Köln. Deutschland trifft im EM-Viertelfinale auf Spanien. Das Team macht bisher einen starken Eindruck. Welche Schwäche das DFB-Team nutzen muss.
Rund eine halbe Stunde war gespielt, da trat Rodri Hernandez auf den Ball. Dazu bewegte er die Handrücken in Richtung des Rasens. Ruhig, ganz ruhig, signalisierte er seinen Nebenleuten. Spanien lag 0:1 gegen tief gestaffelte, heldenhaft kämpfende Georgier zurück und drohte angesichts des unerwarteten Spielverlaufs immer hektischer zu werden. „Manchmal bringt es mehr, 30 Sekunden anzuhalten als sofort wieder anzugreifen“, erklärte Rodri später, denn als er die Ordnung wiederhergestellt hatte, nahm er sich auch des Resultats an. Mit einer perfekten Aktion aus Annahme und Abschluss erzielte der defensive Mittelfeldspieler den Ausgleich, und von da an blickte Spanien nicht mehr zurück. Mit einem 4:1 und insgesamt 36 Torabschlüssen endete der Warmup für ein Viertelfinale, auf das alle bei dieser EM gewartet haben.
Am Freitag (18 Uhr/ARD) geht es in Stuttgart gegen den Gastgeber, und Rodri ahnt, „dass Deutschland zuhause natürlich stark auftreten wird“. Aber genauso sicher ist er sich, „dass sie sich auch vor uns sorgen werden“. Er dürfte damit richtig liegen.
Spanien-Trainer gibt sich vor Deutschland-Duell selbstbewusst
Der Stratege von Manchester City ist das Hirn einer Mannschaft, die fast alles zu haben scheint. Spektakuläre Angreifer wie die beiden Flügel Nico Williams und Lamine Yamal, 21 und 16 Jahre alt. Einen künstlerischen, wendigen Mittelfeldspieler wie Pedri und einen dynamischen, torgefährlichen wie Fabián Ruiz. Exzellente Außenverteidiger wie Real Madrids Champions-League-Held Dani Carvajal und den neuen Kultspieler Marc Cucurella mit seinen wehenden Locken. Und selbst auf der Bank noch so hochkarätige Alternativen wie den vielseitigen Halbstürmer Dani Olmo.
Diesen Überfluss zu verteidigen hat bislang kein EM-Gegner geschafft. Es reicht ja nicht, Spaniens Flügel zuzustellen, denn die Mitte ist weiterhin stark. Rodri allein würde mindestens einen Sonderbewacher benötigen. „In ihm haben wir einen perfekten Computer, der alle Situationen und Emotionen meisterlich verwaltet“, sagte Nationaltrainer Luis de la Fuente nach dem Schlusspfiff in Köln.
Der 63-Jährige steht wahrlich nicht im Verdacht, seine „selección“ klein zu reden. Schon das ganze Turnier über trägt er seine Auffassung vor sich her, „die beste Mannschaft und die besten Spieler“ zu haben. Im Hinblick auf den Showdown mit dem EM-Gastgeber unterstrich er dieses Selbstbewusstsein noch einmal explizit.
Spaniens Zauberworte: Variantenreichtum und Unberechenbarkeit
Um das Fundament für solche Sprüche hat sich de la Fuente in beträchtlichem Maße verdient gemacht. Bei seinem Amtsantritt nach der WM 2022 galt er als Billignotlösung, ein Verbandsgeschöpf, das zuvor nie in der ersten Liga trainiert hatte. Doch er betonte schon damals die Vorzüge seiner neun Jahre als Trainer von U19 und U21: Er kenne praktisch alle Spieler, fußballerisch wie menschlich, und er wisse, was Spanien benötige, um die Erfolge bei den Junioren wieder auf das A-Team zu übertragen.
Die Zauberworte lauteten Variantenreichtum und Unberechenbarkeit. De la Fuente hat sie nicht erfunden, seit einer Dekade fahndete Spanien nach Wegen, sein zunehmend zahnloses Tiki-Taka um Überraschungsmomente zu erweitern. Doch erst der neue Trainer hatte den Mut, gegebenenfalls auch mal auf Direktfußball, Konter oder Schüsse aus der zweiten Reihe zu setzen. Und das historische Glück, dass ihm zwei Außenstürmer vom Himmel fielen, wie sie Spanien in ihrer Verbindung von Talent und Tempo, Fantasie und Athletik überhaupt noch nie hatte.
Darf Yamal mit 16 Jahren überhaupt nach 23 Uhr bei der EM kicken?
Linksaußen Williams, 21, kam schon unter Vorgänger Luis Enrique bei der WM 2022 zu ersten Turniereinsätzen – gegen Georgien krönte er seinen Aufstieg mit seinem ersten Turniertor, dem 3:1, ein Kunstwerk aus Rasanz und Wucht. Rechtsaußen Yamal, 16, war vor zwei Jahren noch in der Frühpubertät und sorgt jetzt für Kuriositäten wie jene, dass er im Teamcamp vom erfolgreichen Bestehen des mittleren Schulabschlusses erfuhr und den Boulevard mit Spekulationen beschenkt, ob er nach deutschem Recht als Minderjähriger nach 23 Uhr überhaupt noch spielen dürfte. Gegen Georgien schickte er zum 2:1 von Fabián eine Flanke mit links in so diabolischer Kurve in den Strafraum, dass die Fans schon während ihres Flugs zum Torschrei ansetzten.
Spanische Schwächen? Am ehesten die Innenverteidigung, in der Robin Le Normand bei Georgiens erster Torannäherung ein Eigentor produzierte. Bisweilen auch ein fast naiver Purismus, der sich weigerte, georgische Konter durch taktische Fouls zu unterbinden. Vor der Partie trieben Spanien außerdem Zweifel um, wie die überwiegend junge Elf auf Rückschläge reagieren würde. Nach dem ersten Turniergegentor in Köln wuchsen sie sogar. Bis Rodri kam und den Fuß auf den Ball stellte.