Hagen. Die Insolvenz des Versandhändlers Westfalia sorgt für Aufsehen. Die Hintergründe, warum dessen Katalog, der Kult war, nicht mehr funktioniert.
Für Branchenriesen wie Amazon, Otto oder Zalando (die Top Drei beim Umsatz im Jahr 2022) wächst der Onlinehandel stetig. Aber nicht alle sind so gut wie diese Riesen im Geschäft. Kleinere, national aufgestellte Händler haben offenbar Schwierigkeiten, sichµ im Algorithmus gesteuerten Haµfischbecken über Wasser zu halten. Mit der Hagener Westfalia Werkzeugcompany hat es jetzt einen Traditionsversandhändler erwischt, der seine Kunden noch per Katalog informiert, wenn auch nicht nur.
Die Geschäftsführer meldeten sowohl für den Versandhandel als auch für das stationäre Geschäft am Donnerstag und Freitag beim zuständigen Gericht in Hagen jeweils Insolvenz an. Betroffen sind rund 250 Beschäftigte. Ausgerechnet im 100. Jahr des Bestehens kommt diese Hiobsbotschaft.
Insolvenzverwalter optimistisch
Am Freitagmittag wurde ein Teil der Westfalia-Belegschaft bereits über die Situation informiert. Die vom Gericht bestellten Insolvenzverwalter der Kanzlei Görg, Mike Westkamp und Jan Janßen stecken mit ihrem Team derweil die Köpfe zusammen, um sich ein genaues Bild vom Unternehmen zu machen und mit Lieferanten und Dienstleistern über die Fortführung der Geschäftsbeziehungen zu sprechen.
Das Ziel: das Unternehmen aus der Schieflage zu bekommen und Arbeitsplätze zu retten. „Das Geschäft wird sowohl im stationären Handel als auch online uneingeschränkt fortgesetzt“, erklärte Christian Schulze, Fachanwalt für Insolvenzrecht in der beauftragten Kanzlei Görg.
Das Anwaltsteam sieht offenbar Potenzial zur Fortführung des Geschäfts. Man sei zuversichtlich, dass die Löhne und Gehälter der Beschäftigten bis zum Jahresende gesichert werden könnten. Für die Monate Oktober, November und Dezember setzt die Kanzlei darauf, dass die Bundesagentur für Arbeit überbrückungsweise Insolvenzgeld an die Beschäftigten zahlen wird. Diese Zuversicht beruht offenbar auf einer konkreten Zukunftsperspektive: „Es gibt bereits Kaufinteressenten“, erklärt Insolvenzrechtler Schulze.
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Westfalia wurde 1923 gegründet und ist einer der ganz frühen Versandhändler. Jahr für Jahr und bis heute wird ein dicker Katalog im A5-Format gedruckt und an potenzielle Käufer und Stammkunden versandt oder zur Mitnahme im Markt ausgelegt. Diesen Katalog, in dem zunächst lediglich Werkzeuge angeboten wurden, gibt es bereits seit 90 Jahren. Heute umfasst das Sortiment neben Werkzeugen auch Elektronik, Freizeitartikel, Campingzubehör, Arbeitskleidung, Gartengeräte und vieles mehr. Handelsexperten würden das Unternehmen wie den US-Konzern Amazon also als „Generalisten“ bezeichnen.
Zu lange in der analogen Welt hängengeblieben?
Nur, dass das Geschäft bis heute überwiegend analog betrieben wurde. Eine konsequente Transformation ins Digitale blieb bisher offenbar aus. Westfalia-Geschäftsführer Markus Weber, 38-jähriger Kaufmann, räumt ein, dass die Umsätze seit Jahren rückläufig seien und mittlerweile die 100 Millionen Euro unterschritten hätten. Den Gang zum Insolvenzgericht begründet er mit der starken Verunsicherung der Westfalia-Kundschaft: „Seit dem Ukrainekrieg reagieren unsere Kunden nicht mehr auf den Katalog.“ Vor drei Wochen sei der Internetauftrittneu gestaltet worden.
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Zahlreiche Schnäppchen sind dort aktuell zu finden – für den Erhalt des Unternehmens unter bisheriger Regie zu spät. „Der Onlineumsatz kann die rückläufige Nachfrage nicht kompensieren“, sagt Weber, der darauf verweist, dass das Hagener Versandhandels-Unternehmen nicht das einzige in Schwierigkeiten sei. Als Beispiel nennt Weber den ebenfalls in diesem Jahr einhundert Jahre alte Klingel-Versand aus Süddeutschland. Mit Mode ein anderes Segement, aber offenbar ein ähnliches Problem. Bei Klingel gehen zum Jahreswechsel definitiv die Lichter aus. Bei Westfalia soll dies anders werden.
Umsatzrekord im Onlinehandel für 2023 erwartet
Im vergangenen Jahrzehnt hat der Onlinehandel insgesamt rasant an Fahrt aufgenommen und gegenüber dem stationären Handel immer mehr Marktanteile gewonnen. Laut Handelsverband Deutschland (HDE) 2021 und 2022 gab es zwar erstmals einen leichten Rückgang des Onlinegeschäfts, es scheint aber bereits wieder bergauf zu gehen. „Seit Ende vergangenen Jahres sehen wir bereits wieder eine Normalisierung“, sagt HDE-Sprecherin Franziska Berg. Das aktuelle Kauflust-Barometer zeige ebenfalls einen leicht positiven Trend. Und auch die Prognose für 2023 ist mit einem Umsatzplus von knapp sechs Prozent und einem realen Wachstum von zwei Prozent positiv. Damit würde der Onlinehandel nach 2021 erneut auf einen Rekordumsatz von 89,4 Milliarden Euro zusteuern, nachdem das Ergebnis im vergangenen Jahr mit 84,5 Milliarden Euro mehr als zwei Milliarden Euro niedriger ausfiel als 2021. DieTop-Umsätze erzielten im vergangenen Jahr Amazon, Otto, Zalando, Mediamarkt und Apple ( in dieser Reihenfolge).
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Trotz dieser leichten Erholung sei laut Verband aber davon auszugehen, dass die grundsätzlich schwache Entwicklung den Rest dieses Jahres anhalten werde. Mit einem echten Wachstumsimpuls durch privaten Konsum rechnen die Experten erst im kommenden Jahr wieder. Eine Perspektive, die das Traditionsunternehmen Westfalia zu spät kommt, aber für potenzielle Käufer interessant sein dürfte – und damit auch für die Beschäftigten.