Hagen.. Lasst die AfD-Wähler doch einfach schreien. Über die Zukunft der Demokratie werden vermutlich andere Wählergruppen entscheiden.

Nach der Europawahl haben die Ost-Versteher wieder Konjunktur. In vielen Interviews erklären sie, warum sich die ostdeutschen Brüder und Schwestern vom Westen kolonialisiert fühlen und daher die AfD wählen müssen. Ich kann es nicht mehr hören! Selbst Historiker betreiben bei dem Thema Geschichtsklitterung.

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Ich erinnere es jetzt mal pauschalisierend: Wer hing denn in Massen am Zaun und wollte unbedingt die D-Mark? Und wer will jetzt keine Verantwortung übernehmen dafür, vor über 30 Jahren mit Diktatur, leeren Regalen und Reiseverboten gründlich fertig gewesen zu sein? Vielen Menschen in Ostdeutschland geht diese Haltung ihrer Landsleute ebenfalls auf die Nerven.  

Mir fehlt der Verweis auf die Selbstverantwortung. Derzeit tun all die Ost-Versteher ja so, als hätte die Bevölkerung an Elbe und Oder einen Anspruch darauf, dass die Dinge genau nach Ihrem Geschmack laufen, andernfalls sie sich in eine Trotzhaltung begeben, aus der sie wieder herausgekauft werden wollen. Wer im Osten oder im Westen Putin klasse findet: Nur zu. Noch ist Deutschland ein freies Land, die Grenzen sind offen. Es ist jedem unbenommen, auszuwandern.

Was ich mir stattdessen wünsche? Dass die Experten mal in den Westen kommen, ins Ruhrgebiet, zu uns nach Hagen. Dort gibt es Probleme, von denen man im Osten kaum gehört hat: die Folgen des abgewickelten Kohle- und Eisenzeitalters sind längst nicht bewältigt, eine unkontrollierte EU-Armutswanderung verschlingt viele Ressourcen, die Infrastruktur ist hinüber und aus Geldnot nicht reparierbar. Aber noch gibt es in Hagen etwas, das ich in den Berichten über den Osten vermisse: Geschichten über eine funktionierende Zivilgesellschaft, Freiwillige, die sich für das Gemeinwohl einsetzen, die nicht immer nur „Ich“ schreien, sondern sich auch mal bücken, um den Dreck von Anderen aufzuheben.

Dieser Gemeinsinn bröckelt inzwischen allerdings unter dem Druck einer Last, um die sich keine Politik kümmern mag, weil sie nicht sexy genug für Schlagzeilen ist.  Das führt ebenfalls zu vielen Kreuzchen für die Rechtspopulisten. Und es führt dazu, dass zum Beispiel in Hagen fast die Hälfte der Wahlberechtigten eben gar nicht zur Urne gegangen ist - also auch nicht ultrarechts gewählt hat. Um diese Menschen muss man sich kümmern, nicht um die AfD-Schreihälse. Lasst sie schreien, verschwendet Eure Kraft nicht an diese Leute. Die Nichtwähler werden über die Zukunft der Demokratie entscheiden.