München. Vor einem Jahr startete Nagelsmann gegen die USA in eine schwierige Mission. Wie er das DFB-Team zurück in die Spur brachte.
Der schwarze Kapuzenpullover war den Medien keine Erwähnung wert, als Julian Nagelsmann am 14. Oktober 2023 im US-amerikanischen Hartford über sein Debüt als Bundestrainer sprach. Vor seinem persönlichen Auftakt gegen die USA formulierte Nagelsmann vor allem zwei Ziele. „Es geht jetzt darum, Spiele zu gewinnen. Aber auch darum, eine gewisse Art und Weise auf den Platz zu bringen. Im Optimalfall gelingt uns beides“, sagte der damals 36-Jährige über den Neustart der Nationalelf, die unter Vorgänger Hansi Flick eines der schlechtesten Jahre in der DFB-Geschichte hinter sich hatte.
Und obwohl die deutsche Nationalmannschaft das Nagelsmann-Debüt überzeugend mit 3:1 gewinnen konnte, gab es anschließend nur ein Thema: Das blau-weiß karierte Holzfällerhemd, das der neue Bundestrainer während des Spiels trug. Das 310 Euro teure Kleidungsstück des DFB-Ausstatters „van Laack“ wurde später im Rahmen des RTL-Spendenmarathons versteigert und sorgte für mehr Schlagzeilen als die Tore von Ilkay Gündogan, Jamal Musiala und Niclas Füllkrug gegen die USA.
Nagelsmann hat seinen Stil verändert
Am 14. Oktober 2024 trifft Nagelsmann mit der Nationalmannschaft an diesem Montagabend in München auf die Niederlande (20.45 Uhr/ZDF). Genau ein Jahr nach seinem Debüt wird der Bundestrainer in seiner Heimatstadt wieder auf das schwarze Shirt des DFB-Ausstatters zurückgreifen, das er in den vergangenen Monaten immer getragen hat. Der modebewusste Münchener, der zu seiner Zeit als Bayern-Trainer gerne mal mit etwas auffälliger Kleidung für Aufmerksamkeit sorgte, hat erkannt, dass er in seiner Rolle als Nationaltrainer anders wirken sollte.
Dass Nagelsmann eine neue Energie in die DFB-Auswahl gebracht hat, konnten die Begleiter der USA-Reise bereits in den Trainingseinheiten seiner ersten Phase beobachten. „Aktiven“ und „aggressiven“ Fußball“ wollte der DFB-Coach mit seiner Mannschaft spielen und hinsichtlich der Heim-EM eine „Stimmung in der Mannschaft“ erzeugen. „Wir wollen nicht getriggert werden, sondern selbst triggern.“
Die Deutschen haben wieder Lust auf die Nationalmannschaft
Ein Jahr nach seinem ersten Spiel kann man bilanzieren, dass der Bundestrainer sein Vorhaben erfolgreich umgesetzt hat. Es ist das wohl größte Verdienst von Nagelsmann, innerhalb von zwölf Monaten dafür gesorgt zu haben, dass die Deutschen wieder Lust haben auf ihre Nationalmannschaft. „Wir haben fußballerisch einiges bewegt“, sagte Nagelsmann am Sonntagabend in München auf der Pressekonferenz, diesmal in einem lilaschwarzen Kapuzenpullover.
Nagelsmann hat das vor allem geschafft durch Siege und die Art und Weise, wie sich die DFB-Auswahl mittlerweile präsentiert. Das gilt nicht nur für die zurückliegende Heim-EM im Sommer, bei der die Nationalelf wieder eine Euphorie im Land auslösen konnte, sondern auch für die in den vergangenen Jahren ungeliebten Nations-League-Spiele wie das am Freitagabend in Bosnien-Herzegowina (2:1).
Trotz fünf verletzter Stammkräfte löste die DFB-Elf die Auswärtsaufgabe mit einer hohen Souveränität, die Kapitän Joshua Kimmich schon vor dem Spiel zusammenfassend für Nagelsmanns erstes Jahr hervorhob. „Vorher war es schon immer so, dass man ins Spiel gegangen ist und nicht so wirklich wusste: Was passiert heute? Jetzt können wir uns auf unsere Basis verlassen und dann auch immer wieder das eine oder andere Highlight-Spiel dabei haben“, sagte Kimmich, den Nagelsmann im September nach den Rücktritten von Manuel Neuer, Ilkay Gündogan, Thomas Müller und Toni Kroos zum neuen Spielführer der Nationalmannschaft ernannt hatte.
