Paris. Nachnutzung der Spielstätten, bessere Infrastruktur, wirtschaftliche Gewinne. Ein Experte klärt auf, weswegen sich Olympia lohnt.
Den Olympia-Blues konnte Tony Estanguet den Parisern direkt nehmen. Die Olympischen Spiele seien erst „das Hinspiel“ gewesen, sagte der Vorsitzende des Organisationskomitees bei der Abschlussfeier im Stade de France. In zwei Wochen gehen schließlich die Paralympics los, das Rückspiel.
Der dreifache Kanuslalom-Olympiasieger hätte auch direkt auf die daran anschließende Verlängerung verweisen können. Denn Olympische Spiele haben Nachwirkungen auf ihre Ausrichterstädte, die weit, weit über den unmittelbaren Zeitraum hinausreichen. Und zwar ganz überwiegend positive, sagt Mathias Kuhlmann.
Welche Mehrwerte Olympische Spiele für ihre Ausrichterstädte haben
Der Sozialwissenschaftler und Journalist beschäftigt sich den hoch ambitionierten Olympiaplänen von Hamburg vor zehn Jahren mit dem Vermächtnis Olympischer Spiele für die Ausrichterstädte. Auch in Paris war der gebürtige Hamburger, schaute sich Wettkampfstätten an und führte viele Gespräche mit Einwohnern. Das Fazit des 61-Jährigen: „Olympia hinterlässt einen Entwicklungssprung.“
In Frankreich bezieht sich das vor allem auf die Nachnutzung. Das olympische Dorf wird künftig für soziales und städtisches Wohnen verwendet; die Stadt stellt zudem Sportstättenmanager ein, die freie Zeiten in Arenen beispielsweise an Schulen vergeben. Die einzigen beiden Neubauten wurden im strukturell schwachen Stadtteil St. Denis angelegt, um ihn aufzuwerten.
Paradebeispiel München: Wie Städte von Olympia profitieren
Von der Verkehrsinfrastruktur war Paris mit der grandiosen Metro bereits gut aufgestellt. „Das Fahrradwegenetz und das Konzept der 15-Minuten-Stadt wurden durch Olympia aber massiv vorangebracht“, sagt Kuhlmann. Mega-Events bieten die Chance, durch öffentliche und private Großinvestitionen Entwicklungssprünge zum Nutzen aller auszulösen und viele nachhaltige Jobs für Menschen mit unterschiedlichen Kompetenzen zu schaffen. „An den meisten Ausrichterstädten wurde es sinnvoll verwendet“, so der frühere Badminton-Leistungssportler.
Das Paradebeispiel findet sich – aufgepasst – in Deutschland. „Olympia 1972 war bahnbrechend für München.“ Im Wortsinn. Der U-Bahn-Bau wurde dadurch massiv vorangetrieben. Im Olympiapark entstand ein bis heute kultiges und extrem angefragtes Studentenwohnheim, Künstler siedelten sich an. Genauso aber Unternehmen wie BMW. „Der Wohlstand von München basiert auch auf Olympia“, sagt der in Berlin lebende Kuhlmann. Diese Chance blieb in Hamburg ungenutzt.
Die Einnahmen in London übertrafen die kühnsten Erwartungen der Ökonomen
Den größten Effekt hatten bislang die Spiele 2012 in London. Einnahmen durch Investitionen, Wirtschaftsbeziehungen und Tourismus überstiegen die kühnsten Prognosen, übertrafen die Milliardenausgaben deutlich. Olympia hatte einen positiven Effekt auf den Arbeitsmarkt in Großbritannien, das bis heute zudem auf gesellschaftlicher Ebene davon profitiert.
Kuhlmann verschweigt die Schattenseiten nicht. Barcelona (1992) wurde zwar zum Tourismusmagneten, bekam den weltberühmten Stadtstrand, „aber der Wohnungsmarkt ist wahnsinnig angespannt“. Auch in Paris müsse man abwarten, „ob die Nachnutzungskonzepte wirklich die Zielgruppe erreicht, die sich sonst bei der Wohnungssuche schwertut“, sagt Kuhlmann.
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Negativbeispiele der jüngeren Vergangenheit sind Athen (2004) und Rio de Janeiro (2016). Insbesondere in Griechenland rotten ehemalige Spielstätten seit Langem vor sich hin. Auch in der brasilianischen Metropole war die Sorge vor solchen „weißen Elefanten“ groß. In den ersten Jahren nach den Spielen erschien sie berechtigt, inzwischen gibt es konkrete Ansätze zur Nachnutzung ehemaliger Wettkampforte. Die Verlängerung wurde mit Verzögerung angepfiffen.