Essen. Thomas Reis trainierte Schalke - und den VfL Bochum. Jetzt arbeitet er für Samsunspor. Ein Gespräch über die Türkei und seine Ex-Klubs.
Am Montagvormittag sitzt Thomas Reis, früher Trainer beim FC Schalke 04 und beim VfL Bochum, in seinem Appartement in Samsun an der Schwarzmeerküste der Türkei, wartet auf den Anruf des Reporters aus Deutschland. Reis, 50 Jahre alt, ist mit seinem neuen Klub Samsunspor in der Süper Lig nach sieben Spielen Tabellendritter, konkurriert mit den großen Istanbuler Klubs. Das ist beinahe eine Sensation. Das Gespräch beginnt mit wenigen Minuten Verspätung – der Reporter stand im Stau.
Herr Reis, entschuldigen Sie die Verspätung. Den Stau auf der A40 kennen Sie ja sicherlich noch…
(lacht) Oh ja. Samsun ist zwar eine Millionenstadt, aber wenn man gewisse Stoßzeiten vermeidet, ist der Verkehr hier sehr angenehm.
Wie ist das Leben in der Türkei?
Anders. Ich konnte mir das gar nicht so richtig vorstellen. Ich war zwar zuvor mal im Urlaub in der Türkei, aber eher in den touristischen Gegenden wie Side, Antalya, Belek. Nicht hier am Schwarzen Meer. Die Menschen sind sehr freundlich und hilfsbereit, das Wetter ist natürlich sehr angenehm, wenn auch im Sommer vielleicht zu heiß. Um die Sprachbarriere zu überwinden, spreche ich im Moment viel Englisch – wenn man damit nicht weiterkommt, helfen in manchen Situation auch Sprachapps.
Nutzen Sie die für das tägliche Leben oder für Mannschaftssitzungen?
Die Deutsch/Türkisch-Apps für das tägliche Leben – um Leute zu begrüßen, zum Geburtstag zu gratulieren oder beim Einkaufen. Im Verein habe ich einen Dolmetscher an meiner Seite. Der spricht aber nicht Deutsch, sondern Englisch. Das macht es etwas einfacher und bisher funktioniert das auch alles sehr gut.
Warum Samsunspor?
Nach der Schalke-Zeit habe ich etwas Ruhe benötigt, auch um mich selbst zu reflektieren, aber irgendwann hat es wieder gejuckt, ich wollte unbedingt wieder an der Linie stehen. Von Beginn an habe ich mich nicht nur auf Deutschland konzentriert, auch das Ausland war ein Thema. In Deutschland gab es zudem keine Interessenten, zu denen ich gesagt habe: Das passt zu 100 Prozent. Bei Samsun ergab sich dann eine Möglichkeit.
Wie kam der Kontakt zustande?
Ich habe die Zwischenzeit genutzt, um bei verschiedenen Vereinen zu hospitieren, unter anderem bei Chicago Fire in den USA. Dort ist mein ehemaliger Mitspieler Sebastian Pelzer angestellt. Partnerverein von Chicago Fire in Europa ist der FC Lugano, also habe ich auch dort hospitiert. In dieser Zeit erhielt ich den Anruf aus Samsun – der Klub hat nach der erfolgreichen Zeit mit Markus Gisdol einen deutschen Trainer gesucht. Wir haben schnell zueinander gefunden, innerhalb von 14 Tagen haben wir uns geeinigt.
Haben Sie mit Markus Gisdol gesprochen?
Ja, aber erst nach meiner Unterschrift, weil es mir wichtig war, dass ich mir mein eigenes Bild verschaffe. Markus hat in Samsun gute Arbeit geleistet, ist ein sehr angenehmer Trainerkollege. Wir sind immer noch in Kontakt.
Samsun ist in der Türkei eine Fahrstuhlmannschaft – so wie ihr langjähriger Verein VfL Bochum lange einer war. Warum haben Sie so schnell zugesagt?
Weil ich Herausforderungen mag. Als ich Bochum und Schalke übernommen habe, war die jeweilige Situation auch nicht ganz einfach. Ich will in meiner Trainerkarriere einiges erleben. Natürlich hatte Samsunspor schwierige Situationen in seiner Vereinsgeschichte – und aktuell gibt es ja eine Transfersperre.
Sie dürfen wegen der Fifa-Strafe nach dem Sommer 2024 auch im Winter 2024/2025 keine Spieler verpflichten. Dennoch haben Sie nicht an der Unterschrift gezweifelt?
Ich wusste von der Sperre. Bevor ich zum ersten Mal mit dem Präsidenten telefoniert habe, habe ich Videomaterial bekommen, mir die Spielweise angeschaut. Es gibt zwei deutschsprachige Spieler, Rick van Drongelen und Kingsley Schindler. Ich habe nie geklagt, dass ein Kader zu schlecht ist. Die Jungs, die ich habe, kennen sich länger, sie haben einen guten Teamgeist.
Wie anders ist es, als Trainer in der Türkei zu arbeiten?
