Hagen. Immer mehr Läden auch in Südwestfalen lasssen die Kunden ihre Produkte selbst scannen. Worauf man bei den Kassen achten muss.

Eine gewisse Skepsis gegenüber der Zukunft scheint es ja doch zu geben. Zumindest an diesem Ort: ein Rewe-Supermarkt in Hagen, Freitag, früher Nachmittag, Rush Hour. Wochenendeinkauf. Oder eben noch Kleinigkeiten besorgen fürs Wochenende. Vier Kassen sind geöffnet, die Warteschlangen enden erst an der Tiefkühltruhe mit den Chicken Wings.

Ein Mann mit weißem Haar und modischem Schal um den Hals stellt sich dort nicht an. Martin Ernst, 68 Jahre alt, strebt nach links, dorthin, wo die Kassen 5, 6, 7 und 8 sind, wo das Schild an der Decke hängt: „Express-Kasse. Bargeldlos. Scannen, zahlen, fertig.“ Die Produkte, mit denen er eine Tüte füllt, zieht er selbst über den Scanner, zahlt mit der Karte - und verschwindet. „Großartig“, sagt er, seien diese Selbstbedienungs-Kassen (SB-Kassen). Er nutze die immer. „Gucken Sie sich mal die Schlangen an den anderen Kassen an...“ Und er? Hat schon alles beisammen. „Genial“, sagt er.

Einzelhandel: Zahl der SB-Kassen mehr als verdoppelt

Alles selber machen im Supermarkt? Gibt es den Trend? Ist der gut? Und machen den alle mit?

Laut einer Analyse des Handelsforschungsinstituts EHI sind die SB-Kassen auf dem Vormarsch. Die Zahl der SB-Kassen im deutschen Einzelhandel stieg demnach innerhalb der vergangenen zwei Jahren von 7240 auf 16.000, die Zahl der Märkte mit SB-Kassen von 1687 auf aktuell 4270. Fast zwei Drittel dieser Kassen stehen in Supermärkten wie Rewe, Edeka und Co. - u.a. in Hagen, Herdecke, Siegen, Iserlohn, Arnsberg, Lüdenscheid.

„Der Stress für Kunden und Mitarbeiter reduziert sich dort, wo sie Untersuchungen zufolge den meisten Stress haben: an der Kasse.“
Prof. Hendrik Schröder, Inhaber des Lehrstuhls für Marketing und Handel an der Universität Duisburg-Essen

Drei Vorteile für die Märkte gebe es, sagt Prof. Hendrik Schröder, Inhaber des Lehrstuhls für Marketing und Handel an der Universität Duisburg-Essen. „Die SB-Kassen sparen Personal“, sagt der Hagener. Zweitens werde die sogenannte Kasseneinsatzplanung erleichtert, die an die Anzahl der Kunden im Markt gekoppelt sei. „Und drittens reduziert sich der Stress für Kunden und Mitarbeiter dort, wo sie Untersuchungen zufolge den meisten Stress haben: an der Kasse.“ Denn die Wartezeit reduziere sich nicht nur objektiv, wenn neben den üblichen zwei Kassen vier weitere der weniger Raum einnehmenden SB-Kassen zur Verfügung stünden, sondern auch subjektiv. „Der gesamte Vorgang liegt beim Kunden. Er ist auf keinen Mitarbeiter angewiesen.“

Nachteile der Kassen seien, dass manche Kunden erst mehrere Einkäufe benötigten, um Routine zu entwickeln. Zudem sei es geboten, wirksam gegen Diebstahl und Jugendschutzverstöße gewappnet zu sein. „Diese Kontrollaufgabe liegt beim Händler.“

Kasse blockiert, wenn der Vorgang zu lange dauert oder Waren storniert werden

Durch die Lautsprecher des Marktes schallt die Ansage: „Ein Mitarbeiter zu den SB-Kassen, bitte.“

Der junge Mann eilt heran, die Kassen 5 und 8, deren Lampe gerade noch einladend grün leuchteten, haben sich auf rot verfäbt. Nichts geht mehr. Routine für den Mitarbeiter. Er gibt einen Code ein, zieht ein weißes Zettelchen aus dem Bonfach. „Die Kassen waren blockiert, das passiert öfters“, sagt er. Das komme vor, wenn Kunden den Vorgang begönnen, aber nicht beendeten. Oder wenn Kunden Artikel aus ihrem Einkauf stornieren wollten - weil sie sie versehentlich doppelt gescannt haben. „Das geht aber nur einmal“, sagt der Mitarbeiter. Er klingt als empfinde er diese Einstellung als nicht sonderlich sinnvoll.

Ein Alarm schrillt auf. Die Dame im grünen Daunenmantel und mit Wintermütze auf dem Kopf hat ihn ausgelöst. Was hat sie verbrochen? „Ich vergesse immer den Bon auf den Sensor zu legen“, sagt Anke vom Wege (56) und lacht über sich. Sie ist nicht die einzige, der das passiert. Aber die Flügeltürchen geben den Weg erst frei, wenn der Bon auf das Lesegerät gelegt wurde und der Kauf nachgewiesen ist. Generell seien die SB-Kassen aber „eine gute Sache“, vor allem, wenn man nur drei, vier Artikel habe. „Für den größeren Einkauf gehe ich immer an die klassische Kasse“, sagt sie, „das Gespräch mit der Kassiererin oder dem Kassierer ist netter.“ Zwanghaft dem Fortschritt verfallen ist sie tatsächlich nicht: Die Brötchen beim Bäcker zahlt sie bar.

