Hagen. Eine Wölfin ist erstmals wieder im Sauerland heimisch geworden. Sie hat bereits mehrere Tiere gerissen. Der MK könnte nun Wolfsgebiet werden.

Der Wolf näherte sich in der Dunkelheit der Nacht der Weide und schlug blitzschnell zu. Vier Shropshire-Schafe hatten am 15. September 2022 in Lüdenscheid nicht den Hauch einer Überlebenschance. Zwei Tiere aus der Herde eines Hobby-Landwirts wurden verletzt, eines davon so schwer, dass es später getötet werden musste.

Es war das „Werk“ des weiblichen Wolfs (Fähe) mit der Kennung GW2856f, zeigte der genetische Nachweis im Senckenberg Forschungsinstitut Gelnhausen. GW steht für „German Wolf“, f für „female“ (weiblich). Das aus einem Rudel in Visselhövede (Niedersachsen) stammende Tier geht in die Geschichte des Sauerlandes ein – als erster Wolf nach 200 Jahren, der sich wieder niedergelassen hat.

Bei den Behörden gilt ein Wolf als „standorttreu“, wenn er in einem Gebiet länger als sechs Monate nachgewiesen wurde. GW2856f fiel nicht nur durch den Angriff auf die Herde in Lüdenscheid auf, sondern auch bei einem weiteren Schafsriss in Halver (November 2022) sowie Wildtierrissen in Meinerzhagen (November 2022), Plettenberg und Herscheid (beide April 2023).

Förderung von Herdenschutzmaßnahmen aus Landesmitteln

Daher stuft die Landesanstalt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (Lanuv) die Fähe, die sich „vorwiegend im Bereich des Ebbegebirges bewege“, als „territoriales Einzeltier“ ein und hat beim NRW-Umweltministerium beantragt, den Märkischen Kreis als Wolfsgebiet auszuweisen. In Wolfsgebieten können Tierhalter Lanuv-Sprecher Wilhelm Deitermann zufolge „eine 100-prozentige Förderung von wolfabweisenden Herdenschutzmaßnahmen (z.B. verbesserte Elektrozäune, in bestimmten Fällen auch Herdenschutzhunde)“ beantragen.

Nachfrage im Umweltministerium. „Aktuell“, so Malte Wetzel, seien in NRW fünf Wolfterritorien besetzt: „Schermbeck, Haltern, Dämmerwald/Üfter Mark, Leuscheid an der Grenze zu Rheinland-Pfalz sowie Märkischer Kreis – zuzüglich einzelner durchwandernder Tiere“. Territorien, erklärt der Sprecher, seien regelmäßige Aufenthaltsräume eines Wolfes.

Umweltministerium: Prüfung läuft

Ortrun Humpert ist Vorsitzende des Schafzuchtverbandes NRW mit Sitz in Lippstadt.
Ortrun Humpert ist Vorsitzende des Schafzuchtverbandes NRW mit Sitz in Lippstadt. © Prvat

Ob der Märkische Kreis nach Schermbeck, Senne-Eggegebirge, Eifel-Hohes Venn und Oberbergisches Land zum fünften Wolfsgebiet in NRW erklärt wird, kann Wetzel „aufgrund der laufenden Prüfung“ nicht sagen. Das von Oliver Krischer (Grüne) geführte NRW-Umweltministerium prüfe aktuell, „wie die von der Vorgängerregierung erlassene Wolfsverordnung praxisgerechter angewandt werden kann oder überarbeitet werden muss“. Dies betreffe auch die bisherige Regelung zu Wolfsterritorien und Wolfsgebieten.

Zurück zu GS2856f: Wölfe haben nach Expertenansicht eine natürliche Scheu vor Menschen. Daher ist es eher unwahrscheinlich, die Neu-Sauerländerin zu Gesicht zu bekommen.

Sauerländer Wölfin stammt aus niedersächsischem Rudel

Entsprechend wenig weiß man über sie. Lanuv-Sprecher Deitermann zufolge wurde die Fähe „sehr wahrscheinlich 2020 oder 2021“ in dem seit 2015 bestehenden Wolfsterritorium in Visselhövede am Südrand der Lüneburger Heide geboren.

Die Herkunft ihrer Eltern sei unbekannt, sie gehörten aber zur „zentraleuropäischen Population“. Die Behörden hätten GW2856f im März 2022 erstmals nachgewiesen – bei Bodenengern in Niedersachsen, unweit der Grenze zu NRW (Kreis Minden-Lübbecke).

Wölfe bevorzugen Landschaften mit hohem Waldanteil

Wenn man so will, ist das Sauerland für Wölfe ein Schlaraffenland. „Sie“, sagt Deitermann, „bevorzugen eine strukturierte Landschaft“. Dazu gehörten ein hoher Waldanteil, der eine gute Deckung biete, „möglichst wenig Besiedlung, recht gut passierbare Straßen und eine hohe Wildtierdichte“. Im Streifgebiet von GW2856f befänden sich beispielsweise Dam- und Rotwild-Bezirke.

