Hohenlimburg. Das Freibad Henkhausen liegt derzeit in Trümmern. Wie die Hohenlimburger Wasserballer auf ihre glorreichen Zeiten in den 1990ern zurückblicken.
Mit fünf, sechs Jahren rannten sie über die Freibadwiese, sprangen ins Becken und baten Mama und Papa, bitte noch etwas länger bleiben zu dürfen. Das durften sie oft, und die Eltern konnten damals noch nicht ahnen, dass sich diese Zeit später als gutes Investment herausstellen würde. Rund 20 Jahre später spielten die Wasserballer des Hohenlimburger Schwimmvereins im Freibad Henkhausen vor 1000 Zuschauern; sie kämpften um nationale und internationale Titel. Sie waren Sportgrößen in Badehosen. „Das waren die schönsten Jahre überhaupt“, sagt Vadim Plotnikov, einer der prägenden Spieler des HSV. Es hat etwas Melancholisches, wenn Plotnikov und seine ehemaligen Mitstreiter heute auf das Freibad Henkhausen blicken. Keine Wiese, kein Becken, nur Trümmer – das Bad wird neu gebaut. Ein Besuch mit Wasserball-Legenden an alter Wirkungsstätte.
23 Grad. Das Thermostat des Hohenlimburger SV zeigte eindeutig an: 23 Grad Wassertemperatur im Freibad Henkhausen. Aber der Gegner aus Hannover brachte sein eigenes Thermostat mit – ein geeichtes Gerät –, das dem Wasser nur 17 Grad Temperatur bescheinigte. „Ich glaube, an deren Thermostat hat irgendjemand gerieben, und dann war es leider kaputt“, erinnert sich Plotnikov und lacht. Der Hohenlimburger SV beharrte darauf: 23 Grad warm war das Wasser, was eigentlich ziemlich kalt war, aber deutlich über der Mindesttemperatur von 18 Grad lag. Die Hannoveraner setzten keinen Fuß ins Becken, gaben die Wertungspunkte ab und traten die Heimreise an. 23 Grad zeigte das Hohenlimburger Thermostat an. Auch im Winter, wenn das Wasser gefror. „Es war hart, hier in Hohenlimburg Wasserball zu spielen – also, für die Gegner natürlich, für uns nicht“, scherzt der damalige HSV-Mannschaftskapitän Karsten Menzel.
1000 Zuschauer bei Heimspielen
Rund um das kalte Becken war damals die Hölle los. Als Hohenlimburg zwischen 1989 und 1995 in der Wasserball-Bundesliga spielte und daheim Spitzenspiele bestritt, kamen etwa 1000 Zuschauer. Sie saßen und standen dicht gedrängt um das Becken, sie grölten und klatschten. Euphorie in Henkhausen. Und nahezu alle kannten persönlich die Spieler, die daheim selbst haushohe Favoriten besiegten: Kapitän Karsten „Memel“ Menzel, den durchtrainierten Ukrainer Plotnikov, die Dresel-Brüder oder Wasserball-Wart Heinz-Werner Schroth, der die wilde Bande irgendwie zusammenhielt. Oder sein Sohn Alexander Schroth, der Jüngste im Team, der die Bierkisten schleppen musste. „Das war einfach ein Hohenlimburger Ding“, erklärt Jörg Dresel. „Wir hatten eine unbeschreibliche Gemeinschaft, jeder konnte sich auf den anderen verlassen. Wir waren wie eine Familie.“
Diese Familie hat es im Wasserball weit gebracht. 1995 wurde Hohenlimburg deutscher Vizemeister und Vizepokalsieger. Und auch international sorgten Menzel und Co. für Furore, auch wenn man dafür das wohlig kalte Hohenlimburger Wasser verlassen musste. Nach Dubrovnik, Budapest, Patras, Bratislava oder Pescara. „Unsere Mannschaftsfahrten bleiben unvergessen“, sagt Jörg Dresel. 1993 unterlag Hohenlimburg im Europapokal-Finale Pescara – der große Wurf war nur eine Welle entfernt. Schon wieder ein Vizetitel. „Wir waren ein paar Mal nah dran, einen Titel zu holen“, weiß Karsten Menzel, „aber wir haben es manchmal selbst vergeigt. Es hatte wohl auch etwas damit zu tun, dass wir oft die Flasche in der Hand hatten.“
Was heutzutage kaum vorstellbar ist: Menzel und Co. haben mit Wasserball keinen Cent verdient. Der Vereinsvorstand finanzierte den Spielbetrieb. Die Idee, Sponsoren für sich zu gewinnen, hielt man damals für Unsinn. „Wir hatten eigentlich immer nur Mist im Kopf“, lacht Torsten Dresel. Auch der erste und einzige Hohenlimburger „Importspieler“ Vadim Plotnikov wurde nicht mit Geld an die Lenne gelotst, sondern mit einem Jobangebot. „Außerdem haben sie mir gesagt, in Hohenlimburg sei es immer warm. Das kann ich bis heute nicht bestätigen“, lacht der Ukrainer, aber er sagt: „Ich wurde vom ersten Tag an wie Familie behandelt, das werde ich nie vergessen.“ Und so machte es ihm auch nichts aus, dass er wegen seiner rudimentären Deutschkenntnisse hin und wieder auf den Arm genommen wurde. „Die haben aus meinem Deutsch-Lehrbuch die Seiten rausgerissen“, schüttelt Plotnikov den Kopf. So etwas wie Plusquamperfekt passiv brauche er nicht, sagten seine Mitspieler - also war sein Deutschbuch in die Tonne geworfen worden.
Spieler gehen ihre Wege
Und heute? Heute treffen sich die Wasserball-Legenden hin und wieder in Hohenlimburg, die meisten sind hier geblieben. Auch Plotnikov. Er lebt und arbeitet hier, zwei seiner Kinder promovieren aktuell. „Es ist aber nicht so, dass wir alle vier Wochen einen Stammtisch oder Ähnliches haben“, sagt Menzel. „Man sieht sich mal auf dem Stadtfest oder wir schreiben uns in den sozialen Medien. Aber die Verbundenheit bleibt, die spürt man.“ Nachdem der Hohenlimburger Schwimmverein 1995 freiwillig aus der Bundesliga abgestiegen war, gingen die Spieler ihre eigenen Wege. Wasserball spielten die meisten noch, aber weniger leistungsorientiert.
Das Freibad Henkhausen in Trümmern zu sehen, mache sie „etwas traurig und nachdenklich“, räumt Jörg Dresel ein. Ebenso die Tatsache, dass in Hohenlimburg fast niemand mehr Wasserball spielt. Fast. „Wir haben im Verein ein paar gute Jungs, die regelmäßig spielen“, sagt Heinz-Werner Schroth und schmunzelt. „Aus denen könnte was werden, wenn sie am Ball bleiben.“