Hagen. Deutschland verweichlicht, so heißt es. Früher sind wir durch meterhohen Schnee gestapft, ohne Katastrophenapp und Schulfrei. Wirklich?

Herzlich willkommen im Lande Früher. Das scheint der Ort zu sein, wohin sich die Motzer flüchten. Im Lande Früher stapften die Kinder nämlich wochenlang durch meterhohen Schnee zur Schule, ohne dass Wetterdienste, Katastrophenapps oder Bezirksregierungen ihnen dazwischen funkten und mit ihren Warnungen die Nation verweichlichten. Und vor allen Dingen: Ohne, dass es den Kindern geschadet hätte, jawoll!

Und willkommen in der Arena des neuesten Kulturkampfes. Die Gegner: Einerseits Virologen, Putinversteher, Nahostexperten und weitere Vertreter der Immer-dagegen-Fraktion. Auf der anderen Seite: der Deutsche Wetterdienst, der Katastrophenschutz und eben die Behörden. Der Schauplatz: Das Winterwetter. Der Streitpunkt: Wann ist Unwetter? Der Tenor: Zu viel Geschrei um nix, fangt mit unserem Geld endlich was Vernünftiges an, und sowas soll der Klimawandel sein? Und so weiter und so fort.

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Ich bin alt genug, um mich an das Früher tatsächlich zu erinnern. Wie sich die Autos an der Steigung vor unserem Haus überschlugen. Wie der Schulbus in der Kurve des Nachbardorfes von der Straße abkam. Für uns war das prima. Schulfrei. Spontan und ohne Ansage. Für die Kinder im kalten Bus war es weniger schön, denn es gab ja keine Handys und kein Internet. Sie mussten einfach warten, bis sich jemand ihrer erbarmte.

Ich erinnere mich auch gut an die endlosen Stunden, die ich im Lande Früher mit meinem Pkw hinter havarierten Lastern oder Touristen mit Sommerreifen am Berg gestanden habe und nicht weiterkonnte. Wenn ich damals eine App gehabt hätte, die mir sagt, wann Schneefall zu erwarten ist, dann hätte ich meine Tagesplanung gerne angepasst.

Die Flutkatastrophe vor zweieinhalb Jahren hat uns gelehrt, dass man gar nicht laut genug warnen kann. Damals gab es viel Kritik, es hätte mehr Alarm geschlagen werden müssen. Seit der Flut sind die Wetterwarnungen häufiger, detaillierter und vielleicht auch drastischer. Manchen geht das auf den Geist. Ich bin dankbar.

Wetter bleibt trotz Internet auch künftig unberechenbar. Es kann sein, dass wir die Monsterschneewalze erwarten und nur Flocken kriegen, die den Busverkehr lahmlegen. Na und? Umgekehrt wäre es schlimmer. Ich möchte mal das Geschrei hören, wenn tatsächlich ein Wintereinbruch unangekündigt dazu führt, dass einige von den Bewohnern des Landes Früher nicht zum Brötchenholen können. So wie früher, als die Gemeinden noch keine Streuwagen hatten.