Brilon. Besuchseinschränkungen, Werkstattschließungen, Hygienemaßnahmen - wir haben mit Caritas-Vorstand Heinz-Georg Eirund über die Lage gesprochen.
Für den Caritasverband Brilon mit 1150 Mitarbeitern und Verantwortung für 5000 Menschen in Wohnheimen, Werkstätten und sozialen Einrichtungen und Anlaufstellen, ist die aktuelle Corona-Situation natürlich eine ganz besondere Herausforderung, die viel Sensibilität erfordert.
Schließlich geht es darum, Mitarbeiter und Klienten zu schützen, aber gleichzeitig auch die sozialen und wirtschaftlichen Folgen im Auge zu behalten. Caritas-Vorstand Heinz-Georg Eirund berichtet, wie der Verband mit der Krisenlage umgeht und welche Auswirkungen das Virus auf die unterschiedlichen Einrichtungen hat.
Jede Entscheidung bringt Folgeprobleme
Die Warenkörbe in Brilon, Olsberg, Medebach und Winterberg schließen zunächst bis einschließlich 10. April. Für die Betroffenen, die auf die Versorgung über die Warenkörbe angewiesen sind, ist das ein drastischer Einschnitt. Gibt es da inzwischen Ideen, wie diese Menschen auch künftig versorgt werden können?
Heinz-Georg Eirund: Grundsätzlich kann man sagen: Jede Entscheidung oder Schließung hat natürlich Folgeprobleme. Wir haben uns zu diesem Schritt entschlossen, weil viele Ehrenamtliche, die sich dort engagieren, selbst zur Risikogruppe gehören. Diese Menschen möchten wir natürlich nicht gefährden. Wir sind aktuell noch dabei, nach möglichen Alternativen zu suchen, um diese hilfsbedürftigen Menschen auch weiterhin zu unterstützen. Ich gehe davon aus, dass es künftig mehr Einzelfallhilfen zum Beispiel in Form von Geldleistungen, Lebensmittelgutscheinen oder Fahrtkostenzuschüssen geben wird. Gleichzeitig sind aber auch die Betroffenen aufgefordert, noch sorgsamer mit den Ressourcen umzugehen, die sie zur Verfügung haben.
Vorhaben: Schutzmasken selbst herstellen
Das Thema Schutzmasken ist, so Heinz-Georg Eirund, ein Riesenproblem. Deshalb hat der Caritasverband nach Alternativen gesucht. „Wir haben uns deshalb entschieden, die Schutzmasken selbst in Eigenregie zu nähen.“ Noch sind die Details nicht geklärt, aber Heinz-Georg Eirund ist zuversichtlich, dass trotz der geschlossenen Werkstätten eine Lösung gefunden werden kann. Die Schutzmasken sollen für den Eigenbedarf, aber auch für das Briloner Krankenhaus zur Verfügung stehen.
Besuchszeit: Eine Stunde täglich
Die Besuchszeiten in den Caritas-Seniorenzentren in Brilon, Hallenberg und Reinhardshausen (Waldeck) und auch in den Wohnhäusern für Menschen mit Behinderung sind auf täglich eine Stunde und eine Person begrenzt worden. Was bedeutet das für die Betroffenen und ihre Angehörigen?
Wir wissen, wie wichtig soziale Kontakte für diese Menschen sind. Deshalb ist es uns auch wichtig, wenigstens diese eine Stunde täglich zu ermöglichen; zumindest solange, wie das rechtlich erlaubt ist. Grundsätzlich fahren wir nicht runter, was nicht angeordnet wird und versuchen, eine Besuchszeit so lange es geht, aufrecht zu erhalten. Vielleicht zwingt uns die Lage ja später noch zu einem kompletten Besuchsverbot, aber wir wollen verhindern, dass das Einsamsein jetzt schon anfängt. Fällt diese Stunde auch noch weg, ist das natürlich auch eine weitere zusätzliche Belastung für die Mitarbeiter, denn die müssen diese emotionalen Probleme, Sorgen und Ängste auffangen. Bereits jetzt ist es wichtig, die Betreuungsangebote zu verändern, mehr Gespräche zu führen und Ängste zu nehmen. Das ist natürlich auch personell eine Herausforderung.
Noch ist die Lage ja ruhig. Was passiert, wenn es in einem der Seniorenzentren tatsächlich zu einem Corona-Fall oder einer Quarantäne-Maßnahme kommt?
