Hagen. Wichtige Themen müssen entschieden werden. Wir aber stürzen uns in sinnlose Debatten, etwa über Karusselltiere in den USA. Warum?

Wann haben Sie das letzte Mal an Karussellpferde gedacht? Oder auch nur eines gesehen? Dann geht es Ihnen wie mir. Eines muss man der Tierschutzorganisation PETA lassen. Sie weiß, wie man das kostbare Gut der Aufmerksamkeit gewinnt. Die amerikanische Sektion von PETA kritisiert die Verwendung von Tierfiguren bei Karussells. Unter der Schlagzeile „PETA will Karusselltiere verbieten“ macht das Thema jetzt in Deutschland Karriere. Jeder hat was dazu zu sagen. Ich auch. Wie kommt das? Die Sache ist doch völlig irrelevant. In Deutschland ist überdies ein Verbot noch nicht einmal angedacht. Ja, noch mehr: In Deutschland gibt es nur noch ganz wenige Karussellpferde

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Ein Gedicht von Rainer Maria Rilke von 1906 beschreibt den Zauber eines Kinderkarussells im Pariser Jardin du Luxembourg: „Mit einem Dach und seinem Schatten dreht / sich eine kleine Weile der Bestand / von bunten Pferden, alle aus dem Land, / das lange zögert, eh es untergeht. / Zwar manche sind an Wagen angespannt, / doch alle haben Mut in ihren Mienen; / ein böser roter Löwe geht mit ihnen / und dann und wann ein weißer Elefant.“

Jetzt ist die Erinnerung an diese Zeilen wieder da. Danke PETA.

Allerdings leben wir in einer Zeit, die uns viele wichtige Entscheidungen abverlangt. Warum springen wir dann ausgerechnet auf diese nebensächliche Debatte an? Weil ein Reflex bedient wird, der die Vernunft außer Kraft setzt. Verbot! Wir hassen Verbote. Und da kommen irgendwelche Weltverbesserer und wollen uns unsere Kulturgüter verbieten? Was soll denn noch alles verboten werden? Wir lassen uns auch den Mund nicht verbieten. Zack, ist der nächste Kulturkampf da.

Mit dem Gendern ist es ähnlich. Man muss sich schon tief in das Treibhaus einer Universität begeben, um so richtig einen gegendert zu bekommen. Im Alltag ist man eher mit der fortwährenden Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen konfrontiert als mit der Zwangsverweiblichung des deutschen Vokabulars. Und trotzdem wird über das Gendern mehr gestritten als über Donald Trumps Haltung zur Nato.

Wir können solche Reflexe offenbar schlecht ignorieren, obwohl wir es besser wissen. Wir verbringen kostbare Lebenszeit eben nicht mit der Diskussion über ein neues europäisches Verteidigungskonzept, sondern über Karussellpferde in den USA. Ich meine, hier greifen kollektive Übersprungshandlungen. Die Realität ist so überfordernd, dass wir uns dankbar an jeden Strohhalm des Absurden klammern.