Stuttgart. Die Mittelfeldzentrale mit Gündogan und Kroos wird zum Prunkstück des deutschen Spiels. Über ein Duo, das sich endlich gefunden hat.

Um die Größe der ersten Verdienste Julian Nagelsmanns zu erkennen, hilft ein Blick zurück in den November 2020. Beim Versuch, Spaniens Fußball-Künstler ihr Werk mit den eigenen Mitteln zu verderben, setzte der damalige Bundestrainer Joachim Löw auf ein spielstarkes Zentrum, bestehend aus Toni Kroos und Ilkay Gündogan auf der Doppel-Sechs. Es folgte eine der bittersten Lehrstunden in der Historie des Deutschen Fußball-Bundes, ein nachhaltig erschütterndes 0:6. „Toni und ich wissen beide, dass wir nicht gerade einen tollen Tag hatten“, sagte Gündogan ein paar Monate später: „So etwas darf uns nicht mehr passieren!“ Seite an Seite spielten beide auch die folgende Europameisterschaft. Es wurde nicht so schlecht wie damals im Olympiastadion von Sevilla, aber auch nicht gut.

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Endlich wieder zu 0: Deutschland schlägt Ungarn

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Heute bilden Gündogan, 33, und Kroos, 34, wieder die Kommandozentrale des deutschen Spiels, deren Strategie im Gegensatz zu früher beim 2:0-Erfolg über Ungarn am Mittwochabend, der zum Sprung ins EM-Achtelfinale geführt hat, aufgegangen ist. Dass sie nun so viel besser harmonieren, liegt auch daran, dass Nagelsmann das Mittelfeld entzerrt hat. „Wenn wir nebeneinander spielen, ist vielleicht der Fall, dass wir das Gleiche machen oder denken“, sagt Gündogan. „Jetzt, wo wir ein bisschen versetzt zueinander spielen, können wir uns noch besser ergänzen. Wenn wir uns auf dem Platz anschauen, selbst für eine Millisekunde, wissen wir, was der andere denkt und vorhat in der nächsten Situation. So eine Verbindung ist auf dem Platz unfassbar wichtig.“

DFB-Team: Ilkay Gündogan musste um Platz kämpfen

Im Klub mussten Gündogan, seit einem Jahr beim FC Barcelona, und Real Madrids Legende Kroos Rivalen sein, im Trikot der deutschen Nationalmannschaft verbindet die beiden mehr als nur ihre Passwege.

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Kroos, Weltmeister von 2014 und sechsmaliger Champions-League-Sieger, wurde trotz prallgefüllten Trophäenschranks lange verkannt, weil die Genialität seines Spiels nicht für alle auf den ersten Blick ersichtlich ist. Gündogan indes war bei Manchester Citys Triple-Saison 2022/23 der womöglich beste deutsche Profi, doch seinen Platz in der DFB-Elf fand er nie so recht. Beiden also hatten ihre Mühe, sich Zutritt zu einem Podest zu verschaffen, auf das beide eigentlich längst gehören sollten.

Das Vertrauen ist da: Ilkay Gündogan wird von Bundestrainer Julian Nagelsmann geherzt.
Das Vertrauen ist da: Ilkay Gündogan wird von Bundestrainer Julian Nagelsmann geherzt. © DPA Images | Tom Weller

Für Gündogan war es schon deutlich schwieriger als für Kroos, der allen Zweiflern seine Henkelpötte vor die Nase halten kann. Oder gleich den WM-Pokal. Der gebürtige Gelsenkirchener fehlte 2014 in Rio aufgrund einer Wirbelsäulenverletzung. Als seine Zeit in der Nationalmannschaft kommen sollte, wurde Gündogan von Löw und dessen Nachfolger Hansi Flick von einer Position auf die andere geschoben, was weder die Trainer noch den Spieler zufriedenstellte. Nach dem Scheitern in Katar dachte Gündogan konkret über ein Ende seiner DFB-Laufbahn nach, falls Flick nicht endlich eine klare Rolle, ein eindeutig definiertes Profil für ihn fände.

DFB-Team: Ilkay Gündogan wird wieder zum Bessermacher

Gündogans künftiger Trainer in Barcelona bemühte sich zwar darum, doch eine Lösung fand erst Nagelsmann, dessen Coup mit Kroos‘ Rückkehr auch für Gündogan neue Türen auf dem Spielfeld öffnete: die nach vorne in eine offensivere Rolle. „Er ist in cleverer, smarter Spieler“, lobte der Bundestrainer nach Gündogans Auftritt gegen Ungarn, einem seiner besten Spiele im deutschen Trikot. Nicht nur wegen seiner Vorlage zum 1:0 für Jamal Musiala, nicht nur wegen seines Tores zum 2:0. Wieder mal war er der „Bessermacher“ für seine Mitspieler, der die Räume zwischen den Abwehrketten besetzt und stets anspielbar ist, während Kroos dahinter die Bälle verteilt. „Ich habe schon gesagt, dass wir ihm ein bisschen mehr vertrauen müssen“, sagte Nagelsmann über Gündogan. „Wir müssen ihn alle ein bisschen pushen, weil er uns pushen und helfen kann, erfolgreich zu sein. Ich bin mir ganz sicher, dass es so weitergeht.“

Der Dirigent des deutschen Spiels: Toni Kroos.
Der Dirigent des deutschen Spiels: Toni Kroos. © Getty Images | MATTHIAS HANGST

Gündogan selbst fühle „sich extrem wohl. Das ist ein sehr gutes Vorzeichen, um auf dem Platz frei aufzuspielen, was aufgrund der letzten Monate und Ergebnisse nicht immer leicht war“, sagte er am Mittwochabend. Das Vertrauen, das er spüre, sei groß. Und von einem, der deutlich weniger Lobhudelei ausspricht als er Pässe spielt, bekam Gündogan ausnahmsweise noch ganz viel davon mitgegeben. „Ich hoffe“, sagte Kroos, „dass er aus dem gefühlten Schatten heraustritt während des Turniers. Wir haben keine Zweifel, was für ein Spieler er ist.“ Worte wie ein ausgestreckter Arm. Eine Hilfe, um mit auf das beschriebene Podest zu gelangen. In welcher Konstellation Kroos und Gündogan darauf am besten stehen, wissen sie ja jetzt.

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