SB-Kassen seit 2016 im Laden: Das sagt ein Edeka-Filialleiter

Derweil wird an den klasssichen Kassen weiter angestanden, während die SB-Kasse fast immer frei ist: Ein junger Mann zahlt Chips und Cola, eine junge Frau Toastbrot und Aufschnitt. Martin Paul (37) wählt die SB-Kasse auch, weil er dann weiter Musik hören kann.

Aus Grün wird Rot: „Ein Mitarbeiter zu den SB-Kassen, bitte.“

Kundenfreundlichkeit - darum ging es Paul Nowak. Er ist Leiter des Edeka-Marktes in Iserlohn - und dürfte in Sachen SB-Kassen zumindest in Südwestfalen einer der Vorreiter sein, denn seine beiden Kassen hat er seit 2016. „Mein Antrieb war, dass vor allem jene, die eilig nur zwei, drei, vier Artikel brauchen, schnell an die Kasse können“, sagt er. Dem Trend zur SB-Kasse steht er ambivalent gegenüber. „Alle Händler rechnen mit spitzem Bleistift“, sagt er. Für acht SB-Kassen reichen zwei Mitarbeitende. Die Vorzüge lägen also auf der Hand. Andererseits sagt er: „Es wäre eine falsche Entwicklung unseres Handelssystems, wenn alles digitalisiert wird. Wir brauchen diese Jobs für Studenden, Schüler, Alleinerziehende.“

Außerdem gäbe es ja noch die Kundensicht. Seine Erfahrung aus sieben Jahren SB-Kasse teilt er mit der Flapsigkeit des Ruhrpotts mit: „Die Omas wollen es nicht.“ Die Geräte seien zwar leicht zu handhaben, aber der ältere Teil der Kundschaft bleibe in der Regel bei Bewährtem. „Das ist völlig normal, und ich halte es für extrem wertvoll, dass diese Kunden weiterhin auf Menschen treffen, die sagen: ,Tschüsschen Frau Müller, vielen Dank für Ihren Einkauf.“

Skepsis gegenüber dem Neuen - und Freude am Lächeln des Gegenüber

Sabine Bart-Wendel und ihr Mann Joachim stellen sich im Hagener Rewe in die Warteschlange der klassischen Kasse, obwohl die SB-Kasse frei ist. „Wir lehnen die anderen Kassen nicht ab, ich glaube der größte Faktor ist Gewohnheit“, sagen sie. „Außerdem mögen wir das Persönliche, das Lächeln von jemandem, das man erwidern kann.“ Aber vielleicht ist da noch etwas. „Wir haben das noch nie gemacht, wir kennen uns mit der Handhabung nicht aus. Wenn man einen Fehler macht und kann ihn nicht rückgängig machen, dann steht man da und hat den ganzen Betrieb lahmgelegt.“

Aus Grün wird Rot: „Ein Mitarbeiter zu den SB-Kassen, bitte.“ Ob Rewe für gewöhnlich Mitarbeiter im SB-Kassen-Bereich einsetzt, verrät der Konzern nicht. Eine Anfrage dieser Redaktion beantwortet Rewe mit den Worten, dass man das Thema nicht unterstützen wolle.

„Gucken Sie sich mal die Schlangen an den anderen Kassen an...“
Martin Ernst, Rewe-Kunde an den SB-Kassen

Paul Nowak, der Edeka-Filialleiter, sagt: „Wenn unsere SB-Kassen geöffnet sind, dann ist auch immer eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter da, der beim Einkauf unterstützt.“ Jemand, der Fragen beantwortet. Jemand, der auch schaut, dass niemand aus Versehen oder mit Absicht unbezahlte Produkte mitnimmt. „Die Diebstahlquote ist hoch“, sagt Nowak, „aber das ist kein Phänomen, das mit den SB-Kassen zugenommen hätte, sondern war schon immer so.“

Der Mitarbeiter in Nowaks Edeka steht dort auch, um zu helfen, wenn es nicht mehr weitergeht. Das ist der Fall, sagt Nowak, wenn Produkte mit Altersbeschränkung gekauft werden: Spirituosen, Wein, Bier, aber auch Pralinen mit Alkohol oder manche Energydrinks. „Werden entsprechende Produkte gescannt, wird der Vorgang unterbrochen, damit der Kunde einen Altersnachweis erbringen kann.“ Martin Ernst, der Rewe-Kunde, der so angetan ist von den Kassen, sagt, dass er das auch schon hatte: als er eine Packung Mon Cheri kaufen wollte. Als er aber ein anderes Mal fünf Packungen davon habe kaufen wollen, sei nichts geschehen.

Kurzer Selbstversuch also im Rewe: Mehl, Zucker, Mon Cheri und Rotwein in den Einkaufskorb und ab zur SB-Kasse. Auf dem Display erscheint hinter den mit Alkohol gefüllten Süßigkeiten ein Hinweis „A18“, hinter dem Wein ein „A16“. Endbetrag wird angezeigt. Zahlung per Karte. Bon auflegen. Flügeltürchen öffnen sich. Laden verlassen. Kein Alarm. Kein Mitarbeiter. Erneute Nachfrage bei Rewe, wie das sein kann. Dort äußert man sich dann doch: „Sie hätten Ihren Einkauf an der SB-Kasse nicht abschließen können, wenn nicht die Freigabe durchs Personal erfolgt wäre. Es gibt also eine systemische Blockade. Die Kundenassistenz kann auch eine Kassenkraft sein, die nebenan kassiert und von dort aus Ihren Einkauf freigeben kann.“

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