Herning/Oslo. Die Abwehr war Aushängeschild der Handballer, bei der WM ist sie Schwachpunkt. In Oslo kommt die Zeit für einen Wandel. Ein Kommentar.

Der Deckungsverbund ist der Ort auf einem Handballspielfeld, an dem die Nationalspieler am allerwenigsten mit La-Paloma-Pfeifen ihr Geld und ihre Meriten verdienen. Es braucht dort eine äußerst sportlerlebensbejahende Haltung, geistige und vor allem muskulöse, teils fleischige Widerstandskräfte. Das deutsche Team hat sich in den vergangenen Jahren den Ruf erarbeitet, speziell über die Abwehr zu Erfolgen zu kommen. Auch wenn dies dämlicherweise den Dänen immer noch eine Ecke besser gelang und anhaltend gelingt, sie wie Planierraupen alle Kontrahenten auf dem Weg zu Titeln und Goldmedaillen plattwalzen.

Handball-WM: Deutschland kassiert zu leichte Gegentore, lässt sich zu einfach auswackeln

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Bundestrainer Alfred Gislason konnte sich trotzdem vor Weltklassetorhüter Andreas Wolff und Stellvertreter David Späth stets auf ein vielarmiges, -beiniges und -brüstiges Abwehrgeleit verlassen – welches das auf den Namen Mannschaftserfolg getaufte Mutterschiff höchstselten in brenzliche Situationen gerieten ließ. Schieben, Schubsen und Schweißarbeit hinten führten weniger zu fünf Siegen in den bisherigen sechs WM-Spielen. Die Deutschen ließen sich häufig leicht auswackeln, kassierte leichte Gegentore, waren anfällig gegen große Rückraumspieler, liefen bei Tempogegenstößen hinterher.

Nicht leicht zum Wurf kommen lassen: Die beiden deutschen Abwehrspieler Lukas Stutzke und Justus Fischer gegen Dänemarks Welthandballer Mathias Gidsel.
Nicht leicht zum Wurf kommen lassen: Die beiden deutschen Abwehrspieler Lukas Stutzke und Justus Fischer gegen Dänemarks Welthandballer Mathias Gidsel. © dpa | Sören Stache

Johannes Golla, selbst müde vom dritten Großturnier binnen 13 Monaten, braucht nicht die Kapitänsbinde, um den Finger in die Wunde zu legen. Ob Verletzungen oder Überbelastung, der Abwehrchef vermisste in den Herninger Tagen das blinde Verständnis, die Konzentration, die Entschlossenheit. Keine Kollegenschelte, sondern ein Wachrütteln. Damit am Mittwoch nach dem Viertelfinale gegen aus der Distanz und im Eins gegen Eins starke Portugiesen ein achter (voraussichtlich gegen Dänemark) und neunter (voraussichtlich ein Spiel um Platz drei) WM-Einsatz in Oslo garantiert sein soll.

Handball-WM: Erwartungshaltung ist für Marko Grgic „ein Rucksack“

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Dem Gislason-Team mangelt es keineswegs an Härte und Willen. Es lernt aber gerade neue Seiten eines Entwicklungsprozesses kennen: Abgesehen von Partien gegen Dänemark und Frankreich betritt Deutschland als Favorit die Platte. Für Marko Grgic manchmal „ein Rucksack“. Für Abwehrspieler Christoph Steinert ein Ansatz, auch mal wieder die Bad Boys zu reaktivieren und raushängen zu lassen, den Gegner nicht unfair auf Kosten von Zeitstrafen, aber notfalls mit Fouls aus dem Spielfluss zu bringen.

Bundestrainer Alfred Gislason braucht im WM-Viertelfinale gegen Portugal einen positiven Andreas Wolff - und natürlich eine weitere Weltklasseleistung des 33-Jährigen.
Bundestrainer Alfred Gislason braucht im WM-Viertelfinale gegen Portugal einen positiven Andreas Wolff - und natürlich eine weitere Weltklasseleistung des 33-Jährigen. © dpa | Sören Stache

Für Oslo müssen die Spieler um Johannes Golla ihre Bravheit ablegen, an Emotionalität zulegen. Die Leichtigkeit vom Olympia-Silber kehrt nicht zurück, indem Andreas Wolff wie eingangs des Turniers auf dem Boden sitzend nach Gegentoren motzt, Torschützen und Abwehrblock sich nach gelungenen Aktionen nicht mal richtig gehen lassen. Beinahe stille Wässerchen, die zu ihrem Glück aber so reflektiert, strukturiert und mit Eigenvertrauen ausgestattet sind, dass sie die schwerfälligen ersten Halbzeiten mit viel Arbeit und Können noch selbst begradigen konnten. Ob das gegen Portugal genügen wird, ist allerdings fraglich.