Hagen. Klima, Israel, Ausländer: Die Gesellschaft hat sich in Lagern verschanzt. Und was ist mit denen, die in keinem Chor mitsingen wollen?

Zwischen allen Stühlen ist der gemütlichste Platz für eine Reporterin im aktiven Dienst. Leider gerate ich aber auch nach Feierabend immer mehr in den Fleischwolf widerstreitender Interessen, wegen unserer verrückten Zeiten.

Einigen meiner Nachbarn darf ich leider dabei zusehen, wie sie sich politisch radikalisieren. Anlass ist der Streit um einen geplanten Windpark. Inzwischen sind die Nachbarn, ehrbare Bürger, zu Klimaleugnern geworden und fangen sich Verschwörungstheorien aus dem weltweiten Netz ein, die meines Erachtens direkt aus russischer Quelle sprudeln. Entsprechend halten sie die Politiker der etablierten Parteien inklusive der CDU für Irre, die den Verstand verloren haben und die man nicht mehr wählen kann. Für Gegenargumente sind die Nachbarn längst taub. Ein bisschen kann ich sie allerdings verstehen, denn die Kommune als künftige Windparkbetreiberin geht äußerst feudal mit ihren Kritikern um.

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In der Verwandtschaft sind die Zuwanderer ein Thema. Das sind alles supernette, bunte Leute, die sich vielfältig ehrenamtlich engagieren, unter anderem in der Flüchtlingshilfe, die aber schlechthin keine Lust mehr haben, über Messerstechereien und Schießereien als neue Form des deutschen Zusammenlebens zu lesen. In diesen Runden muss ich mich als Reporterin befragen lassen, denn die Verwandtschaft wirft den Medien vor, über die Ursachen und Zusammenhänge dieser Konflikte und Gewalttaten „auf Weisung von oben“ verharmlosend und nicht sorgfältig genug zu berichten. Stimmt das? Meinem Eindruck nach nicht, aber die Außenwahrnehmung ist eine andere.

Viele Bekannte aus dem kulturellen und akademischen Lager hingegen sind mir wiederum seit dem Hamas-Massaker in Israel entfremdet, das sie schon nach wenigen Stunden vergaßen, um sich hingebungsvoll dem Schicksal der Palästinenser zu widmen. Das führt zu einer Toleranz gegenüber den Zivilisationsbrüchen der Hamas, die mich frösteln lässt. In die Ecke passe ich auch nicht mehr.

Vielleicht ist weltanschauliche Heimatlosigkeit ein Symbol für die Umbrüche unserer Epoche. Keine meiner Gruppen mag sich von ihren Ansichten lösen, die Windkraftgegner sagen, es gab immer schon Klima, die Israel-Kritiker wollen nicht von ihrer liebgewonnenen Palästinensertuch-Romantik lassen, und die Verwandtschaft fürchtet sich vor der Gewalt da draußen.

Und dazwischen ich, die in keinem dieser Chöre mitsingen will. Das macht einsam.