Herning. Juri Knorr droht den deutschen Handballern im WM-Viertelfinale zu fehlen. Die Alternativen? Für Lichtlein wie für Witzke spricht einiges.
Der Abschied aus der jütländischen Provinz wird den deutschen Handballern nicht schwerfallen. „Irgendwann ist ja auch mal gut“, befand Lukas Mertens zur Aussicht, am Sonntag zum kleinen Militärflughafen Karup zu fahren, um gemeinsam mit den dänischen Kollegen die Chartermaschine nach Oslo zur K.-o.-Runde dieser Weltmeisterschaft zu besteigen. Dann gibt die Mannschaft von Bundestrainer Alfred Gislason ihr Quartier in Silkeborg auf, in dem die Grundlagen fürs Minimalziel geschafft wurden: am Mittwoch im Viertelfinale zu stehen. Gegen wen es dann geht, ist völlig offen. „Einen Wunschgegner habe ich eh nicht“, sagt Nils Lichtlein.
Handball-WM: Anführer Knorr im dänischen Bettenlager, Abteilung Kranke
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Hätten am Abend zuvor die dänischen Fans auf den Tribünen oberhalb der Interviewzone nicht für ohrenbetäubenden Radau gesorgt, von jedem deutschen Spieler wäre nach dem 34:27 über Italien das laute Durchatmen in der Jyske Bank Boxen zu hören gewesen. In das sich ein Seufzen des Bundestrainers gemischt hätte, denn ob sein wichtigster Spieler in Oslo auflaufen kann? Eine Zitterpartie. „Eher bei Rune als bei Juri“, sehe Gislason im Viertelfinale mit dabei. Der Kieler Rune Dahmke und der Mannheimer Juri Knorr haben im dänischen Bettenlager, Ortsfiliale Silkeborg, jeweils isoliert in der Krankenabteilung eingecheckt. Ein fiebriger Infekt hat vor allem Knorr, Künstler auf der Position des Mittelmanns, erwischt. Weshalb sich Gislason zum Hauptrunden-Abschluss am Samstag (20.30 Uhr/ZDF) zwei Alternativen genau anschauen wird: einen Denker und einen Malocher.
„Die Zeit, die ich da war, habe ich genutzt. Wenn ich gebraucht werde, gebe ich alles“, lautet Lichtleins persönliches WM-Fazit soweit. Vier Tore sowie mehr Beweglichkeit in den Gedanken und den Beinen steuerte der 22-Jährige bei, um Italiens WM-Märchen zu beenden. In der abgelaufenen Bundesligasaison war der gebürtige Regensburger bester Nachwuchsspieler, der sich nicht als Konkurrenz zu Knorr versteht, sondern eine Komplementärfarbe ins Angriffsspiel bringe. „Schnelle Beine, viele Eins gegen Eins“ sind seine Stärken, jedenfalls mehr als seine Wurfgewalt. Denn aufgrund 184 Zentimetern Körpergröße überlistet er seltener den Mittelblock im Sprung. „Hüftwürfe müssen in meinem Repertoire schon häufiger vorkommen als bei anderen“, sagte der U-21-Weltmeister im Podcast der Berliner Morgenpost.
Handball-WM: Was Lichtlein von Welthandballer Gidsel lernen kann
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Bei den Füchsen in der Hauptstadt verleihen zwei besondere Mitspieler dem Rohdiamanten seinen Schliff. Rechts von ihm: Mathias Gidsel, der Welthandballer zeigt bei der WM jeden zweiten Abend sein Ausnahmekönnen. Links von ihm: Lasse Andersson, Typ Scharfschütze mit Urgewalt, ebenfalls in Herning zu bestaunen. Lichtlein dirigiert dazwischen, also in Berlin, setzt die Dänen in der Bundesliga in Szene. Das Lernpotenzial auf der Platte ist unerschöpflich. „Laufarbeit mit Ball, ohne Ball, nicht anzuhalten, Angriffe ständig fortzusetzen und weitere Ausfahrten zu finden“, schwärmt Lichtlein, „das ist schon sehr schöner Handball.“ Füchse-Boss Bob Hanning sagte einmal, das Vereinsjuwel vermittle mittels herausragender Antizipation „seiner Mannschaft und dem Gegner das Gefühl, dass er eine Sekunde in der Zukunft spielt“.
Nils Lichtlein kann Spektakel einleiten, unterliegt weniger Schwankungen. Luca Witzke dagegen sind Begriffe wie Maloche und Anstrengungen als Spross einer Bergbau-Familie aus St. Hubert nahe Krefeld äußerst geläufig, „ich musste mir immer alles erarbeiten“, sagt der 25-Jährige, der 2019 von TuSEM Essen zum SC DHfK Leipzig gewechselt war. Fünf Tore gegen Polen, als Knorr mit lädiertem Knie erstmals Sorgen bereitete, dokumentierten seine Wucht und Raffinesse. Mit Italiens Handball-Catenaccio kam der Niederrheiner am Donnerstag nicht zurecht. Trefferquote bei vier Versuchen: zero. „Hinten habe ich es, denke ich, aber ganz gut gelöst“, so Witzke, „und das Wichtigste ist der Mannschaftserfolg.“
Handball-WM: Für Witzke spricht das beherzte Zupacken auch in der Deckung
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Das angesprochene Zupacken im Deckungsverbund ist der größte Unterschied zum Berliner Kollegen, Witzke spielt nämlich auch in der Defensive. Im Sommer wechselt er zur SG Flensburg-Handewitt, wo man sich schon auf den Traum eines jeden Trainers freut. 1,91-Meter-Mann Witzke funktioniert zuverlässig, ist vertraut mit sämtlichen Systemen, wird von Kollegen geschätzt, ohne eigene Forderungen in den Vordergrund zu stellen: „Bei uns muss jeder kämpfen. Das ist gut so, pusht jeden an sein Maximum und quetscht die letzten Prozente aus uns raus.“
Ein geborener Teamplayer. Aber ob Nils Lichtlein und Luca Witzke am Mittwoch in Oslo Anführer oder Stellvertreter sein werden, lässt sich eh erst kurz vorher aus der Krankenakte Juri Knorrs ablesen.