Hagen. Nach der Chaosfahrt eines Lkw-Fahrers auf den Autobahnen 46 und 1: Sein Anwalt hat mit ihm sprechen können. Wie seine Eindrücke sind.
Fünf Wochen nach der Lkw-Chaosfahrt über die Autobahnen 46 und 1 mit 23 Verletzten und 57 demolierten Autos erinnert sich der polnische Fahrer nach Angaben seines Anwalts „vage“ an das Geschehen. „Mein Mandant kann sich überhaupt nicht erklären, wie es dazu kommen konnte“, sagt sein Rechtsanwalt David Lakwa der WESTFALENPOST, „es berührt ihn sehr, was passiert ist.“
Die Unfallserie mit dem Lkw hatte am 30. November gegen 16.25 Uhr am A46-Autobahnkreuz Holz im Rhein-Kreis Neuss begonnen. Der 40-Tonner war am Samstag des ersten Adventswochenendes erst nach 60 Kilometern und einer guten Stunde in einem Baustellenbereich kurz vor der A1-Abfahrt Hagen-West zum Stehen gekommen. Augenzeugen berichteten, dass der Lkw Schlangenlinien fuhr und mit hoher Geschwindigkeit unterwegs war. „Egal was vor ihm war, das hat er einfach gerammt“, schilderte ein Pkw-Fahrer die dramatischen Szenen damals unserer Redaktion.
Die Lkw-Chaosfahrt auf A1/A46: Das sind die Bilder
Anhaltezeichen der Polizei hatte der Mann mehrfach ignoriert. Und ihn gewaltsam mit Straßensperren zu stoppen, sei bei einem Lkw in voller Fahrt schlicht unmöglich, so ein Polizeisprecher am Tag danach: „Selbst wenn wir schweres Gerät wie Baumaschinen in den Weg hätten stellen wollen, wären wir bei so einer dynamischen Lage ja gar nicht schnell genug.“
- Anwalt: „Osteuropäische Lkw-Fahrer sind die ärmsten Teufel“
- A1-Chaosfahrt: Wieviel Promille der Trucker im Blut hatte
- A1-Chaosfahrt: „So ein Unfall passiert einmal in 50 Jahren“
- Wie hilft die Versicherung nach der Lkw-Chaosfahrt?
- Anwalt: Lkw-Fahrer kann sich an Irrfahrt nicht erinnern
Nach der Chaosfahrt hatte eine Haftrichterin am Amtsgericht Hagen die Einweisung des 30-jährigen Fahrers in das LWL-Zentrum für Forensische Psychiatrie in Lippstadt-Eickelborn angeordnet. Die Staatsanwaltschaft Hagen prüft seitdem auch den Verdacht der Strafunfähigkeit. Sie ermittelt wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und gefährlicher Körperverletzung.
Anwalt David Lakwa hatte seinerzeit von einer akuten Psychose seines Mandanten gesprochen und dass sich dieser nicht an die Fahrt erinnern könne. Der Hagener Jurist hat den 30-Jährigen mittlerweile in der Klinik besucht: „Er ist nach wie vor traumatisiert“, so Lakwas Eindruck. Angehörige in Deutschland habe der Mann nicht. Die Familienverhältnisse des polnischen Fernfahrers beschrieb der Rechtsanwalt so: „Er ist Vater eines Kindes und lebt getrennt von seiner Frau.“
Die Rekonstruktion der Chaosfahrt
Gegenüber den Ermittlern, so Lakwa weiter, habe sein Mandant „Angaben zur Sache“ gemacht. Nach wie vor ist die zuständige Polizei in Düsseldorf damit beschäftigt, den Ablauf des Unfalltages zu rekonstruieren. Polizeisprecher Andre Hartwich bestätigte gegenüber der WESTFALENPOST, dass der 30-Jährige mit seinem Sattelzug von einem Logistikzentrum in Mönchengladbach-Güdderath zurück nach Polen fahren wollte. „Das letzte GPS-Signal vom Lkw am Tag der Unfallserie stammt vom frühen Morgen, zu diesem Zeitpunkt befand sich Fahrzeug noch in Güdderath, unweit des Stadions von Borussia Mönchengladbach“, so Hartwich.
„Mein Mandant kann sich überhaupt nicht erklären, wie es dazu kommen konnte. Es berührt ihn sehr, was passiert ist.“
Für den Zeitraum vom frühen Morgen bis zum Beginn der unheilvollen Fahrt am Nachmittag fehlten allerdings die Geodaten des digitalen Fahrtenschreibers. „Diese zeitliche Lücke hätten wir natürlich gerne geschlossen. Wir möchten wissen, was der Mann in der Zwischenzeit gemacht hat“, so der Polizeisprecher. Gegenüber den Ermittlern habe sich der Lkw-Fahrer bislang noch nicht geäußert.
Die bei dem polnischen Trucker entnommene Blutprobe hatte eine Alkoholkonzentration von 0,6 Promille ergeben. Bei einem Wert von 0,5 droht in Deutschland ein einmonatiges Fahrverbot. Das Ergebnis der aufwändigen Laboranalyse mit Blick auf einen möglichen Drogen- und Medikamentenkonsum steht Polizeisprecher Hartwich zufolge noch aus.
Fracht war für den Online-Handel bestimmt
Die eingesetzte Ermittlungskommission bei der Polizei Düsseldorf hatte den zwischenzeitlichen Gesamtschaden mit mindestens 1,8 Millionen Euro angegeben. Der Lkw-Fahrer sei für ein von einer polnischen Spedition beauftragtes Subunternehmen unterwegs gewesen, hieß es. Die für den Online-Handel bestimmte Fracht ist zwischenzeitlich an die Spedition zurückgegeben worden, so Polizeisprecher Hartwich: „Das ist alles abgewickelt.“ Die Ermittlungskommission hatte zunächst das Desinteresse der Spedition am Schicksal seines Mitarbeiters kritisiert. Der Lkw ist nach wie vor für gutachterliche Untersuchungen beschlagnahmt.
Für Rechtsanwalt Klemens Bruch aus Wilnsdorf ist das offensichtliche Desinteresse keine große Überraschung. Er gilt als Kenner der Szene, ist nicht nur Jurist mit einem Schwerpunkt auf das Speditionsgewerbe, sondern war auch selbst Lkw-Fahrer. Er sagte nach der Chaosfahrt unserer Redaktion: „Die Empathie in der Branche ist gering. Mehr noch: Es ist egal, wenn einer auf der Strecke bleibt. Osteuropäische Lkw-Fahrer sind die ärmsten Teufel auf deutschen Straßen.“