Winterberg/Arnsberg. Das Landgericht sieht eine Mitschuld für den Hungertod eines Kindes bei einer HSK-Jugendamtsmitarbeiterin. Wie das Gericht das Urteil begründet.

Wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen hat das Landgericht Arnsberg gestern eine 31-jährige Mitarbeiterin des HSK-Jugendamtes in einem Berufungsverfahren zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Gericht sieht damit eine Mitschuld der Sozialarbeiterin am Hungertod eines 2-jährigen Jungen in Winterberg.

Milderes Urteil

Damit fällt das Urteil deutlich milder aus als das Urteil, das das Amtsgericht Medebach in erster Instanz gefällt hatte. Es hatte die Mitarbeiterin des Jugendamtes zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung durch Unterlassen verurteilt. Die Staatsanwaltschaft war in Berufung gegangen, weil sie das Urteil für zu milde erachtet hatte. Sie hatte neun Monate auf Bewährung gefordert.

Die Angeklagte hatte ebenfalls Berufung eingelegt, so dass der Fall schließlich vor dem Landgericht in Arnsberg komplett neu aufgerollt wurde.

Bereits während des aktuellen Verfahrens war deutlich geworden, dass es der Jugendamtsmitarbeiterin um eine vollständige Rehabilitation und einen Freispruch am Ende des Verfahrens ging – eine mögliche Verfahrens-Einstellung hatte sie deshalb abgelehnt.

Vorwurf nicht bestätigt

In dem Verfahren ging es nicht nur um den Tod des 2-jährigen Jungen, sondern auch um seine kleine Schwester, die ebenfalls unterversorgt war und in letzter Minuten noch gerettet werden konnte. Deshalb musste sich die Angeklagte auch wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen verantworten. Hier sah die Strafkammer den Vorwurf allerdings im Gegensatz zum Amtsgericht Medebach nicht als bestätigt an.

Ihr Rechtsanwalt kündigte unmittelbar nach dem gestrigen Urteilsspruch durch das Landgericht an, dass er gemeinsam mit seiner Kollegin und seine Mandantin in Revision gehen werde. Im Anschluss an die Urteilsverkündigung stellte er fest: „Das Urteil ist zwar eine klare Abkehr von Medebach, aber es besteht mit Blick auf grundsätzliche Fragen weiter noch erheblicher Klärungs- und Diskussionsbedarf.“

Leichte Fahrlässigkeit

Milder ausgefallen ist das jetzige Urteil auch deshalb, weil die Kleine Strafkammer des Landgerichts im Gegensatz zum Amtsgericht Medebach nicht von einer groben, sondern „allenfalls von einer leichten Fahrlässigkeit“ ausgegangen ist.

Rechtlich eine wichtige Frage war auch, ob die Jugendamtsmitarbeiterin eine sogenannte „Garantenstellung“ hatte. Das werde in der Urteilsbegründung „grundsätzlich bejaht“, so die stellvertretende Gerichtssprecherin Leonie Maaß. Sie erklärte: „Garant bedeutet, das jemand verpflichtet ist zu handeln.“

Pflichtverletzung oder nicht?

Genau das aber hatten die beiden Verteidiger der Sozialarbeiterin, Rechtsanwältin Astrid Aengenheister und Verteidiger Thomas Mörsberger, nicht so gesehen. Sie hatten in ihren Plädoyers Freispruch für die Angeklagte gefordert. Außerdem hatten sie deutlich gemacht, dass ein Jugendamt keine Ermittlungsbehörde sei.

Die Sozialarbeiterin habe gar keine Handhabe gehabt, da es durch die zuständige Clearing-Stelle des Jugendamtes auch keine Einschätzung auf Kindeswohlgefährdung gegeben habe, so ihre Argumentation. In der Familie sei ihre Mandantin gewesen, um Hilfsangebote zu unterbreiten, die die Mutter aber nicht angenommen habe. Die Verteidigerin machte geltend, dass auch Polizei und Staatsanwaltschaft zunächst keine Pflichtverletzung ihrer Mandantin gesehen hätten. Erst bei der Verhandlung in Medebach sei die Frage plötzlich aufgekommen.

Staatsanwältin Astrid Rehbein sah dagegen durchaus Pflichtverletzungen der Jugendamtsmitarbeiterin. Sie führte aus, dass viele Punkte auf einem Bewertungsbogen der HSK-Behörde nach der ersten Kontaktaufnahme zwar angekreuzt, aber nicht wirklich überprüft worden seien. Die Entscheidung der Clearing-Stelle, nicht von einer Kindeswohlgefährdung auszugehen, beruhe auch auf diesen Einschätzungen.

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Bericht aus dem Vogtlandkreis

Ausführlich ging die Staatsanwältin auch darauf ein, dass das Jugendamt aus dem Vogtlandkreis beim Umzug der Familie im Sommer 2013 nach Winterberg auf die sehr problematischen Familienverhältnisse (Gewalt des Vaters, Verwahrlosung, Ablehnung des Jugendamtes) sehr deutlich hingewiesen habe.

Auch als ein älterer Sohn einige Monate später bei einem Gespräch wegen massiver Schulprobleme deutliche Hinweise auf die häusliche Situation gegeben habe, sei die Angeklagte nicht aktiv geworden.

Auch der Verteidiger der mehrfachen Mutter, deren Kind verhungert war, kam bei der Verhandlung nochmal zu Wort. Seine selbst inzwischen verurteilte Mandantin tritt in dem Verfahren als Nebenklägerin auf. In seinem Plädoyer warf er der Jugendamtsmitarbeiterin „Nichtverhalten“ vor.