Hagen. Die Deutschen lesen immer weniger. Das ist gefährlich, auch für die Demokratie. Vielleicht übertrumpft die Realität die Fiktion.
Es wird immer weniger gelesen. Eine beängstigende Entwicklung mit Blick auf die Kulturnation Deutschland und die Tatsache, dass bei den Wahlen in den USA viele junge Wähler ihren Namen nicht schreiben konnten. Aber auch eine Nachricht, die zu hinterfragen sich lohnt.
Denn auch ich lese privat weniger, sehr viel weniger sogar. Vor Corona habe ich im Schnitt drei Bücher pro Woche verschlungen. Seither vielleicht eines im Monat. Das Stichwort Corona fällt nicht zufällig. Seit der Pandemie und den nachfolgenden Krisen kann ich keine Konflikte mehr ertragen, auch keine fiktiven. Es fließt aktuell so viel Blut auf der Welt, dass ich keine Krimis lesen möchte, in denen jemand Blutvergießen erfindet. So jemanden wie Trump kann sich doch ohnehin kein Autor ausdenken. Streit, Zwietracht und Lügen grassieren real derart, dass ich keine Romane über Intrigen oder verurteilte Verbrecher mit politischen Ambitionen brauche. Überhaupt mag ich keine Spannung mehr. Wenn ich Nervenkitzel will, lese ich den Politikteil unserer Zeitung.
Lesen Sie auch
- Warum Max nicht schießt. Lutz Hagen erinnert an Holocaust
- Nur schlechte Nachrichten? Wie man trotzdem das Glück findet
- Matisse-Ausstellung: Die Spur der Bilder führt nach Hagen
Zufällig weiß ich, dass dies nicht nur mir so geht. Die Unruhen dieser Welt, die Attacken auf Demokratie und sozialen Frieden, die Umweltkatastrophen als Folge des Klimawandels, all das beeinflusst natürlich unsere Leseroutine.
Mir bietet leider das Fernsehen keinen Ausweg, selbst in Arztserien gibt es viel Hinterhältigkeit. Neulich habe ich einen Thriller gesehen, über eine Flutkatastrophe, es war furchtbar, und ich habe nicht durchgehalten, weil ich sofort wieder die schrecklichen Bilder von 2021 in NRW vor Augen hatte.
Biographien funktionieren nur teilweise, Cäsars Aufstieg verlief ja nicht gerade unblutig. Reiseberichte und Bücher über die Wunder der Natur hingegen liebe ich inzwischen; früher habe ich nicht verstanden, wie sich jemand so etwas Sinnloses reinziehen kann. Dazu Kochbücher, wo die Autoren nicht einfach Rezepte vorstellen, sondern Abenteuer und Kultur rund um diese Speisen erzählen. Was wir brauchen, jetzt, wo die Welt verrückt geworden ist, sind Texte, welche den Schrecken zu bannen vermögen und uns Träume geben und das Versprechen erforschen, dass Angst ein guter Lehrmeister ist, aber ein schlechter Herr.
Neue Zeiten erfordern neue Geschichten. Allerdings habe ich nicht den Eindruck, dass Verlage und Autoren sich auf diese veränderte Lage einstellen.