Paris. Zum dritten Mal lässt das IOC eine Flüchtlings-Mannschaft antreten. Medaillen sind nebensächlich, aber werden erstmals real.
Es nutzt nichts, sich kleine Ziele zu setzen. Selbst wenn die großen meist unerreichbar scheinen. Doch ohne Träume ist das Leben manchmal wenig wert. Mohammad Amin Alsalami kennt dieses Gefühl nur zu genau. Als er auf der Flucht aus seiner Heimat war, begleitete es ihn auf dem langen Weg, den er zurücklegen musste, um irgendwann in Deutschland anzukommen.
Nun ist er in Paris, nimmt im Stade de France einen langen Anlauf, springt. Er will ins Finale der Besten. „Ich möchte beweisen, dass ich nicht nur in Paris bin, weil ich ein Flüchtling bin, sondern auch, weil ich es als Sportler verdient habe“, sagt er. Doch die 7,55 Meter, mit denen der Weitspringer als Saisonbestleistung anreist, verheißen von vornherein kaum Chancen. Mit 7,24 Metern verpasst er es schließlich deutlich, seinen Traum zu realisieren.
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Aber deshalb war nicht alles umsonst. Der 30-Jährige, der in Berlin lebt, gehört zum Flüchtlingsteam des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Für alle geht es vordergründig darum, überhaupt mitmachen zu können bei den Olympischen Spielen. „Dafür kämpfe ich, seitdem ich mit der Leichtathletik angefangen habe“, so der aus Syrien stammende Athlet, der 2016 nach Deutschland kam.
37 Athleten umfasst das Flüchtlingsteam in Paris
Zum dritten Mal in Folge lässt das IOC dieses Team antreten, um so auf den Status dieser Menschen und damit die Probleme in der Welt aufmerksam zu machen. „Sie sind eine Bereicherung für unsere olympische Gemeinschaft und unsere Gesellschaften“, sagt Präsident Thomas Bach. In Frankreich besteht die Mannschaft aus 37 Athleten, die in 15 verschiedenen Ländern leben. Meist stammen sie aus Asien und Afrika.
In zwölf Sportarten kämpfen sie darum, erstmals eine Medaille für das Flüchtlingsteam zu gewinnen. „Wir haben ein sehr konkurrenzfähiges Team diesmal“, sagt Jojo Ferris, die Chefin der Olympic Refuge Foundation. Doch im Mittelpunkt steht das natürlich nicht. „Diese Sportler sind ein Symbol für die 120 Millionen Menschen, die weltweit ihre Heimat verlassen mussten. Diesem Team geht es darum, diese Situation ins Rampenlicht zu rücken“, erzählt Ferris.
Zehn der Flüchtlings-Sportler leben in Deutschland
Mit zehn Athleten hat ein Großteil des Flüchtlingsteams mittlerweile in Deutschland sein neues Zuhause gefunden. Neben Alsalami wird auch Omid Ahmadisafa, ein gebürtiger Iraner, in Berlin betreut. Der Boxer belegte Platz 17 in der Klasse bis 51-Kilogramm. Viele der Sportler scheiden früh aus, weil die Bedingungen für sie schwierig waren in früheren Jahren. Oft sind lange Pausen mit der Flucht verbunden.
Alsalami etwa fing ohnehin erst mit 16 Jahren in seiner Heimatstadt Aleppo mit der Leichtathletik an. „Mein Trainer in Syrien war ein ehemaliger Athlet im Weitsprung und Dreisprung. Er erzählte mir, was Sport bedeutet, was Leichtathletik bedeutet und wie das Leben als Profisportler aussieht. Er hat mich dazu gebracht, mich in die Leichtathletik zu verlieben“, erzählt er.
Doch der Krieg dort zwang seine Familie 2014, in die Türkei zu fliehen. Ein Jahr später folge Alsalami ihr, entschloss sich aber dort, weiterzuziehen, um seinen Sport ausüben zu können. Per Schlauchboot ging es über das Mittelmeer auf eine griechische Insel. Die Entscheidung, die Familie zurückzulassen und das Leben zu riskieren, war unheimlich schwer. 25 Tage dauerte es, bis er Deutschland erreichte.
Schon das Ende der Bootsfahrt war wie eine Erlösung. „Nachdem ich mit festem Boden unter den Füßen aus diesem Schlauchboot ausgestiegen war, wusste ich: Ich werde nicht sterben. Jetzt wird alles besser. Schlimmer kann es nicht werden. Meine Zukunft beginnt jetzt“, so der Weitspringer, der mittlerweile bis zu zwölf Mal in der Woche trainiert.
Die Sportler sollen Vorbilder für viele andere sein
Der Leichtathlet hat viel gemacht aus den Möglichkeiten, die ihm offeriert wurden. Dafür ist er dankbar. Es zu den Spielen zu schaffen, gelang jedoch nicht nur durch die Unterstützung, die er beim SC Charlottenburg erhielt. Er bekam vom IOC ein Stipendium, das ihn finanziell unabhängiger werden ließ, wodurch er sich noch mehr auf den Sport konzentrieren konnte. Doch selbst seine Bestleistung von 7,88 Meter hätte nicht für das Finale in Paris genügt.
Die Chance auf die erste Medaille für ein Mitglied des Flüchtlingsteams war allerdings real. Cindy Ngamba war am Sonntag die erste Sportlerin, der dies gelang. Die Boxerin, die aus Kamerun stammt, gewann ihr Viertelfinale in der Klasse bis 75 kg gegen die Französin Davina Michel einstimmig nach Punkten (5:0) und wird damit mindestens Bronze holen. Es ist ein schönes Zeichen, wenn auch nicht das wichtigste. „Was ich bemerkenswert finde, ist, wie sehr die Sportler erkennen, dass sie Hoffnung geben, ermutigen und Vorbilder für so viele andere auf der Welt sein können“, sagt Jojo Ferris.