Gelsenkirchen. Schalke 04 gründet eine Genossenschaft, die Anteile am Stadion erwerben soll. Warum? Das begründet CEO Matthias Tillmann im Interview.
Ein neues Projekt beim Fußball-Zweitligisten FC Schalke 04 soll helfen, die prekäre finanzielle Situation zu verbessern: Die Königsblauen gründen eine Genossenschaft, die Anteile an der Veltins-Arena erwerben soll. Warum das nötig ist, wie es funktionieren soll und was er Kritikern sagen will, verrät Schalkes Vorstandsvorsitzender Matthias Tillmann im Exklusiv-Interview mit dieser Zeitung.
Herr Tillmann, braucht Schalke dringend Geld?
Geld schadet im Fußball grundsätzlich nicht. (lacht) Da die Betonung in Ihrer Frage auf dringend liegt, kann ich sagen: Nein, akut brauchen wir kein Geld, wir sind durchfinanziert. Zwei Themen werden häufig vermischt: Liquidität, also unsere Zahlungsfähigkeit, und die Eigenkapitalsituation. Was die Liquidität angeht, sind wir sehr gut aufgestellt, weil in den vergangenen Jahren sehr viele Maßnahmen erfolgreich umgesetzt wurden. Wir haben die Lizenz für die Zweite Liga ohne Bedingungen bekommen und unsere Rechnungen immer bezahlt. Seit meinem Amtsantritt im Januar haben wir erneut die Kosten reduziert, den Verein in der Führungsstruktur verschlankt, Ticket- und Cateringpreise wegen steigender Kosten angehoben. Fakt ist aber auch, und das ist die andere Seite der Medaille, dass wir rund 160 Millionen Euro Verbindlichkeiten und ein hohes negatives Eigenkapital haben. Uns fehlt Geld, um zum Beispiel in den Sport und die Infrastruktur zu investieren.
Und das Geld wollen Sie nun über eine Genossenschaft einsammeln. Warum ist das Ihr Weg?
Wir müssen jedes Jahr wegen einer Eigenkapitalauflage im Lizensierungsprozess signifikante Gewinne erwirtschaften, um einen Punktabzug zu vermeiden. 2024 sind das rund fünf Millionen Euro. Zusätzlich stecken wir einen zweistelligen Millionenbetrag in Zinsen und Tilgung, 2023 waren es rund 16 Millionen Euro – das ist mehr Geld, als viele Zweitligisten für ihren Lizenzkader zur Verfügung haben. Dieses Geld müssen wir erst einmal verdienen, bevor wir einen Euro in andere Projekte stecken können. Unsere Handlungsfähigkeit wäre in allen Bereichen deutlich größer, wenn wir die Altlasten spürbar abbauen könnten. Im Sport wollen wir in die Bundesliga zurückkehren. Investieren wir nicht ins Vereinsgelände am Berger Feld, wird uns das später auf die Füße fallen. Um uns aus den finanziellen Fesseln zu lösen, müssen wir Geld in den Verein holen. Wir haben uns verschiedene Optionen angeschaut und sind überzeugt davon, dass die Fördergenossenschaft am besten zu Schalke passt.
Warum eine Genossenschaft und nicht beispielsweise externe Investoren?
Wir haben uns überlegt: Wofür steht Schalke? Dann kommt man schnell auf Werte wie Mut, Tradition, Emotion, Selbstbestimmtheit. Diese Selbstbestimmtheit drückt sich in der aktuellen Struktur aus – der Verein gehört zu 100 Prozent den Mitgliedern, das bleibt auch mit der Fördergenossenschaft so.
Schalke: Eine Genossenschaft exklusiv Klubmitglieder
Wie funktioniert die Genossenschaft?
Nur Mitglieder des eingetragenen Vereins können Mitglieder der Genossenschaft werden und Anteile kaufen. Kurz zusammengefasst ist es der festgeschriebene Zweck, in Infrastrukturprojekte auf Schalke zu investieren. Zunächst soll es ums Stadion gehen. Indem wir Anteile der Stadiongesellschaft an die Genossenschaft verkaufen, bringen wir Kapital in den Verein und können damit Verbindlichkeiten tilgen.
