Essen. Wer ein Spiel der EM 2024 besucht, der kennt sie: Die Selfie-Fans und Influencer auf den Rängen. Das nervt manche Umstehenden. Eine EM-Kolumne.

Nicht mehr lange bis zum Anpfiff. Das Prickeln beginnt. Die Fans singen sich warm. Der Platz neben mir ist leer. Klasse! Denn vor mir steht der größte Mann der Welt. Die Mannschaften betreten den Rasen. Gänsehaut. Da drängelt es von links. Eine Frau – Gesicht gestrafft, Trikot geknotet – schiebt sich durch die Reihe in Richtung freier Platz. Recht vorsichtig, eine dicke Lippe riskiert sie nicht, die hat sie eh schon.

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Gerade noch rechtzeitig schafft sie es zur Hymne. Die ersten Takte erklingen und: alle Arme hoch! Ein Meer aus Handybildschirmen. Haben die etwa alle Oma eine Aufnahme versprochen? Kaum einer schaut auf den Platz, Hauptsache das Video verwackelt nicht.

EM 2024: Lohnt da schon ein Video?

Sie berauben sich eines besonderen Moments. Doch statt der realen zählt für sie die digitale Welt. In den Sozialen Medien gilt es nicht zu genießen, sondern zu protzen. Guck mal, was ich kann. Guck mal, wo ich bin. Guck mal, wie geil mein Leben ist.

Sportredakteurin Melanie Meyer erlebte die Social-Media-Fans im Stadion.
Sportredakteurin Melanie Meyer erlebte die Social-Media-Fans im Stadion. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Das Spiel ist angepfiffen. Der Riese vor mir sitzt, auch er mit Smartphone in der Hand. Aufs Feld schaut er nur gelegentlich. Ärgerlich, dass ein Fußballspiel so viel länger dauert als ein TikTok-Video. Auf dem Platz wird es hektisch. Er schaut hoch: Ist was passiert? Lohnt sich ein Video?

Was auf dem Spielfeld passiert, interessiert sie nicht

Einige Reihen über mir: Zwei Mädels singen Fanlieder, ansonsten plappern sie permanent in ihr Handy. Zur Pause verstummen sie. Auswertung des Filmmaterials. Dann posiert die eine mit geübter Gestik, die andere fotografiert und filmt mit semi-professionellem Equipment. Sind sie Freundinnen oder Arbeitskolleginnen? Die Welt der Influencer – oft ohne Inhalt, aber immer perfekt ausgeleuchtet.

Das Spiel geht weiter. Es wird spannend. Neben mir ist das egal. Lieber noch ein Selfie. Dann, die entscheidende Ecke kurz vor Schluss. Alles schaut gebannt auf den rechten Strafraum. Meine Nachbarin möchte jetzt aber gerne gehen. „Hinsetzen“, brüllen mehrere Besucher hinter mir. Jemand schiebt sie mit einer Handbewegung auf den Platz zurück. Weil sie die Situation nicht versteht, kichert sie bloß. Die Ecke bringt nichts mehr. Das Spiel ist aus. Ob sie noch weiß, wer gespielt hat?

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