, dass ich alles noch einmal so machen würde“, sagt Carina Jarosz Brüggemann. Sie hilft gerne – vielleicht ist sie deswegen Krankenschwester geworden. „Wenn mich jemand anruft und Hilfe braucht, dann bin ich da.“ Die Zeit mit ihrer Mama ist keine Belastung für sie. „Es macht Spaß, Zeit mit ihr zu verbringen. Das ist eine coole Zeit.“

Auch interessant

Trotzdem ist der Verzicht groß. Fast täglich ist sie bei ihrer Mama. Kocht für einige Tage vor, wäscht die Wäsche und sorgt dafür, dass das Haus ordentlich ist. Nachmittags kommen die Kinder mit. „So hat Mama immer das Gefühl, dass sie gebraucht wird. Und das wird sie auch – sie ist die Basis, unser zentraler Punkt und Anlaufstelle.“ Ihre Freundinnen sieht sie nicht. Auch Urlaub ist nicht drin. Vor anderthalb Jahren ist sie mit der Familie für drei Wochen auf Kur gefahren – nochmal will sie das nicht machen. Dieses Jahr geht es für fünf Tage an die Ostsee. Oder in den Fort Fun, dafür haben sie eine Jahreskarte. Das reicht ihr.

Mann stärkt ihr den Rücken

Wanderungen oder Sport, Hobbys von früher, fallen aus der Zeit. Gekocht wird etwas schnelles. „Oder ich schiebe eine Pizza in den Ofen“, fügt sie achselzuckend hinzu. Fenster und Böden sind Zuhause auch nicht blitzblank. Aber Carina Jarosz Brüggemann ist das egal.

Auch interessant

„Ich vermisse nichts“, winkt sie ab. Ihr Mann stärkt ihr den Rücken. Er ist Krankenpfleger und schon ihr bester Freund, bevor sie sich verliebt haben. „Er weiß, wie ich bin und dass ich meine Bedürfnisse hinten anstelle.“

Wunsch: Mehr Unterstützung für pflegende Angehörige

Natürlich wünscht sich Carina Jarosz Brüggemann mehr Unterstützung für pflegende Angehörige. Besonders finanziell, denn pflegende Angehörige hätten nur einen Bruchteil des Geldes zur Verfügung, wie die Pflegeperson selbst. „Wir verzichten auf einen Teil unserer Rente, wenn wir unsere Stunden bei der Arbeit reduzieren. Und wenn ich meine Mama nach Lippstadt fahre, bekomme ich 10 Euro Spritgeld erstattet – der Fahrdienst bekommt 250 Euro. Aber bei mir fühlt sie sich sicher – das ist mehr wert.“ So oder so – ihre Mama pflegen würde sie immer unentgeldlich machen.

Carina Jarosz Brüggemann nickt bekräftigend und grinst. „Ich hätte die Geschichte auch anders erzählen können. Dramatisch – mit Beinverlust und Krebs und so weiter. Aber ich bin einfach nur dankbar, dass ich diese Zeit mit meiner Mama verbringen kann.“