Hagen. Der gute deutsche Wald ist verloren! Die übrig gebliebenen Stümpfe sind das sichtbarste Symbol für die Veränderungen, in denen wir stecken. Und jetzt?
Der Wald ist weg. Dort, wo früher sattes Grün in allen Schattierungen in den Himmel wogte, ragen jetzt braune Stümpfe wie anklagende Zeigefinger nach oben. Den Anblick kann ich immer noch nicht ertragen. Denn der Wald ist doch das Synonym für Verlässlichkeit und Überdauern, für sichtbare Heimat. Und nun: Vergangen und verloren. Das Mahnmal dafür, dass wir uns im Zentrum großer Veränderungen befinden.
Veränderungen machen Angst. Die Wut und die Unzufriedenheit, die derzeit durchs Land rasen, sind meiner Theorie nach ein Ausdruck dieser Angst. Mit den großen Veränderungen werden die Leute ziemlich allein gelassen. Sie werden kaum oder gar nicht moderiert. Das ist vielleicht der größte Fehler, den die Politik macht.
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Ja, es geht uns gut. Ja, wir reden uns das Land zu schlecht. Alle haben es warm und trocken, die Ferienflieger sind ausgebucht, der Konsum brummt. Wenn da nur nicht diese Angst wäre, die uns im Nacken kitzelt. Krieg, und dann so nah bei uns. Werden wir in Sicherheit bleiben? Noch gibt es genug Jobs, aber meine Arbeit wird bald überflüssig, wo gehe ich dann hin? Reicht in der Not das Bürgergeld noch für mich, oder wird es aufgezehrt sein von Leuten, die nie eingezahlt haben? Mama wird zum Pflegefall und wir sehen, wie knapp das Personal ist. Wer wird uns pflegen?
Wie mögen wohl Historiker später auf unsere Jahre blicken? Die wissen ja dann, wie es ausgegangen ist, eine Information, die uns leider fehlt. Werden sie zu dem Schluss kommen, dass wir uns keinen Raum für gesellschaftliche Trauerarbeit gegönnt haben? Dass jeder selbst irgendwie versucht hat, mit dem Stress zurechtzukommen, den die verlorenen Sicherheiten uns bereiten. Wo beginnt die Selbstverantwortung, sich von der Angst nicht auffressen zu lassen und wo ist der Staat in der Pflicht, uns zu unterstützen? Wie schaffen wir es, uns nicht an falsche Propheten zu hängen, die unsere Sorgen missbrauchen wollen?
Die Bürger brauchen Zeit, sich an die Veränderungen zu gewöhnen, aber diese Zeit haben sie nicht. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Ausgerechnet in einer Predigt habe ich jüngst einen guten Satz gehört. Wir dürfen nicht verlernen, zu lachen. Die Freude, auch über die kleinen Glücksmomente, ist die beste Medizin gegen die Angst und die Verführung durch die Rattenfänger. Ich gehe jetzt mal das kleine tägliche Glück suchen, sozusagen das Leberblümchen der Hoffnung im verlorenen Wald.