Winterberg. René Spies ist der Goldschmied der deutschen Bobfahrer. Im Interview schlägt er vor, zwei Jahre keine Weltcups mehr in Nordamerika auszutragen.
René Spies ist der Goldschmied der deutschen Bobfahrer. Bei den Olympischen Winterspielen in China gewann seine Mannschaft 2022 drei von vier olympischen Wettbewerben und holte zudem drei Silbermedaillen sowie eine bronzene. Vor dem Heim-Weltcup in Winterberg (6. bis 8. Januar) spricht der 49-jährige „Trainer des Jahres 2022“ über seine Philosophie, antwortet auf Kritik von Top-Pilot Francesco Friedrich und sinniert über seine Zukunft.
Spies im Wizard-Duell mit Nolte
René Spies, Ihre Pilotin Laura Nolte sprach gerade von dem einen großen Ziel, das Sie in dieser Saison noch hätten. Verraten Sie es?
René Spies: (schmunzelt) Wir waren im Dezember auf der Nordamerika-Tour und hatten nach Corona endlich mal wieder die Gelegenheit, abends zusammenzusitzen.
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Da gibt es ein Spiel, das heißt Wizard. Ich muss gestehen, dass Laura Nolte und ich öfter mal gespielt haben – und sie sieben Spiele mehr gewonnen hat als ich. Das ist höchst bedenklich. Es hat mich maßlos geärgert und mir fast das Weihnachtsfest sowie den Rutsch ins neue Jahr verdorben. Mein Ziel ist es, wenn wir nochmal spielen, den Rückstand aufzuholen in Führung zu gehen.
Wie erklären Sie als Trainer Ihren Rückstand?
Ich habe ihr ein paar Siege geschenkt, weil das für die Stimmung ganz wichtig war. In der zweiten Saisonhälfte muss ich ernsthaft an die Sache herangehen, dann kann ich es wieder drehen. (lacht) Nein, es war so, dass Laura einfach besser gespielt hat. Leider.
Zu den ernsthaften Fragen: Sie sind vor kurzem vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) zum Trainer des Jahres 2022 ernannt worden. Sie waren während des „Ball des Sports“ noch in Nordamerika und sicherlich überrascht, oder?
Die Vizepräsidentin des DOSB, Miriam Welte, rief mich an und teilte es mir abends im Hotelzimmer mit. Das war nicht so glamourös, aber natürlich habe ich mich sehr darüber gefreut. Die Wahl ist eine Anerkennung für das ganze Trainerteam, an dessen Spitze ich stehe. Und sie ist eine Anerkennung für unseren Sport, deshalb freue ich mich wirklich sehr.
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Was macht Sie als Trainer so erfolgreich?
Das müssen Sie besser die Aktiven oder meine Trainerkollegen fragen. Ich kann mich als Person beschreiben, aber ich kann jetzt nicht sagen, dass ich der Faktor bin, durch den alles so erfolgreich ist.
Dann beschreiben Sie sich bitte als Person.
Ich überlege sehr, sehr lange, bis ich Entscheidungen treffe. Ich treffe nie eine Schnellschuss-Entscheidung, wenn es nicht sein muss. Ich bin meistens ruhig. Ich glaube, dass ich verlässlich bin. Und ich versuche, immer fair zu sein und emotionslos Entscheidungen zu treffen. Wenn ich eine Entscheidung getroffen habe, steht sie, dann gibt es keinen Weg zurück. Außerdem denke ich, dass ich ein toleranter Trainer bin – bis zu einem gewissen Punkt.
Sind Sie also ein anderer Trainer als jene, die Sie in Ihrer aktiven Zeit erlebten?
Na klar, das ist ja eine Entwicklung. Bei der heutigen Generation ist der autoritäre Trainerstil nicht mehr gefragt, in keiner Sportart. Entscheidungen müssen klar, nachvollziehbar und verlässlich sein. Aber man muss auch mit viel Humor und Kollegialität an die Sache herangehen, man muss den Rahmen weiterspannen als es früher der Fall war.
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Ist Ihnen der Humor nicht vergangen, als Sie vor der Saison Äußerungen Ihres Top-Piloten Francesco Friedrich lasen? Er sagte in einem Interview mit der „Welt“ unter anderem: „Wir werden immer mehr zum Abfallprodukt anderer Sportarten“.
Es ist okay, wenn ein viermaliger Olympiasieger Angst um die Zukunft seiner Sportart hat und aus dieser Angst heraus solche Äußerungen entstehen. Aber wir haben unterschiedliche Meinungen.
Spies widerspricht Friedrich
Wie lautet Ihre Meinung?