Andere Sprache, andere Mentalität, andere Kultur, andere Religion, andere Entfernungen – ich habe den Spielern am Anfang ganz ehrlich gesagt, dass auch ich mich erst einmal einleben muss, dass ich alle kennenlernen muss. Allein die Zeiten waren im Sommer durch das Wetter anders, als es bis zu 40 Grad heiß war: morgens um 10 und abends um 18 Uhr Training. Die Spiele begannen um 21.45 Uhr, da gab es um 22.15 Uhr eine Trinkpause. In Deutschland undenkbar. Du musst dann den Tag als Trainer bis dahin ganz anders planen – in Deutschland geht das durch ein Anschwitzen auf dem Platz. Dafür war es hier aber zu heiß, da machst du dann eine Aktivierung im Fitnessbereich des Hotels. (lacht) Die Zuschauerzahlen sind hier auch nicht immer so wie in Deutschland, aber das war mir vorher natürlich bewusst – hier ist Deutschland einfach einzigartig.
Das heißt?
Gerade wenn um 16 Uhr gespielt wird, kann es sein, dass man auswärts vor 2000, 3000 Zuschauern spielt. Da arbeiten die meisten Leute noch, auch am Samstag oder Sonntag. Die Entfernungen für Fahrten sind auch anders. Als wir in Rize gespielt haben, saßen wir sechseinhalb Stunden im Bus, aber man gewöhnt sich daran und am Ende sind die Bedingungen für die anderen Teams genauso.
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Haben sich durch den Raketenstart die Erwartungen verändert?
Erst einmal: Wenn mir einer gesagt hätte, dass wir mit fünf Siegen aus sieben Spielen starten, hätte ich das blind unterschrieben. Natürlich steigen die Erwartungen, aber das war ja auf Schalke auch nicht anders. Da stehst du kurz vor der Champions-League-Qualifikation, wenn du einmal gewinnst. (lacht) Das Ziel bleibt ganz klar der Klassenerhalt. Der gute Start ist deshalb wichtig, weil viele Vereine in der Türkei ihren Kader komplett umgebaut haben. Die werden sich im Laufe der Saison noch finden. Wir haben nicht den individuell besten und breitesten Kader der Süper Lig, das sage ich den Spielern auch. Durch den guten Start glauben sie aber mehr an sich. Sonst hätten wir zum Beispiel gegen Göztepe am vergangenen Spieltag nicht aus einem 1:3 ein 4:3 machen können.
Bleibt das Ruhrgebiet denn Ihre Heimat?
Natürlich, auch wenn ich aktuell maximal in den Länderspielpausen da bin. Meine Frau wohnt noch überwiegend in Bochum, sie pendelt sehr oft. Sie fühlt sich auch total wohl in Samsun, denn ich habe hier ein ganz tolles Appartement mit Blick aufs Meer. Das Trainingsgelände liegt nur 20 Meter vom Meer entfernt. Das Ambiente ist gigantisch.
Etwas anders als zum Beispiel in Bochum mitten in der Stadt, gegenüber vom Gefängnis…
(lacht) Das ist aber auch Kult.
Verfolgen Sie den Weg Ihrer Ex-Klubs Bochum und Schalke?
Definitiv, ich hänge natürlich mit dem Herzen noch dran, auch wenn es bei beiden Vereinen am Ende nicht gut abgelaufen ist. In Bochum hatte ich das Gefühl, viel geschafft zu haben – ich habe den Verein im Abstiegskampf der Zweiten Liga übernommen. Wir haben den Klassenerhalt geschafft, sind aufgestiegen, dann in der Bundesliga geblieben, hatten Höhepunkte mit Siegen gegen Bayern und Dortmund. Meine Zeit auf Schalke war zu kurz, die Freistellung kam für mich aus dem Nichts. Ich hatte das Gefühl, meine Arbeit sei noch nicht beendet. Für den Umbruch habe ich leider keine Zeit mehr bekommen.
Haben Sie einige Erfahrungen mitgenommen?
Ich habe sehr viel gelernt. Wichtig ist mir, dass ich mir selbst treu und ehrlich bleibe..
Hätten Sie zum Beispiel auf Schalke mehr darauf drängen müssen, dass Sie Ihre Wunschspieler bekommen?
(überlegt) Ich habe meine Wünsche geäußert, aber es war nicht möglich, diese Spieler zu verpflichten. Ich kann ja dann nicht sagen: Jetzt trete ich zurück. Im Nachhinein kann man sagen, dass es nicht nur an mir gelegen hat, dass wir so schlecht gestartet sind, dass die Saison so gelaufen ist. Hätte sich die Saison unter Karel Geraerts mit dieser Mannschaft in eine andere Richtung entwickelt, hätte ich mich mehr gefragt: Was hast du falsch gemacht?
Die meisten Schalke-Fans sagen immer noch, Sie hätten perfekt gepasst. Tut das gut?
Solche Rückmeldungen, die auch ich bekomme, tun immer gut. Ich habe selbst das Gefühl, dass ich sehr gut gepasst habe, weil ich als Malocher vorangehe, einer aus dem Ruhrgebiet bin.
Im Oktober treffen Sie nun unter anderem auf Fenerbahce und José Mourinho.
Das ist geil. Mourinho war immer eins meiner Idole. Er ist zwar ein ganz anderer Typ als ich, eher sehr arrogant. Aber wie er den Druck gemeistert hat, immer Meister werden zu müssen, das hat mich fasziniert.
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