Das Stadion gehört aber nicht zu 100 Prozent dem Verein.
Momentan sind wir zu rund 85 Prozent wirtschaftlicher Anteilseigner der Immo KG. Der Rest gehört der Stadt und kleineren Kommanditisten.
Es sollen aber nicht die kompletten 85 Prozent an die Genossenschaft gehen…
Nein, das nicht. Wie viel Prozent es werden, hängt in erster Linie davon ab, wie viel Kapital die Genossenschaft einsammelt. Dazu werden wir bei allen Überlegungen berücksichtigen, dass der e.V. die Hoheit in der Immo KG behält. Wir sollten den Grundgedanken allerdings nicht nur auf das Stadion reduzieren: Die Vereinsmitglieder können zu jeder Zeit beitreten oder zusätzlich Anteile erwerben. So kann immer wieder frisches Geld in die Fördergenossenschaft fließen, um weitere Projekte umzusetzen. Der Leitgedanke ist, dass daraus eine Bewegung wird. Über der Nordkurve steht ja auch auf der Wand geschrieben: 1000 Freunde, die zusammenstehen, dann wird der FC Schalke niemals untergehen.
Wie viel kostet ein Anteil?
Dieses und weitere Details werden wir auf der Mitgliederversammlung am 16. November bekanntgeben.
Der FC St. Pauli geht einen ähnlichen Weg und verlangt 750 Euro pro Anteil.
Unserer wird deutlich niedriger sein. Und in noch einem Punkt unterscheiden wir uns: Die Mitgliedschaft im Verein ist Voraussetzung für den Eintritt in die Fördergenossenschaft.
Die Mitglieder des FC Schalke 04 müssen der Gründung der Genossenschaft aber nicht zustimmen.
Korrekt, weil die Fördergenossenschaft – technisch ausgedrückt – nicht Teil der Konzernstruktur ist. Während der Mitgliederversammlung im November werden wir unsere Mitglieder über weitere Details informieren, das ist unser Anspruch als eingetragener Verein.
Was hat ein Mitglied davon, einen Anteil zu erwerben? Es ist doch eher ein ideeller Wert.
Sie haben Recht, das ist kein Finanzmarktkonstrukt. Wer hohe Renditen sucht, sollte anderswo investieren. Das Risiko ist sehr gering, jeder könnte seinen erworbenen Anteil nach Ablauf einer Sperrfrist auch wieder verkaufen, das ist in den Statuten festgeschrieben. Zudem würden finanzielle Überschüsse der Stadiongesellschaft auch anteilig an die Genossenschaft fließen, die dann entscheidet, was damit passiert. Theoretisch könnte sie diese als Dividende auszahlen.
Es gibt viele Schalker, die in der Wirtschaft sehr erfolgreich unterwegs sind. Werden diese gezielt angesprochen, damit sie viele Anteile kaufen?
Das ist eines der Themen, an denen wir in den kommenden Wochen arbeiten werden. Wir haben in den vergangenen Monaten viele Gespräche geführt, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie die Menschen grundsätzlich über Schalke und unsere Ideen denken.
Schweben Ihnen Anreize vor? Soll jemand, der viel investiert, zum Beispiel im Aufsichtsrat mitsprechen?
Das wäre gegen den Grundgedanken der Fördergenossenschaft. Wir wollen nicht, dass Leute mit Geld Einfluss kaufen.
Sie werden eine Größenordnung im Kopf haben. Was erhoffen Sie sich zu erlösen?
Ein Ziel haben wir uns nicht gesetzt. Wer auf unsere Zahlen schaut, der weiß, dass es nicht viel hilft, wenn wir zwei Millionen Euro einsammeln. Sobald wir einen zweistelligen Millionenbereich erreichen, lohnt sich das.
Eine Genossenschaft dieser Größe hat einen Vorstand, einen Aufsichtsrat. Wird der im ersten Schritt von Ihnen besetzt, bevor die Genossenschaft selbst wählt?
