Hagen. Der Sauerländer Peter Schleifenbaum lebt seit 1990 im kanadischen Wald. Ein Gespräch über Wolf, Wisent, Wildnis - und wie sie zur Heimat passen.

Das Stück Wald, das Peter Schleifenbaum (60) in Kanada besitzt und bewirtschaftet, ist so groß wie die Stadt Köln. Vor vielen Jahren schon zog der promovierte Forstwirt aus dem Schmallenberger Stadtteil Bad Fredeburg nach Haliburton County, Ontario, wo er unter anderem mit einem eigenen Wolfsrudel viele Touristen anlockt. Was sagt einer, der die Wildnis kennt, über seine Sauerländer Heimat, wo die Anwesenheit von Wolf und Wisent die Gemüter erhitzt?

Sie leben in der kanadischen Wildnis: Das heißt was konkret?

Unser 40.000 Hektar großer Wald liegt etwa drei Autostunden nördlich von Toronto im Laubwaldgebiet der Großen Seen. Unser Nachbar ist der Algonquin Park, der vielleicht einigen Kanada-Reisenden bekannt ist. Ich lebe mit meiner Familie am Rande des Besitzes an einem See, von denen es hunderte in der Gegend gibt. Die Region ist dünn besiedelt, sodass viel Raum für Natur und die ursprüngliche Tierwelt besteht. Viele dieser Tiere waren vormals auch in Mitteleuropa heimisch wie Wolf, Luchs, Bär, Elch, Biber.

Peter Schleifenbaum ist Sauerländer und überzeugter Wahl-Kanadier: Er machte Haliburton Forest zu dem, was es heute ist.
Peter Schleifenbaum ist Sauerländer und überzeugter Wahl-Kanadier: Er machte Haliburton Forest zu dem, was es heute ist. © dpa-tmn | Andreas Drouve

Wie läuft diese Koexistenz von Mensch und Tier?

Es kommt ständig zu Begegnungen. Vor allem Bär und Elch sehen wir im Tagesverlauf regelmäßig. Neulich hatte sich die Familie zum Grillen versammelt und die Hamburger lagen auf der Veranda schon bereit, als mein Enkelsohn in die Küche stürmte und rief, dass da ein großer Schwarzbär auf dem Brennholzstapel vor der Veranda stehe.

Und?

Wohl angelockt vom Duft des Fleisches, schaute der drei bis vier Jahre alte Bär ohne viel Scheu ins Haus. Solche Begegnungen sind nicht ungewöhnlich. Und obwohl Angriffe von Wild außergewöhnlich selten sind, hatten unsere Kinder auf dem einen Kilometer langen Weg durch den Wald zum Schulbus immer einen großen Hund mitzunehmen.

Vor wem oder was muss man sich am meisten fürchten?

Vom Großwild in den Wäldern Ontarios ist weder Bär noch Wolf am meisten zu fürchten, sondern der Elch: Vor allem Bullen in der Brunft gehen auf alles, was sich bewegt. So mancher Waldarbeiter kann ein Lied davon singen.

Der Wolf spielt aber in Ihrem Leben eine besondere Rolle.

Das ist richtig. Der Forstbesitz, den ich von meinem Vater übernommen hatte, war seit einem Jahrhundert durch das örtliche Sägewerk verwüstet worden. Das Werk schloss irgendwann wegen Holzmangels. Mein Job sollte es sein, die Holzbestände wieder aufzubauen. Um in der Zwischenzeit den Betrieb finanzieren zu können, baute ich den Umwelttourismus im Wald auf. Ein Kernstück hierbei war das Wolfszentrum, in dem das Rudel lebt, das mir 1995 geschenkt worden war. Bis zu 50.000 Gäste besuchen die Wölfe pro Jahr. Die Tiere dienen der Anschauung und Erziehung . Ich habe mich also über 30 Jahre lang eingehend mit jeglichem Aspekt zum Thema Wolf beschäftigt.

Verfolgen Sie die Diskussion um Wolf, Wisent und Co. im Sauerland?

Mit großem Interesse, ja. In meiner Brust schlägt vor allem ein Försterherz, sodass ich den Schmerz der Schmallenberger Waldbauern sehr gut nachempfinden kann. Der Schaden, der dort von Wisenten am Wald angerichtet wird, ist nicht hinnehmbar. Das Gleiche kann über Wölfe und das Reißen von Vieh -- ob Schaf, Rind oder Pferd -- gesagt werden. Wenn der Öffentlichkeit daran gelegen ist, Tiere wie den Wolf in Deutschland wieder anzusiedeln, dann müssen alle anfallenden Kosten unbedingt von eben jener Öffentlichkeit übernommen werden.

