Siegen. Die Ampel-Koalition will Steuervergünstigungen im Agrarbereich streichen. Warum Bauern auf Protest und Traktor-Konvois setzen.
Normalerweise, sagt Landwirt Bernd Eichert aus Wenden, „bekommt man keine drei Bauern unter einen Hut“. Dass zahlreiche Vertreter seines Berufsstandes am Freitag, 29. Dezember, an einer Großdemonstration in Siegen teilnehmen wollen, habe sich die Bundesregierung mit den jüngsten Sparplänen selbst zuzuschreiben: „Die vorgesehene Streichung von Steuervergünstigungen war nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen, ach was: zum Bersten gebracht hat.“
Die vertiefte Solidarität im Agrarsektor soll am Freitag in Südwestfalen zu spüren sein: Von Hünsborn, Wilnsdorf und Netphen aus werden nach Veranstalterangaben vermutlich bis zu 500 Traktoren sowie Lkw von Speditionen und Handwerksbetrieben in Protest-Konvois nach Siegen rollen.
Die zentrale Kundgebung findet um 13 Uhr vor dem Apollo-Theater statt: „Die Polizei hat uns mitgeteilt, dass dort Platz für 2000 Menschen ist“, sagt der Plettenberger Landwirt Björn Kirchhoff, der wie Bernd Eichert dem Vorbereitungs-Team angehört, „ich rechne schwer mit einer Teilnehmerzahl in dieser Größenordnung.“ Die Organisatoren vom Verein „Land sichert Versorgung“ (LsV) - die Demo haben laut Polizei „mehrere Privatpersonen“ angemeldet - weisen auf die Aussage der Behörden hin, wonach es die bisher größte Demonstration werden dürfte, „die es je in Siegen gegeben hat“.
Kurz vor Weihnachten hatten nach Veranstalterangaben bis zu 10.000 Menschen in Berlin ihrem Ärger über die geplanten Kürzungen Luft gemacht. Bislang können sich Betriebe die Energiesteuer für Agrardiesel teilweise vom Staat zurückerstatten lassen. Diese Steuervergünstigung - wie auch die bei der Kraftfahrzeugsteuer - soll nach den Plänen der Ampel-Koalition in Zukunft wegfallen.
Erst Berlin, jetzt Siegen: „Es sollte eigentlich eine kleine Kundgebung werden“, sagt Svenja Stegemann vom Verein LsV, der bei der Protestveranstaltung von den Kreisverbänden Siegen-Wittgenstein und Olpe des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes unterstützt wird: „Das Ding hat sich verselbstständigt. Es ist durch die große Solidarität in der Bevölkerung, in der Logistikbranche wie im Handwerk von alleine groß geworden.“
Sohn soll den Familienbetrieb übernehmen
Svenja Stegemann ist Vorstandsmitglied des 2020 gegründeten Vereins. Sie sei Ehefrau eines Landwirts aus dem Kreis Wesel, erzählt die 50-Jährige, die ihrem Sohn seinen größten Traum erfüllen möchte: „Eines Tages den Familienbetrieb zu übernehmen.“ Doch: „Seit Jahren bekommen wir immer neue Auflagen. Es sind Existenzen bedroht.“
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„Land sichert Versorgung NRW e.V.“ musste sich vor einem Jahr gegen Vorwürfe wehren, man werde von Rechtsextremisten unterwandert. Svenja Stegemann und ihre Vorstandskollegen haben das vehement dementiert. Und auch mit Blick auf die Großveranstaltung in Siegen will man sich „so gut wir können gegen Trittbrettfahrer wehren“.
Nicht nur Svenja Stegemann erinnert sich an Corona-Demonstrationen, bei denen rechte Gruppen, Reichsbürger, Esoteriker oder Verschwörungstheoretiker gemeinsame Sache machten. „Wir haben im Vorfeld der Siegen-Demo Anfragen komischer Organisationen bekommen“, sagt Björn Kirchhoff vom Vorbereitungsteam. Allen habe man eine klare Absage erteilt: „Auch wenn wir unzufrieden sind, lassen wir uns nicht von anderen vor den Karren spannen.“ Mitorganisator Bernd Eichert bekräftigt: „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand, aber nicht am rechten Rand.“
Dass die Demo in Siegen aus dem Ruder laufen könnte, daran glauben die Landwirte nicht: „Natürlich ärgern wir uns über das Ungleichgewicht, dass solch eine kleine Bevölkerungsgruppe wie wir so stark belastet wird“, sagt Kirchhoff. „Und wir können nicht oft genug betonen, dass wir Subventionen nicht leistungslos bekommen und zahlreiche Auflagen zu erfüllen haben. Bei aller Wut werden wir aber friedlich und nach Recht und Gesetz demonstrieren.“ Was auch sein Kollege Bernd Eichert unterstreicht: „Landwirte sind dafür bekannt, dass sie Demonstrationsorte sauberer verlassen, als sie diese vorher vorgefunden hatten.“
Dass auch Handwerksbetriebe in Siegen gegen die Sparpläne der Bundesregierung demonstrieren werden, kann Jochen Renfordt, Präsident der Handwerkskammer Südwestfalen, nicht bestätigen: „Natürlich würden uns die Sparpläne treffen, wenn zum Beispiel Förderprogramme im Bereich der Berufsbildung gestrichen würden. Aber wir setzen mehr auf den Dialog mit Politikern; versuchen, unsere Stimme an der richtigen Stelle zu erheben, nicht unbedingt auf der Straße.“
Polizei: „Erhebliche Verkehrsbeeinträchtigungen“
Apropos Straße: Die Kreispolizei Siegen-Wittgenstein geht von „erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen“ am Freitag aus. Sie rät daher, „nicht zwingend erforderliche Fahrten mit eigenen Fahrzeugen nach bzw. in Siegen am 29. Dezember zu unterlassen“.
Während das Umweltbundesamt Verständnis für das Streichen der Agrardieselsubvention zeigt („Die Nutzung fossiler Energie darf nicht begünstigt werden.“), soll die Siegener Demo nicht das Ende des Bauernprotests sein. Der Deutsche Bauernverband hat zu einer Aktionswoche ab dem 8. Januar aufgerufen. „Es wird ein heißer Januar“, sagt Svenja Stegemann. Die „Mutter eines zukünftigen Landwirtes“ hat die Hoffnung, dass die Proteste ein Umdenken in der Ampelregierung bewirken: „Sie wissen doch: Wer aufgibt, hat verloren.“