Ulm/Gelsenkirchen. Schalke 04 steht in der Zweiten Liga nach einem Saisondrittel wieder am Abgrund. Die Gründe dafür sind vielfältig. Eine Analyse.
Gesichter der Krise gibt es beim FC Schalke 04 gerade viele. Paul Seguin beispielsweise, Vize-Kapitän. Nach dem 0:0 beim SSV Ulm 1846 schritt er zum TV-Mikrofon, schaute die ganze Zeit auf den Boden. Es wirkte, als würde er ein Loch suchen, in dem er sich verbuddeln kann. Er flüchtete sich in Floskeln. Die mitgereisten Fans, während der furchbar anzuschauenden, glücklichen Nullnummer beim Aufsteiger lautstark dabei, sagten nach dem Abpfiff gar nichts. Das strahlte Resignation aus, Gleichgültigkeit. „Wir dürfen nicht zulassen, dass es ein Dauerzustand wird“, warnte Kapitän Kenan Karaman. „Sonst kann es ganz gefährlich werden.“ Trainer Kees van Wonderen analysierte das Spiel in einem Schlafwagen-Tonfall. Und die Vereinsführung? Nicht zu sehen.
Es sind Gesichter einer Lethargie, die den Verein gerade umgibt – und das nach einem Drittel der Saison. Die sollte im oberen Tabellendrittel enden, vielleicht sogar mit dem Aufstieg. Der soll mit dem Stamm des aktuellen Aufgebots spätestens in der kommenden Saison gelingen. Es fehlt in sämtlichen Bereichen des Vereins der Glaube daran. Eines Vereins mit 189.000 Mitgliedern, mit 200 Festangestellten allein auf der Geschäftsstelle. Die vom ewigen Existenzkampf müde und wütend geworden sind. Einem Existenzkampf, der wieder droht, Schalke ist schon auf den Relegationsplatz abgestürzt. Es spricht jedenfalls nichts dafür, dass es kurzfristig aufwärts geht.
Van Wonderens Schalke-Bilanz: ein 0:0, drei Niederlagen
Das liegt vor allem an van Wonderen, der vor vier Wochen übernahm, aber keine Aufbruchstimmung erzeugen konnte. Weder bei den Fans noch bei der Mannschaft oder den Verantwortlichen. Der Effekt des Trainerwechsels ist verpufft, ein Horrorfußball-0:0 bei drei Pflichtspielniederlagen, das ist schlimm. Bei den meisten Fans ist er bereits durchgefallen. „Das war zu wenig“, seufzte van Wonderen in Ulm und wiederholte mit sehr ruhiger Stimme: „Es ist alles vorhanden. Mein Auftrag ist es, dass die Spieler es schaffen, in einer größeren Phase des Spiels offensiv und defensiv ein höheres Niveau zu erreichen. Das Selbstvertrauen ist nicht da. Aber das war mir lange bekannt.“
Van Wonderen verstellt sich nicht. Dass er einen defensivorientierten Fußball bevorzugt, wusste jeder, der sich mit dem niederländischen Fußball der Vorjahre beschäftigt hat. In Ulm spielte von Beginn an nur ein offensiv denkender Profi: Kenan Karaman. Techniker Amin Younes kam erst eine Viertelstunde vor Schluss. „Ich fühle mich gut, bin fit. Eine Entscheidung des Trainers“, grummelte Younes, während van Wonderen sagte, Younes sei vor kurzem noch verletzt gewesen und nicht auf dem Level, um von Beginn an zu spielen. Erste Dissonanzen mit einem Führungsspieler - Younes sitzt im Mannschaftsrat.
Nach aktuellem Stand hat Schalke den verkehrten Trainer geholt. Sportlich hat van Wonderen keinen Erfolg, als Typ ist er farblos, keiner für große Motivationsreden. Doch ein Rauswurf nach kurzer Zeit deutet sich nicht an. Schattentrainer Jakob Fimpel rutscht mit der U23 in der Regionalliga immer weiter ab und wurde auch 2024 nicht für den Uefa-Pro-Lizenz-Lehrgang zugelassen. Das heißt, dass auf die Schalker eine sechsstellige Strafe zukommen könnte, würden sie Fimpel befördern.
Und ein erneuter Trainerrauswurf wäre das Eingeständnis des nächsten Megafehlers der Vereinsführung um den Aufsichtsrat, der den Deal absegnete, Vorstandschef Matthias Tillmann und Sportchef Ben Manga.
Schalke-Mitglieder treffen sich am 16. November
Die tauchten in Ulm ab. Es gibt in der Klubführung keinen Prellbock für die Öffentlichkeit, keinen Sportvorstand, der sich um die Strategie kümmert. Manga ist keiner für die erste Reihe. Er ist mit Leib und Seele Scout und Kaderplaner, befindet sich zu Wochenbeginn wieder auf Europa-Tour, um Spieler persönlich zu beobachten. Doch bisher hatte er mit seinen Entscheidungen kein Glück. Von seinen zahlreichen Zugängen stand in Ulm nur einer in der Startelf.
Der Aufsichtsrat um den Vorsitzenden Axel Hefer und der Vorstand hinterlassen aktuell den Eindruck, die sportliche Situation zu so einem frühen Zeitpunkt der Saison zu leicht zu nehmen. In zwei Wochen (16. November) steigt die Mitgliederversammlung, sie könnte eine Abrechnung der kritischen Fans werden. Von der Versammlung soll ein Ruck ausgehen. Der große Plan der Klubführung ist es, noch einmal die Altlasten zu erwähnen, den Weg als steinig darzustellen – aber unter anderem mit der gegründeten Fördergenossenschaft eine Lösung aufzuzeigen.
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Doch wäre das noch glaubhaft? Seit drei Jahren und vier Monaten amtiert das höchste Gremium um Hefer in weitgehend unveränderter Besetzung – es ist stolz auf die flachen Hierarchien. Aus dem Verein ist zu hören, es fühle sich von den Kritikern innerhalb und außerhalb des Vereins oft ungerecht behandelt. Doch bei allen Altlasten: Es gab teure Fehleinschätzungen im Dutzend. Und die ideologische Vereinspolitik, jeden mindestens auf Distanz zu halten, der am Konzept des eingetragenen Vereins zweifelt oder nach Meinung des Aufsichtsrats nach zu eng mit Ex-Klubchef Clemens Tönnies verbandelt ist, kostet Geld und Ansehen unter den reicheren Schalker Gönnern, die in größter Not einspringen könnten.
Ein Spiel bleibt noch vor der Mitgliederversammlung – am Sonntag (13.30 Uhr/Sky) gegen Schlusslicht Jahn Regensburg, bisher die mit Abstand schlechteste Mannschaft der Zweiten Liga. Wieder werden 60.000 Schalker in die Arena strömen, diesen faszinierenden Verein verkörpern, anfeuern. „Es bringt nichts, zu sagen, dass wir dieses Spiel gewinnen müssen“, erklärte Linksverteidiger Derry John Murkin und versprach: „Wir werden das Spiel gewinnen.“ Es waren am tristen Schalker Wochenende die selbstbewusstesten Töne.
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