Grundsätzlich leben wir von der Leichtathletik, die auch nicht mehr die Leichtathletik von vor zwanzig Jahren ist – wie in jeder Sportart. Aber wir haben einen sehr, sehr guten Zulauf. Wir haben sehr viele Trainer in Deutschland, die gut arbeiten. Wir haben viele Satelliten-Trainer, die in der Leichtathletik unter uns arbeiten. Wir haben in den vergangenen beiden Jahren immer über 100 Aktive beim Zentralen Leistungstest gehabt. Von den Zahlen her ist das so gut wie noch nie. Der Nachwuchsbereich stimmt also. Und wir sind medial auch gut vertreten.
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Dennoch sprach Friedrich auch vom Bobfahren als Randsportart.
Wir sehen uns nicht als Randsportart. Auch die Auszeichnung, die ich bekommen habe, ist ja eine Anerkennung für den Sport. Wir haben zwar nicht die mediale Präsenz von Biathlon oder Skispringen und es gibt auch andere Probleme bei uns, wie zum Beispiel die Kosten, aber ich würde uns nicht als Fußabtreter des Spitzensports bezeichnen, auf gar keinen Fall.
Welche Lösung gibt es für das Kosten-Problem?
Keine, im Moment. (lächelt) Das sind einfach Kosten, die durch die Corona-Krise entstanden sind. Wenn man es vergleicht: Wir müssen 13 Kisten nach Übersee schaffen, eine kostet 18.000 Euro. Vor der Krise waren es 4.000 Euro pro Kiste. Deshalb ist es auch bei uns so, dass es für das nächste Jahr kritisch aussieht, alle Weltcups fahren zu können. Da kann man sich vorstellen, wie es bei schwächeren Nationen ist – die können es sich einfach nicht mehr leisten.
Was schlagen Sie vor?
Man muss seitens der IBSF (Bob- und Skeleton-Weltverband; Anm.d.Red.) eine Lösung für die Logistik über Logistikpartner finden. Für mich wäre auch eine Lösung, in den nächsten zwei Jahren nicht mehr nach Nordamerika zu fahren. Wenn wir in Europa bleiben, haben wir drei, vier Länder aus Übersee, die wir subventionieren müssen, andersherum sind es 15 Nationen. Das wäre für mich ein Ansatz.
Spies fordert bessere Bezahlung
Zurück zum Trainerjob: Vor und während der Olympischen Winterspiele in China 2022 forderten Sie eine bessere Bezahlung von Trainern. Sehen Sie Fortschritte?
Es geht und ging mir dabei nicht um mich, das möchte ich nochmal betonen. Es geht um das Gros der Trainer. Aus meiner Sicht ist noch nicht bei allen Institutionen in Deutschland angekommen, dass der Trainer oder die Trainerin die zentrale Rolle in einem System innehat und am Ende den Erfolg ausmacht.
So lange es unser Ziel ist, Spitzenleistungen und möglichst viele Medaille zu erzielen, müssen die Trainer adäquat bezahlt werden – und das ist aus meiner Sicht absolut noch nicht passiert. Wenn man das mal auf die freie Wirtschaft bezieht und Arbeitszeiten vergleicht, wird es noch desaströser. Deshalb werde ich nicht müde, für eine bessere Bezahlung von Trainern zu kämpfen.
Ihr Vertrag läuft im olympischen Rhythmus bis 2026. Dann sind Sie insgesamt zehn Jahre Chef-Bundestrainer. Wie lange kann man einen so fordernden Job machen?
Im Sommer gibt es Phasen, in denen man sich erholen kann und Erfolge tragen dazu natürlich auch ihren Teil bei. Aber viele Monate im Jahr lebt man im Grenzbereich. Ziel ist 2026, dann schauen wir mal weiter.
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Dann wäre es schön, wenn ein Nachfolger bereitstände und ich bei einem fließenden Übergang ein, zwei Jahre mithelfen könnte. Ich will nichts ausschließen, aber Stand jetzt kann ich es mir nicht vorstellen, nach 2026 nochmal vier Jahre als Chef-Bundestrainer weiterzuarbeiten. Wenn man so viele Monate unterwegs ist, wird man müde. Das kann man sich mit 30 Jahren nicht vorstellen, aber ich werde nächstes Jahr 50. Da wird man müde. (grinst)
Am Samstag und Sonntag geht Ihr Heim-Weltcup in Winterberg über die Bühne. Nur Siege zählen, oder?
Wie immer gilt es, alle Athletinnen und Athleten gesund zum Höhepunkt der Saison zu bringen, also zur Weltmeisterschaft in St. Moritz. Winterberg ist eine weitere Etappe. Aber die Bahn liegt uns, deshalb erwarte ich schon, dass wir vorne mitfahren und Siegleistungen erzielen. Wenn wir hier starten, wollen wir auch siegen, natürlich.