Menden. Sie kommt aus Mariupol - heute möchte sie in Deutschland bleiben. Was der SV Bieber damit zu tun hat und wieso sie ihre Zukunft in Menden sieht.
In Mariupol lernte sie schwimmen. Lernte den Schwimmsport zu lieben. Jetzt hat die 15-jährige Nastiia in Menden ein neues Zuhause gefunden. Und auch einen neuen Schwimmverein.
Nastiias ganzer Name ist Anastasiia Pichuhina. Vor etwas mehr als zwei Jahren ist sie mit ihren Eltern und ihren zwei Schwestern aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Und obwohl die ersten Wochen im neuen Land für sie schwierig waren: Heute möchte sie hierbleiben.
Ukrainische Schwimmerin (15) findet neue Heimat in Menden
Der 24. Februar 2022. Russland überfällt die Ukraine. Die Hafenstadt Mariupol gehört zu den ersten Zielen der russischen Angreifer, die die Stadt im Verwaltungsbezirk Donezk besetzen. Nastiia erinnert sich. „Wir hatten kein Strom, kein Wasser, nichts.“ Ihre Eltern sagen ihr einen Monat nach Kriegsbeginn, dass sie nach Deutschland fahren werden. „Ich konnte mir das gar nicht vorstellen.“ Am 29. März sind sie schon unterwegs. Nastiia muss ihre Großeltern zurücklassen, ihre beste Freundin, ihre Katze.
Sie fliehen über Russland, durch die Ukraine wäre es zu gefährlich. Am 9. April erreichen sie und ihre Familie Menden. Sie haben schon viele Bekannte hier, deshalb kommen sie auch nach Deutschland. „Am Anfang war es sehr schwierig“, erzählt die heute 15-Jährige, „den ersten Sommer war ich viel alleine“. Zu ihrer besten Freundin, die noch in Mariupol ist, hat sie zu dieser Zeit keinen Kontakt - dort gibt es keine entsprechende Infrastruktur. Ab Mai geht sie hier zur Schule, mit ihrer neuen Klasse wird dann alles besser. „Meine Mitschüler reden viel mit mir, ich habe Freunde gefunden.“
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Nastiia fängt Schwimmtraining beim SV Bieber Lendringsen
Ende vergangenen Jahres macht Nastiia im Unterricht das Sportabzeichen. „Mein Sportlehrer sagte, ich bin so gut im Schwimmen, dass er mir den Vorschlag gemacht hat beim SV Bieber anzufangen“, erinnert sie sich. Nur wenige Wochen später beginnt sie bei den Lendringser Schwimmern mit dem Training. „Die Leute sind sehr nett“, sagt sie, „ich bin froh, dass sie mit mir sprechen, weil ich nicht so gut Deutsch kann und auch ein bisschen schüchtern bin.“ Deutschunterricht hatte sie in der Ukraine seit der ersten Klasse - und spricht es eigentlich auch ziemlich gut. Am besten aber wohl, so sagt sie selbst, bei den Themen, die ihr im Alltag immer wieder begegnen. Zum Beispiel beim Thema Schwimmen also.
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Ursprünglich hatte sie in der Ukraine mal getanzt. Nachdem sie sich aber den Finger gebrochen hatte, hatte ihr Vater vorgeschlagen, es mit dem Schwimmen zu versuchen. Und Nastiia liebte es. „Es war einfach meins“, sagt sie und lächelt. Sieben Jahre lang trainierte sie in der Ukraine, bis zu zwölfmal in der Woche. Dann ging der Krieg los. Fast zwei Jahre Pause vom Schwimmen. „Ich bin aber von Anfang an in Deutschland ins Fitnessstudio gegangen. Als ich hier mit dem Schwimmen angefangen habe, war ich schon in Sportform.“ Sie braucht den Sport, liebt es, aktiv zu sein.
Und wenn sie schwimmt, hat sie Zeit, nachzudenken, sagt sie. „Zum Beispiel, wenn ich 400 Meter schwimme, kann ich über den ganzen Tag nachdenken.“ Dreimal die Woche hat sie Training, zweimal zusätzlich Krafttraining. Dazu manchmal Wettkämpfe. Wie an diesem Wochenende.
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Südwestfälische Meisterschaften im Schwimmen am Wochenende
Sie startet gleich in mehreren Disziplinen bei den Südwestfälischen Meisterschaften, die Samstag und Sonntag in Iserlohn stattfinden. Hohe Erwartungen stellt sie sich nicht. „Ich will einfach so gut wie möglich sein, einfach schwimmen. Wettkämpfe sind jedes Mal anders.“ Sie hat hier in Deutschland schon an einigen teilgenommen. „Beim ersten Start hatte ich Angst, dass ich etwas falsch mache, einen Frühstart oder bei der Wende“, sagt sie lachend. Beim zweiten Start war schon alles einfacher.
„Alle Lagen sind meine Hauptlage“, sagt Nastiia. Denn sie schwimmt alle gerne - wobei SV-Bieber-Chef Georg Weingarten ihr größtes Potenzial wohl im „Delle“ - Schmetterlingsschwimmen - sehen würde. „Ich mag Rücken sehr gerne, das ist so locker“, sagt die junge Ukrainerin. „Und ich bin auch schon etwas besser geworden, als ich es in der Ukraine war.“ Trotz zwei Jahren Pause haben sich ihre Zeiten verbessert.
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Was sie hier nicht so gerne mag, ist, „dass alles unterschiedlich ist. Vor allem die Startblocks. Sie sind immer anders, manchmal hat man gar nicht genug Platz, um darauf zu stehen“, erklärt sie. Mit den Zurufen vom Rand hat sie übrigens dank ihrer guten Deutschkenntnisse keine Probleme. „Ich höre immer zu und verstehe alles. Wann es Zeit für meinen Lauf wird sowieso.“
Ihr Ziel: Medizin in Deutschland studieren
Nastiia fühlt sich wohl in Deutschland. Die sauberen Straßen, die Höflichkeit, und dass die Menschen hier Ruhe mögen - all das gefällt ihr gut hier in Menden. Sie vermisst dafür ihre Familie, und dass Sonntag die Geschäfte geöffnet haben. Online nimmt sie neben der deutschen Schule und dem fast täglichen Schwimmtraining auch noch an der ukrainischen Schule teil. „Die deutsche mag ich aber lieber, weil sie einfacher ist“, sagt sie lachend. Wenn sie mit der Schule hier fertig ist, möchte sie gern Medizin studieren. Zahnmedizin oder Chirurgie - „auf jeden Fall Medizin.“
Und allein, da das in Deutschland eine gute Ausbildung sein soll, möchte sie hierbleiben. Aber nicht nur deshalb: „Ich habe hier viele Freunde gefunden. Und ich möchte das nicht ein zweites Mal, neu anfangen, allein.“ Mittlerweile chattet sie fast täglich mit ihrer besten Freundin, die in Mariupol ist. Dort hat sich die Lage beruhigt, ihre Freundin geht auch wieder zur Schule. „Für mich ist das vorbei“, sagt Nastiia. Besuchen würde sie ihre Heimat gerne mal. Aber ihre Zukunft sieht sie in Menden.