Herning. Dänemark spielt beim 40:30 Handball vom anderen Stern. Deutschland gegen Italien unter Druck. Statt Viertelfinale droht Hauptrunden-Aus.

Als eine Minute vor der Halbzeit die Tribüne in der Jyske Bank Boxen zu beben begann, bekam der kleine Trupp deutscher Fans ein Gefühl davon, was in den 29 Spielminuten zuvor die DHB-Handballer über sich hatten ergehen lassen müssen. Gefühlt machten die Fans in Weiß ja nur einen achtundsechzigsten Teil des Publikums aus, der Rest in der 15.000-Mann-Hölle von Herning war sowieso in dänischer Hand. Das Rütteln auf den Rängen wirkte bedrohlich, als würden die Anhänger gleich genauso verschluckt werden wie die Spieler von Bundestrainer Alfred Gislason unten auf dem blauen Hallenboden von den roten Riesen. Es war eine Machtdemonstration des Olympiasiegers und Titelverteidigers, der mit dem 40:30 (24:18) gegen die vollumfänglich überfahrene DHB-Auswahl unmissverständlich klarstellte: Wer am 2. Februar in Oslo Weltmeister werden möchte, muss spätestens da uns besiegt haben.

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Die Zweifel, dass einem Team dies gelingen könnte, steigen nach diesem Dienstagabend ins Unermessliche. Gislason muss mit seiner Lebenserfahrung von 65 isländischen Jahren bereits vorher gewusst haben, dass es sich bei der Wiederauflage des Olympia-Finals „nur um ein Handballspiel“ handeln würde. Am Ende war es ähnlich so schlimm wie im Fünf-Ringe-Sommer 2024 beim 26:39 in Lille. „Natürlich war das Ergebnis zu hoch“, sagte Bundestrainer Alfred Gislason. „Wir machen vorne zu viele Fehlwürfe. Um Dänemark in Probleme zu bringen, brauchen wir das perfekte Spiel.“ Und Timo Kastening befand: „Das Ergebnis spricht heute Bände“, sagte er. „Ich glaube, dass wir gar nicht so ein schlechtes Spiel gemacht haben. Wir müssen das gut aufarbeiten, abschütteln. An unseren Zielen ändert das nichts. Wir sind Deutschland, wir wollen immer gewinnen. Heute haben wir total verdient verloren.“

Julian Köster hielt mit sechs Toren zumindest offensiv am ehesten dagegen wie auch Timo Kastening (6/allesamt Siebenmeter), der ballverlustreiche Renars Uscins und Luca Witzke (je 5). Juri Knorr, wegen einer Erkältung im zweiten Durchgang zumeist auf der Bank, behielt schon Recht, als er meinte: „Das Turnier geht auch danach weiter.“ Man könnte sagen: Nix passiert. Aber das stimmt ja nicht.

Auch wenn mit einem Sieg das Viertelfinale gesichert wäre, kommt es am Donnerstag (18 Uhr/ZDF) zu einer einmaligen Situation in der Geschichte des deutschen Hallenhandballs: Dass die DHB-Auswahl von Italien am Einzug in die Runde der letzten Acht gehindert werden könnten, gab es noch nie. „Ich kann das noch gar nicht richtig träumen“, sagte Italiens Torhüter Domenico Ebner nach dem 25:18 zum Hauptrundenauftakt über Tschechien. „Wir gehen das Spiel mit voller Kapelle an.“ Mit einem Sieg über den Favoriten könnten der 30-Jährige vom Bundesligisten SC DHfK Leipzig, vor 30 Jahren in Freiburg geboren, und die Squadra Azurra das Gislason-Team aus dem Medaillenrennen werfen – vorausgesetzt, es wird im letzten Spiel gegen die Schweiz nicht verloren. Ebner selbstbewusst: „Wir haben nur gegen die Dänen verloren, alles andere hoch gewonnen. Ich glaube schon, dass die Deutschen uns respektieren werden.“

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Vor allem müssen die Gislason-Mannen nach dieser Lehrstunde wieder in die richtige Spur finden. Der Plan, die Abwehrmitte dicht zu machen, die Dänen im Positionsspiel unter Druck zu setzen, um ihnen Lockerheit und Bequemlichkeit von 117 Vorrundentoren zu nehmen, eigene Ballverluste zu minimieren, um Tempogegenstöße zu unterbinden, schlug von Beginn an fehl. Dänen lügen nicht: Es war ein Klassenunterschied zu sehen.  

David Späth, der nach dem starken Auftritt gegen Tschechien auch im ersten Hauptrundenspiel im Tor beginnen durfte, hatte den Ball nahezu ausschließlich in der Hand, um ihn aus dem Netz zu fischen. Der 22-Jährige und Andreas Wolff, ab Minute 20 zwischen den Pfosten, kamen zur Pause auf fünf Paraden. Dänen im Rückraum, Dänen auf den Außen, Dänen am Kreis – wenn die deutsche Deckung nicht teils mit einfachsten Körperfinten aus dem Spiel genommen war, sorgten traumhafte Abspiele auf den freien Nebenmann für einfache Abschlüsse. Beim 10:15 (17.) oder 15:22 (27.) musste Alfred Gislason fürchten: Treffen die Hausherren weiter so, werfen sie noch mehr Tore als die 47 in der Vorrunde gegen Algerien.

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Am Ende bremsten sich die übermächtigen Dänen bei 40 Toren und ließen Deutschland nach dem Seitenwechsel sogar immer mal wieder herankommen. Weniger als vier Tore betrug der Abstand aber zu keinem Zeitpunkt. Welthandballer Mathias Gidsel demonstrierte seine Einzigartigkeit, der Halbrechte von den Füchsen Berlin traf zehn seiner zwölf Versuche. Simon Pytlick auf der anderen Rückraumseite stand ihm mit acht Toren (bei zehn Versuchen) in nichts nach. Die dänische Luxusdebatte, ob Nationaltrainer Nikolaj Jacobsen Gidsel in der Vorrunde zu lange hatte spielen lassen (141 von 180 Minuten) und der 24-Jährige wichtige Körner liegen lassen würde für Partien gegen echte Gegner, war damit auch beendet. Dänemark hat kein Problem – jedenfalls nicht im Handball.