Bisher haben wir weder bei den Mitarbeitern noch bei den Klienten einen bestätigten Corona-Fall, einige sind aber vorsorglich unter Quarantäne. Sollte tatsächlich jemand positiv getestet werden, gibt es natürlich einen Notfallplan. Da wir in allen Einrichtungen eine 100-prozentige Einzelzimmer-Quote haben, würde die betroffene Person dann in ihrem Zimmer in Quarantäne bleiben. Dieses Zimmer könnte dann vom Pflegepersonal natürlich nur noch mit entsprechender Schutzbekleidung und besonderen, zusätzlichen Hygienemaßnahmen betreten werden. Ein Coronafall müsste dann dem Gesundheitsamt gemeldet werden. Von dort würde eine Quarantäne des Hauses möglicherweise angeordnet.
Werkstätten sind geschlossen
Die sechs Standorte der Caritas-Werkstätten in Brilon, Marsberg und Winterberg sind geschlossen worden. Welche Folgen hat das für Mitarbeiter und Klienten?
Die Werkstatt-Schließungen haben enorme soziale, organisatorische als auch wirtschaftliche Auswirkungen bei uns im Verband. Der Großteil der Beschäftigten lebt in Wohnheimen oder betreuten Wohngruppen. Für diese Menschen wird die Tagesstruktur nun komplett von der Werkstatt in die Wohnhäuser verlagert. Dadurch muss auch die Betreuung, die sie in den Werkstätten haben, verlagert werden. Deshalb werden nun die Werkstattmitarbeiter teilweise im Wohnumfeld unserer Klienten eingesetzt. Das ist für uns natürlich ein sehr großer Aufwand und muss auch arbeitsrechtlich abgesichert werden. Sehr sensibel ist die Situation auch zum Beispiel für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Sie werden möglicherweise nach einiger Zeit ohne die tägliche Werkstattarbeit Schwierigkeiten bekommen, ihren Tag zu gestalten, sich sinnvoll zu beschäftigen. Außerdem muss ja ganz praktisch auch zum Beispiel ihre Versorgung mit Mittagessen gesichert werden. Und auch finanziell machen uns die Werkstattschließungen wie die gesamte Krise natürlich Sorgen. Deshalb versuchen wir, Firmenaufträge trotzdem weiter zu erfüllen, zum Beispiel, indem nun hauptberufliche Mitarbeiter verstärkt in der Produktion einspringen.
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Familien nicht allein lassen
Auch in anderen Bereichen wie zum Beispiel der Jugend- und Familienhilfe oder der Alltagsbegleitung kann man die Menschen jetzt ja nicht mit ihren Problemen allein lassen oder?
Ja, das sind alles Bereiche, um die wir uns natürlich große Sorgen machen. Gerade im Bereich der sozialpädagogischen Familienhilfe ist es aus unserer Sicht sehr wichtig, den Dienst so lange wie es geht, aufrecht zu erhalten, da hier Familien in Krisensituationen unterstützt werden. Sonst könnte eine Verschlimmerung der Situation drohen.
Auch in der ambulanten Pflege sind die Patienten ja auf die Unterstützung der Pflegedienste angewiesen. Da sind Einschränkungen kaum möglich oder?
Nein, das ist sehr schwierig. Sollte es aber tatsächlich irgendwann personell schwierig werden, weil viele Mitarbeiter erkrankt sind, dann sind wir gezwungen, ein Ranking nach Wichtigkeit vorzunehmen. Konkret kann das heißen, dass eine Spritze, die lebensnotwendig ist, wichtiger eingestuft werden muss als zum Beispiel tägliches Duschen oder eine Unterstützung im Haushalt. Aber natürlich hoffen wir, dass dieser Fall nicht eintritt. Wir haben also beschlossen, alles aufrechtzuerhalten.
Sorgen und Solidarität
Blicken Sie angesichts der aktuellen Lage nur mit Sorgen oder auch mit Zuversicht in die Zukunft?
Es sind tatsächlich sehr, sehr große Sorgen. Die Belastung unserer Mitarbeiter steigt. Ihnen muss ausdrücklich und mit Hochachtung gedankt werden. Gemeinsam geben wir alles Menschenmögliche, um die Versorgung der Menschen zu sichern. Das hat oberste Priorität. Mit Blick auf die Wirtschaft teilen wir die Sorgen der freien Wirtschaft: Vieles verändert sich sehr schnell und wir bemerken jetzt ganz konkret, wie alles mit allem verzahnt ist. Für Verbände der Wohlfahrtspflege wäre es jetzt wichtig, Schutzschirme zu bekommen: Die Gesamtkosten erhöhen sich extrem. Auch die Versorgung mit Hygienemitteln und Schutzkleidung ist schwierig. Wir haben zusätzliche Mitarbeiter-Kosten und Ausfälle, die von den Versicherungen nicht getragen werden. Es ist eine sorgenreiche Zeit. Es ist aber gleichsam Zeit für Solidarität und – auch wenn es pathetisch klingt, dass wir Nächstenliebe durch achtsamen Umgang miteinander beweisen. Gemeinsam wird das gelingen. Daran glaube ich.