Am Ende des Nachmittags ist es Henner Braach, Landwirt aus dem Netphener Dorf Beienbach und stellvertretender Landesvorsitzender des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV), der mäßigende, versöhnliche Worte findet: Die Landwirte hätten an diesem Freitag erfahren, dass sie nicht allein seien. „Wir haben gesehen, wie die Menschen geklatscht und gewunken haben. Das verhallt nicht ungehört.“ Henner Braach, der selbst in der CDU kommunalpolitisch aktiv ist, geht aber auch auf Distanz zur „Ampel-weg“-Forderung: „Ich will erst genau wissen, was dann kommt – und das sehe ich im Moment nicht. Wir mussten lernen: Schlimmer geht immer.“

Dass der Siegerländer Haupterwerbslandwirt mit dem „Schlimmeren“ eine rechtspopulistische Bundesregierung gemeint haben könnte, liegt auf der Hand, auch wenn Henner Braach das nicht ausspricht. Unausgesprochen bleibt auch die Konsequenz aus dem, was Albert Schmitz fordert, der stellvertretende Vorsitzende des Vereins LSV („Land sichert Versorgung“): „Herr Merz, übernehmen Sie“, ruft er. Und verlangt von seinem Wunsch-Bundeskanzler, dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, zugleich die „Brandmauer zu den Grünen“, nicht aber etwa zu anderen Parteien.

Paul Ziemiak, Generalsekretär der NRW-CDU, könnte als nächster Redner den Ball aufnehmen – tut es aber nicht. Ein Heimspiel hat er sowieso: „Man sollte die Bauern nicht beschimpfen, sondern jeden Tag Danke sagen“, sagt er. Und wundert sich über die Bekundungen seiner Vorredner von SPD und Grünen: „Wenn alle dagegen sind, warum wurde das dann nicht längst vom Tisch geräumt?“ Zumindest auslachen lassen muss sich der CDU-Politiker dann aber auch. Als er einräumt, dass auch Regierungen mit CDU-Beteiligung Fehler gemacht hätten. „Wir haben aus den Fehlern gelernt.“

Die Konvois sind viel länger als erwartet

Die Landwirte und ihre Unterstützer brauchen viel Geduld. Lange müssen sie im strömenden Regen ausharren, bis die Kundgebung endlich beginnen kann. Die Konvois sind viel länger als anfangs erwartet, die vorgesehenen Abstellmöglichkeiten für die Fahrzeuge an der Siegerlandhalle und am Leimbachstadion reichen nicht aus, nach und nach wird auch die Hauptverkehrsachse der Stadt zugeparkt. Die Verkehrsbetriebe stellen den Linienverkehr ein. Die Polizei lässt die Abfahrten der Innenstadtautobahn HTS sperren, damit Rettungsfahrzeuge durchkommen. Dicht gemacht werden muss die A-45-Abfahrt Siegen-Süd, weil sich ab da die Trecker stauen. Und schließlich werden die Feuerwehrgerätehäuser an den Strecken mit Mannschaften besetzt – die Feuerwehrleute hätten sonst keine Chance gehabt, im Notfall die Konvois zu durchdringen und zu den Löschfahrzeugen zu gelangen.

Katharina Treude, die frisch gewählte Kreislandwirtin („Im Stall bei meinen Kühen würde ich mich wohler fühlen“) hat schließlich das erste Wort. „Wir fühlen uns nicht mehr wertgeschätzt“, sagt sie, „ständig kommen fachfremde Menschen und erzählen uns, wie wir es richtig machen sollen. Waren wir während Corona nicht mal systemrelevant?“ Die Sprecherin der Siegen-Wittgensteiner Landwirte macht deutlich, wie gefährdet sie ihren Berufsstand sieht und wer und was alles fehlen würde, wenn es keine Bauern mehr gäbe, vom Maibaumfest bis zur Flutopferhilfe: „Auch wir füllen diesen ländlichen Raum mit Leben.“ Darauf erhebt sich jubelnder Beifall auf dem Scheinerplatz. Sie können nämlich auch anders, die Bauern.