Hartford. Mit einem 3:1-Sieg im Testspiel gegen die USA hat die deutsche Nationalmannschaft Julian Nagelsmann eine gelungene DFB-Premiere beschert.
Eine Buszufahrt war für das Pratt & Whitney Stadium, das zwar erst im Jahr 2003 errichtet worden ist, aufgrund seines rustikalen Charmes aber deutlich älter wirkt, offenbar nicht vorgesehen. Am Ende eines Arbeitstages müssen die Fußballer eine kleine Rampe hinaufgehen, die aber keinen Profi aus der Puste bringen wird. Höchstleistungen vollbrachten sie zuvor.
Oben angekommen erhielten die Spieler aber trotzdem einen Empfang, als hätten sie gerade Außergewöhnliches geleistet, als hätten sie etwa mit letzter Kraft einen 3000-Meter-Berggipfel erklommen. Rund 100 Fans brüllten, kreischten, hofften auf Autogramme und Selfies. Die Aufregung ist kaum verwunderlich: Wann schauen schon mal die Stars aus Europa in Connecticut vorbei?
DFB-Team reist weiter nach Philadelphia
Die Vertreter des Deutschen Fußball-Bundes verschwanden am Samstagabend recht zügig in ihrem Bus. Einerseits, um trotz warmen Applauses nicht mehr länger als nötig dem usseligen Herbstwetter der amerikanischen Ostküste ausgesetzt zu sein, in dem sie zuvor in 90 Minuten ihr Länderspiel gegen die USA mit 3:1 (1:1) gewonnen hatten. Andererseits, weil sie ja noch rund zwei Stunden nach Schlusspfiff den Flieger nach Philadelphia erwischen mussten, wo sie am frühen Mittwochmorgen deutscher Zeit ihr zweites Testspiel gegen Mexiko absolvieren werden.
+++Musiala und Sané zaubern gegen die USA - Note 1,5+++
Zeit, um dort als Belohnung für den überzeugenden Sieg gegen die USA auf den Spuren von Filmboxer Rocky Balboa zu wandeln, bleibt allerdings nicht. Das stellte Julian Nagelsmann nach seiner geglückten Premiere als Bundestrainer gleich klar. „Einen halben Tag frei geben, werde ich ihnen nicht, vielleicht mal ein Stündchen – wir sind ja nicht zum La-Paloma-Pfeifen hier“, meinte der 36-Jährige. Da ist wieder Zug drin bei der deutschen Elf.
Testspiel sorgt für Selbstvertrauen beim DFB-Team
Auch auf dem Rasen, das ließ sich nicht nur bei den Toren von Ilkay Gündogan (39.), Niclas Füllkrug (58.) und Jamal Musiala (61.) studieren. „Wir hatten insgesamt viel Mut, viele fußballerisch gute Aktionen und in der zweiten Halbzeit auch mehr Geduld und Ballbesitz in der gegnerischen Hälfte“, lobte Nagelsmann. Rückkehrer Mats Hummels, der in der Innenverteidigung einen soliden Job machte, nahm die Erkenntnis mit auf den Flug Richtung Bundesstaat Pennsylvania, „dass man gesehen hat, und vor allem, dass wir gesehen haben, was wir wollen und dass es funktioniert“. Das bringt Selbstvertrauen.
Natürlich offenbarte die DFB-Elf auch bei Nagelsmanns Debüt noch die eine oder andere Schwachstelle. In der ersten Halbzeit verteidigte sie zu weit vorne, was den schnellen US-amerikanischen Angreifern immer wieder Räume eröffnete. „Im hohen Pressing können wir noch zulegen, aber das werden wir auch. Es war nicht alles perfekt, aber das ist gut – ich arbeite gerne“, kündigte der neue Cheftrainer an.
Niclas Füllkrug: "Ballverluste waren dabei, die sehr wehtaten"
Ein paar „Ballverluste waren dabei, die sehr wehtaten“, gab Angreifer Füllkrug zu. Einer führte auch zum Tor der Amerikaner. Die Gastgeber gingen durch einen wunderbaren Schlenzer ihres Kapitäns Christian Pulisic nach 28 Minuten mit 1:0 in Führung. Zuvor ließen sich Jonathan Tah und Hummels auf der rechten Außenbahn düpieren.
In der Pause nahm Nagelsmann „einen Schachzug“ vor, meinte Füllkrug. Die Deutschen verteidigten nun etwas tiefer. Dadurch hatten „wir mehr Kontrolle“, so der Dortmunder Angreifer.
DFB-Team überzeugt durch mitreißenden Fußball
Das Resultat: Musiala und Sané wirbelten, Gündogan zog die Fäden, das Endergebnis stimmte - und schon lange hat eine deutsche Elf dabei nicht mehr so mitreißend gespielt. Das war letztlich sogar die wichtigste Botschaft, die eine vor wenigen Wochen noch totgeglaubte Mannschaft am Samstag auf der anderen Atlantikseite in die Heimat gesendet hat.
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„Wichtig war, dass wir eine gewisse Ästhetik im Spiel haben, heute hat es gut ausgesehen, wir haben ordentlichen und leidenschaftlichen Fußball gespielt“, meinte Nagelsmann. „Die Basis ist für mich, dass die Spieler Spaß haben. Die Nationalmannschaft ist kein Alltag, sondern Passion und Leidenschaft, die will ich sehen und das war gut.“
Acht Monate bis zur Fußball-Europameisterschaft in Deutschland
Vielleicht wird es ja doch noch etwas mit einer erfolgreichen Europameisterschaft. Acht Monate ist es hin bis zum Turnier im eigenen Land. Viel Zeit bleibt nicht, aber die Fortschritte, die Nagelsmann schon nach wenigen Trainingstagen in Nordamerika präsentiert hat, sind durchaus beachtlich. Der 36-Jährige könnte tatsächlich die erhoffte Wende einleiten.
Sogar Sommermärchen-Vergleiche, die vor Kurzem noch belächelt wurden, waren am Samstag wieder angebracht. Ganz unironisch. Hummels erinnerte an 2006, als er die WM daheim in München als Fan erlebte. „Was nach jedem Spiel los war und rund um die Spiele in Deutschland, war der Wahnsinn“, schwärmte der 34-Jährige. „Mit Auftritten, bei denen die Fans merken, dass wir Bock haben, dass wir gerne für Deutschland auf dem Platz stehen, dann kann man eventuell wieder so eine Atmosphäre kreieren.“
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Thomas Müller: Bayern-Star gibt sich zurückhaltend
Der nach 81 Minuten für Füllkrug eingewechselte Thomas Müller gab sich da etwas zurückhaltender. „Schauen wir von Spiel zu Spiel. Insgesamt war das schon ein guter Auftritt“, sagte der Münchener. Ärgerlich nur, dass den nächsten in Nordamerika kaum jemand in Deutschland sehen wird. Mitten in der Nacht europäischer Zeit (2 Uhr/ARD) wird die Partie im Lincoln Financial Field angepfiffen.
Dabei ähnelte das Spiel gegen die USA ja der ersten Folge einer vielversprechenden Serie, bei der man unbedingt wissen will, wie es weitergeht. „Es wäre schön, wenn die Serie gut weitergeht“, befand Nagelsmann. „Mit Happy End wäre noch besser.“