Schwerte. Wieder stirbt ein Mensch, weil er einer Bahn-Oberleitung zu nah kommt. Wie DB und Polizei aufklären, um solche Tode zu vermeiden.
Warum sie sich dort befanden, ist noch Teil der polizeilichen Ermittlungen: Klar ist, dass sich in der Nacht vom 23. auf den 24. Februar um kurz vor Mitternacht drei junge Erwachsene im Bereich des Schwerter Bahnhofs aufgehalten haben. Sie überquerten die Bahngleise, und schließlich kletterte ein 18-Jähriger auf einen Zugwaggon - dort kam es zum tragischen Unfall. Er erlitt einen Stromschlag, stürzte auf die Bahngleise und starb noch an der Unfallstelle.
Es ist nicht der erste Unfall dieser Art auf dem Schwerter Bahnhof; erst im April des vergangenen Jahres kostete es einen 13-Jährigen das Leben, dass er der Oberleitung zu nahe kam. Er wollte vom Güterwaggon aus Fotos von seiner 15 Jahre alten Schwester machen, die ihn zum Güterbahnhof begleitet hatte. Beim aktuellen Vorfall ist bisher unklar, was das Opfer dazu motivierte, auf den Bahnwaggon zu klettern. Was auch immer es war: Die Oberleitung wurde dem gerade Volljährigen zum Verhängnis.
15.000 Volt: Lebensgefahr selbst auf Abstand
Durch sie fließen 15.000 Volt, um die Züge auf den Gleisen mit Strom zu versorgen. Zum Vergleich: Der Starkstromanschluss in der heimischen Küche, die den Backofen und den Herd mit Strom versorgt, führt 400 Volt, eine übliche Haushaltssteckdose nur etwa 230 Volt. In der Nähe der Oberleitungen herrscht also Lebensgefahr. „Es kann bereits tödlich sein, wenn man den spannungsführenden Leitungen nahekommt“, erklärt die Deutsche Bahn (DB) in einer ihrer Aufklärungskampagnen. „Schon in einem Abstand von 1,5 Metern kann der Strom überspringen.“
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Eine Leitung im Bahnverkehr führt laut Aufklärungsbroschüre „Achtung Bahnstrom!“ zwischen 500 und 15.000 Volt Strom. Ein Stromschlag im unteren Voltbereich sorgt mindestens für starke Verbrennungen - und schon zwischen fünf und zehn Prozent verbrannter Körperoberfläche zweiten oder dritten Grades führen bei Jugendlichen zu einem lebensgefährlichen Schock beziehungsweise zum Kreislaufstillstand, erklärt die Bundespolizei. Selbst, wenn die Person überlebt: Bei einer Verbrennung zweiten Grades bleiben üblicherweise Narben zurück, bei Verbrennungen dritten Grades sogar irreversible Schäden.
Besonders Stromschläge von Hochspannungs-Oberleitungen, wie sie an den meisten Güterbahnhöfen zu finden sind, oder auch Lichtbögen, die zustande kommen, wenn der Strom von der Oberleitung auf den menschlichen Körper „überspringt“, lassen die wasserhaltigen Hautzellen förmlich aufgrund der schnellen Aufheizung der Umgebungsluft verdampfen. „Berührungen verursachen meist tödliche Verletzungen“, erklärt die Bundespolizei.
Präventionsmaßnahmen für „Zäune im Kopf“
„Weil jeder Unfall einer zu viel ist und um derartige Schicksalsschläge möglichst zu verhindern, setzt die Deutsche Bahn gemeinsam mit der Bundespolizei und weiteren Partnern seit vielen Jahren auf umfassende Präventionsarbeit. Die Hauptzielgruppe: Kinder und Jugendliche“, erklärt ein Bahnsprecher. Durch diese Informationen sollen Unfälle an Bahnanlagen verhindert werden. Verschiedenen Kampagnen werden in Kindergärten, Schulen und Bahnhöfen umgesetzt, und auch Plakate, Banner und sogar Social-Media-Kampagnen sollen immer wieder auf die Gefahren hinweisen, die Menschen drohen, wenn sie Bahngleise betreten.
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Noch mal ein Blick in den Flyer „Achtung Bahnstrom!“ für Jugendliche: Züge fahren demnach durchschnittlich 160 Stundenkilometer und haben teilweise einen Bremsweg von über 1000 Metern - dazu sind sie leiser denn je und werden oft zu spät wahrgenommen. Selbst, wenn man sich nur in der Nähe der Bahngleise aufhält, kann der Sog so gefährlich werden, dass man davon auf die Gleise oder unter den Zug gezogen wird.
Und auch das Klettern auf Waggons ist gefährlich: Nicht nur wegen der Oberleitung. Auch, wer beim Klettern abrutscht und fällt, kann sich schwerwiegende Verletzungen zuziehen. Laut Bahn bemühe man sich, an allen Gefahrenstellen Warnschilder aufzustellen. Alles abzäunen wird allerdings bei 4700 Kilometern Gleisstrecke in NRW schwierig. Deswegen setzen sie auf „Zäune im Kopf“, wie es Jeff Dahlke vom DB-Präventionsteam gegenüber unserer Zeitung formulierte.
Zuletzt habe im September 2023 Präventionsarbeit an einer Schule in Schwerte stattgefunden, erklärt ein Bahnsprecher. Denn nach jedem Stromunfall wird erneut die Umgebung geprüft, erklärt Jens Flören, Erster Polizeihauptkommissar und NRW-Pressesprecher der Bundespolizei. An den Stellen, an denen ein tragischer Unfall passiere, werde die Aufklärungsarbeit noch mal verstärkt. Auch in Schwerte werden DB und Bundespolizei gemeinsam prüfen, ob sich weitere Maßnahmen anbieten, während die Ermittlungen zum Unglück sowie die Befragung der Augenzeugen noch durch die Kreispolizei Unna weitergeführt werden. „Wir werden diesen traurigen Anlass erneut aufgreifen, um Aufklärungsarbeit zu leisten“, so der Bahnsprecher.