Wisente in Südwestfalen: Artenschutzprojekt im Rothaargebirge.
Wisente in Südwestfalen: Artenschutzprojekt im Rothaargebirge. © WP | Uwe Lindner

Teilen der Öffentlichkeit ist die Ansiedlung des Wolfes nicht recht. Die Diskussion wird mit einiger Schärfe geführt.

Die Diskussion um den Wolf muss versachlicht werden. Romantisieren darf man den Wolf ebenso wenig wie ihn zu verteufeln. Der Wolf ist ein opportunistischer Beutegreifer, für den der Riss eines Schafes auf der grünen Weide viel einfacher ist als der eines flüchtigen Hirsches im Wald.

Ist es eher Chance oder Risiko, wenn der Wolf zurückkehrt?

Schwer zu sagen. Man muss sich aber über manches im Klaren sind.

Zum Beispiel?

Der Wolf schreckt – wenn sich die günstige Gelegenheit ergibt – auch vor Menschen als Beute nicht zurück. Ein Erwachsener passt normalerweise nicht in sein Beuteschema, Kinder indes sehr wohl. In anderen Teilen der Welt kommen alljährlich vor allem kleinere Kinder durch Wolfsangriffe zu Tode. Ich konnte die Veränderung des Verhaltens von Wölfen in der Gegenwart meiner eigenen Kinder, als diese noch klein waren, erleben.

Das ist ein furchtbarer Gedanke.

Angriffe von Wölfen auf Menschen, vor allem auf Kinder, wird es irgendwann auch in Europa und Deutschland geben – besonders durch Tiere, die an den Menschen durch besondere Ereignisse, Vorkommen oder Vertraulichkeit gewöhnt sind. Ich gehe davon aus, dass in dem Moment die Diskussion um den Wolf in Deutschland eine ganz andere Dimension erhalten wird. Ich befürworte daher schon heute eine Bewirtschaftung des Wolfes in Gegenden, in denen dessen Population etabliert ist, einschließlich einer möglichen Bejagung.

Wenn es nach Ihnen geht: Sollte der Wolf zurückkehren?

Ich begrüße die Rückkehr des Wolfes in die deutschen Wälder, ganz klar. Die Wiederansiedlung des Wolfes im Yellow Stone Nationalpark der USA nach über 100 Jahren Abwesenheit hat gezeigt, dass die Gegenwart des Wolfes als Alpha-Raubtier die gesamte Ökologie einer Landschaft grundlegend positiv beeinflusst. Es bedeutet aber auch, dass eine exotische Art wie das Muffelschaf, welches aus der Evolution den Wolf in seiner sardischen oder korsischen Heimat nie kennengelernt hat, aus Deutschland verschwinden wird, wenn der Wolf wieder heimisch wird.

Wie empfinden Sie den Versuch, das Wisent wieder anzusiedeln?

Die Sachlage ist etwas anders: Das ist ein sehr großer Pflanzenfresser, der zumindest willentlich keinem Menschen Schaden zufügen wird. Ich befürworte die Existenz der Wisente in ihrer nun auf 25 Tiere beschränkten Zahl im Rothaargebirge. Dieses Ja zum Wisent kommt jedoch mit einer massiven Bedingung daher, die übrigens auch auf Wolf und Bär zutrifft.

Welche?

Im Endeffekt ist die Frage ob Wolf, Bär und Wisent im deutschen Wald einen Platz haben, die Frage, wieviel uns dies in harten Euros wert ist, und ob wir auch bereit sind, Schaden an Menschen – wenn auch in sehr geringem Umfang – zu akzeptieren.

<<< HINTERGRUND >>>

Fast die Hälfte der NRW-Landesfläche ist mittlerweile Wolfsgebiet. Das Umweltministerium hat jüngst weitere Gebiete ausgewiesen, in denen Weidetierhalter Fördermittel für Schutzmaßnahmen gegen das Raubtier beantragen können. Dazu zählt das Märkische Sauerland.

Seit 20 Jahren gibt es die Idee von freilebenden Wisenten am Rothaarsteig. Der 2017 verstorbene Richard Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, dem riesige Waldgebiete am Rothaarkamm gehören, hatte das Projekt angestoßen. Im April 2013 startete es – ein Jahr später schon begannen die gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Waldbauern und dem Wisentverein, die auch den Bundesgerichtshof beschäftigten. Im August 2023 stellte der Trägerverein Wisentwelt Wittgenstein einen Insolvenzantrag.