Nagelsmanns DFB-Mission begann holprig
Dabei begann auch die Mission von Nagelsmann in seiner zweiten Phase rückblickend holprig. Von seinen ersten vier Spielen konnte er nur eines gewinnen. Die beiden Niederlagen gegen die Türkei (2:3) und in Österreich (0:2) im November ließen die Öffentlichkeit auch an Nagelsmanns Bundestrainer-Tauglichkeit schnell zweifeln. Nach dem Österreich-Debakel schrieb die „Bild“-Zeitung, dass es keine Denkverbote auf der Position geben dürfe und alternativ Sportdirektor Rudi Völler die Heim-EM coachen könnte. Diese Debatte hatte sich Nagelsmann selbst zuzuschreiben, weil er plötzlich mit Experimenten wie dem von Kai Havertz als verkappten Linksverteidiger irritierte.
Gerade noch rechtzeitig begann bei Nagelsmann das Umdenken. Mehr „Worker“, weniger Zauberer lautete eine von mehreren Entscheidungen in der dritten Phase. Er löste sich von Spielern wie Mats Hummels, Leon Goretzka, Julian Brandt oder Robin Gosens und holte stattdessen Toni Kroos zurück. Zudem legte sich Nagelsmann Anfang des Jahres nach dem Vorbild von Basketball-Bundestrainer Gordon Herbert früh auf eine stringente Rollenverteilung fest und setzte auf mehr taktischen Pragmatismus. „Er hat seine Idee ein Stück weit vereinfacht“, sagte Kroos noch während der EM und lobte Nagelsmanns Teamstruktur. „Wenn Du die Rolle annimmst, bist du dabei. Wenn nicht, dann guckst du am Fernseher. Das hat er ganz klar kommuniziert, so klar wie selten ein Bundestrainer“, sagte Kroos.
Lücke von Kroos, Gündogan und Co. wurde kompensiert
Der Weltmeister, der am Montag in München bei seiner eigenen Verabschiedung nicht dabei ist, hatte nach dem Turnier eine große Lücke hinterlassen, die Nagelsmann in der vierten Phase seiner Amtszeit aber genauso problemlos kompensieren konnte wie die der anderen DFB-Routiniers. Mit einem Sieg gegen die Niederlande kann sich die deutsche Mannschaft am Montagabend bereits vorzeitig für das Viertelfinale der Nations League qualifizieren. Die Maxime „Nur die Siege zählen“ hat die Nationalmannschaft wieder auf den richtigen Weg gebracht.
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Ob dieser Weg in zwei Jahren auch dorthin führen kann, wo für Nagelsmann vor einem Jahr alles begann, wird sich zeigen. Völler will gerne schonzeitnah über die WM hinaus mit Nagelsmann verlängern, wie er am Sonntag bei „Welt TV“ sagte. „Wir werden versuchen, Julian zu überzeugen, dass es für ihn Sinn ergibt, noch mal ein paar Jährchen Nationaltrainer zu bleiben. Das wird man zum gegebenen Zeitpunkt sehen“, sagte Völler. Erst im April hatte Nagelsmann seinen ursprünglich bis zum Sommer 2024 vorzeitig bis 2026 verlängert.
Nagelsmann spricht über mögliche Vertragsverlängerung
Ob der Bundestrainer zuvor seinen Kontrakt erneut ausweiten wird? Dazu äußerte sich Nagelsmann am Sonntag ausweichend. „Das weiß ich noch nicht. Rudi hat ja auch nur einen Vertrag bis 2026. Aber es ist natütlich besser als wenn er sagt, hoffentlich ist er bald vom Hof.“ Grundsätzlich könne sich Nagelsmann aber alles vorstellen. Jetzt wollen wir hoffentlich die Nations League gewinnen, die WM-Qualifikation schaffen, eine gute WM spielen und dann schauen wir mal.“
Das Ziel WM-Titel in den USA hatte der Bundestrainer bereits nach der EM mutig ausgesprochen. Und weil sich nicht nur die Nationalmannschaft wieder stetig weiterentwickelt, sondern auch Nagelsmann, kann dieses Ziel 2026 mehr werden als nur ein forsch formulierter Traum.