Ortrun Humpert ist Vorsitzende des Schafzuchtverbandes NRW und der Schafzüchtervereinigung NRW mit Sitz in Lippstadt. Sie hat jüngst den „Spiegel“-Artikel mit dem Titel „Enthauptet und verstümmelt – der Streit über die Wölfe eskaliert“ gelesen. „Wir arbeiten mit Lebewesen, zu denen man eine Beziehung aufbaut“, sagt sie, „Schafe sind mehr als nur Betriebsmittel.“ Wenn ein Tier gerissen werde, mache das „seelisch viel mit einem“.

Und doch: Nach ihrer Ansicht sollte man versuchen, zwischen Wolfsschützern und Weidetierhaltern Lösungen zu finden – und sich nicht vor einen Karren spannen lassen. Anfang des Monats hat die AfD-Fraktion im Bundestag in einer Kleinen Anfrage zum „Beutegreifer Wolf“ die Zahl der Wolfsrisse und Betriebsschließungen sowie die Höhe des wirtschaftlichen Schadens durch den Wolf wissen wollen. „Die AfD hat pseudomäßig den Kampf gegen den Wolf auf ihre Fahnen geschrieben“, sagt Ortrun Humpert, und ihre Stimme signalisiert ein Nicht-mit-mir: „Wir passen extrem auf.“

Vorurteile gegenüber Tierhaltern

Zum Beispiel auch, was mit den „Versprechungen“ des NRW-Umweltministeriums ist. „Wir werden seit Jahren hingehalten“, sagt sie, „unser Frust wird immer größer. Verkehrspolitik scheint interessanter zu sein.“

Statt ihrem Berufsstand zu helfen, würde man immer wieder mit Vorurteilen konfrontiert. „Tenor: Die Leute sind zu blöd und zu faul, ihre Herde zu schützen.“ Ortrun Humpert schüttelt den Kopf: „Es gibt bestimmte Wölfe, die immer übergriffig sind, die keinen Herdenschutz akzeptieren und sich nicht um Zaunhöhen scheren. Wer schützt unsere Tiere vor ihnen?“

Bundesumweltministerin spricht sich für Abschuss von Problemwölfen aus

Angaben des NRW-Umweltministeriums zufolge besteht nach den „Förderrichtlinien Wolf“ die „Möglichkeit zur Entschädigung von wolfsbedingten Schäden sowie zur Förderung von Investitionen in wolfsabweisende Herdenschutzmaßnahmen“. Wie 2022 stünden auch in diesem Jahr bis zu zwei Millionen Euro für Maßnahmen zur Verfügung. 2022 seien rund 430.000 Euro genutzt worden.
Angaben des NRW-Umweltministeriums zufolge besteht nach den „Förderrichtlinien Wolf“ die „Möglichkeit zur Entschädigung von wolfsbedingten Schäden sowie zur Förderung von Investitionen in wolfsabweisende Herdenschutzmaßnahmen“. Wie 2022 stünden auch in diesem Jahr bis zu zwei Millionen Euro für Maßnahmen zur Verfügung. 2022 seien rund 430.000 Euro genutzt worden. © dpa | Boris Roessler

Die Schafzüchterin meint ausdrücklich nicht GW2856f im Märkischen Kreis: „Wie ich der Riss-Statistik entnehme, ist das kein Wolf, der alle paar Minuten zuschlägt. Da gibt es andere Kaliber im Land.“ Was ist zu tun?

Vor zwei Wochen hat sich Bundesumweltministerin Lemke (Grüne) für den vermehrten Abschuss von „Problemwölfen“ ausgesprochen. Ortrun Humpert: „Es wäre wichtig, Rückgrat zu zeigen und Ankündigungen auch umgesetzt würden. Ohne dass anschließend Autoreifen zerstochen oder Hochsitze angesteckt werden.“ Sie betont mehrfach im Gespräch: „Es geht uns nicht darum, den Wolf auszurotten.“

Verweis auf das Bundesnaturschutzgesetz

NRW-Umweltministeriumssprecher Malte Wetzel verweist auf Paragraf 45 des Bundesnaturschutzgesetzes: Es sei möglich, einen einzelnen Wolf mit einer Ausnahmegenehmigung gezielt zu entnehmen. Eine Voraussetzung: „dass wiederholt in zeitlich und räumlich engem Abstand der empfohlene Schutz (wolfsabweisender, bodenabschließender E-Zaun ab 1,20 Meter Höhe) überwunden worden ist und somit davon ausgegangen werden muss, dass der betroffene Wolf das Überwinden erlernt und sich dieses Verhalten auch verstetigt hat.“

Historischen Aufzeichnungen zufolge wurde 1811 der letzte Wolf im Sauerland erlegt, in Schmallenberg-Oberfleckenberg. GW2856f schreibt jetzt die Wolfs-Geschichte in der Region weiter. Das Lanuv teilte jetzt mit, dass in den Kreisen Soest und Siegen-Wittgenstein drei neue Wolfsindividuen in NRW nachgewiesen wurden. Über ihren Verbleib sei nichts bekannt.