Das Prozedere ist ähnlich zu dem im eingetragenen Verein. Der Vorstand der Genossenschaft wird vom Aufsichtsrat bestellt, und dieser von den Mitgliedern gewählt. Details zur Erstbesetzung geben wir rund um die Mitgliederversammlung im November bekannt.
Das Stadion ist als Seele des Vereins ein sensibles Thema auf Schalke, es gilt als Tafelsilber, von dem es nicht mehr viel gibt. Was halten Sie Kritikern entgegen?
Ob es nicht mehr viel Tafelsilber gibt, das sei mal dahingestellt. Das Schöne an diesem Modell ist, dass das Stadion nicht an einen Dritten verkauft wird, der andere Vorstellungen und Ideen hätte. Es bleibt in der Hand der Mitglieder. Und egal, wer wie viele Anteile an der Fördergenossenschaft hat: Jeder hat nur eine Stimme.
Wenn finanziell alles in bester Ordnung wäre, müssten Sie die Genossenschaft nicht gründen. Stellen Sie das Konzept bei der Mitgliederversammlung zur Diskussion? Es wird nicht nur Befürworter geben.
Wir haben nie behauptet, dass finanziell alles rosig und perfekt ist, Christina Rühl-Hamers hat das immer sehr transparent geschildert. Zu Ihrer Frage: In einem Verein mit über 180.000 Mitgliedern werden nie alle einer Meinung sein. Wir nutzen die Versammlung zur Kommunikation und Information, danach entscheidet jeder Schalker frei, ob er mitmachen möchte.
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Inwiefern ist der Verein abgesichert, wenn ein Großteil der Mitglieder gleichzeitig kündigt und auf einen Schlag viel Geld zurückgezahlt werden müsste?
Solche Dinge sind in der Satzung zu regeln – dass zum Beispiel nur ein bestimmter Prozentsatz im Jahr ausbezahlt werden kann.
Rein hypothetisch gibt es die Möglichkeit, dass eine Genossenschaft pleitegeht. Gibt es Nachschusspflichten, wodurch Mitglieder in einem solchen Fall mehr Geld einzahlen müssten?
Nein, wir haben das in der Satzung ausgeschlossen. Eine Insolvenz ist sehr unwahrscheinlich, das Modell wird vom Genossenschaftsverband sehr genau geprüft.
Sollte es so sein, dass ihre Pläne aufgehen, Schalke wieder dauerhaft international spielt, wäre es denkbar, die Genossenschaft aufzulösen und die Anteile an den Verein zurückzuführen?
Nein, das ist nicht geplant, hinter der Genossenschaft steckt ein Ewigkeitsgedanke. Wir wollen sie dann langfristig für andere Projekte nutzen, da gibt es zum Beispiel im Jugend- und Frauenfußball Potenziale.
Würden Sie sagen, dass dies das wichtigste Projekt Ihrer Amtszeit ist?
Das ist schwierig zu beantworten, weil wir über verschiedene Ebenen reden. Viele Sachen, die ich in den ersten zehn Monaten gemacht habe, betreffen das Tagesgeschäft. Die Genossenschaft ist ein strategisches Projekt mit anderem Zeithorizont. Um in die Zukunft zu investieren, muss man im Hier und Jetzt gute Entscheidungen treffen. Das ist nicht weniger wichtig.
Die Arena ist über 20 Jahre alt. Für so eine Immobilie ist das nicht wenig. Ist in den Planungen enthalten, dass höhere Instandhaltungen auf den Verein zukommen?
Es gibt in Deutschland deutlich ältere Stadien, auch in der Nachbarschaft. Am Stadion haben wir nie gespart. Unsere Arena ist immer noch top in Deutschland, sogar in Europa, das haben uns zuletzt die Uefa und Konzertveranstalter bestätigt, und das sieht man an den Events, die wir in diesem Jahr bei uns hatten: EM, Konzerte, Biathlon. Das zeigt: Investitionen in die Infrastruktur sind wichtig, sie helfen dem Verein langfristig..
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