Siegen/Bad Berleburg. Zehn Mal hat der Runde Tisch zum Wisentprojekt im Rothaargebirge getagt. Heute stellte er seine mit Spannung erwarteten Ergebnisse vor.

Ein klares Ja für die freilebenden Wisente im Rothaargebirge: Ein Aus für das international beachtete Artenschutzprojekt scheint buchstäblich vom Tisch. Der vom Siegen-Wittgensteiner Kreistag eingesetzte Runde Tisch empfiehlt eine Fortführung – allerdings mit deutlichen Veränderungen.

Zehn Mal hat das Gremium unter der Moderation der ehemaligen NRW-Umweltminister Ursula Heinen-Esser (CDU) und Johannes Remmel (Grüne) seit dem vergangenen Februar getagt. Bei der Vorstellung der Ergebnisse am Freitagvormittag im Siegener Kreishaus ist in den Gesichtern der beiden Politiker Optimismus abzulesen: „Wir sind davon überzeugt, dass das Projekt in eine gute Zukunft geführt werden kann“, sagt Heinen-Esser.

Herdengröße soll verringert werden

Die ehemaligen NRW-Umweltminister Ursula Heinen-Esser (CDU) und Johannes Remmel (Grüne) haben den Runden Tisch zu den Wisenten im Rothaargebirge moderiert.
Die ehemaligen NRW-Umweltminister Ursula Heinen-Esser (CDU) und Johannes Remmel (Grüne) haben den Runden Tisch zu den Wisenten im Rothaargebirge moderiert. © Westfalenpost | Lars-Peter Dickel

Vordringlichste Aufgabe sei die „schnellstmögliche“ Reduzierung der Herdengröße auf 20 bis 25 Tiere, wie es von Wissenschaftlern empfohlen wird und wie es beim Projektstart im ausgehandelten öffentlich-rechtlichen Vertrag stand. Dazu sollen „Familiengruppen“ in andere europäische Artenschutzprojekte überführt werden.

„Eine letale Entnahme kommt für uns und für das Umweltministerium nicht in Frage“, so die CDU-Politikerin weiter. Voraussetzung für die Verkleinerung der mittlerweile 40 Tiere umfassenden Herde sei der Bau eines Gatters mit Fanganlage.

Einfang-Gatter: Finanzierung durch das Land NRW

Nach den Vorstellungen des Gremiums soll dieses bereits im kommenden November bzw. Dezember stehen. Der Kreis Siegen-Wittgenstein würde hierzu die Planungs- und Genehmigungsvoraussetzungen schaffen, die Errichtung des Gatters werde die Wittgenstein-Berleburg’sche Rentkammer übernehmen. Für die Finanzierung komme das Land NRW auf.

Der Wisent ist eine Rinderart. Er wird auch Europäischer Bison genannt.
Der Wisent ist eine Rinderart. Er wird auch Europäischer Bison genannt. © dpa | Marius Becker

Des weiteren empfiehlt der Runde Tisch dem Kreistag des Kreises Siegen-Wittgenstein eine neue Trägerstruktur für das Wisentprojekt – „vorzugsweise in Form einer Stiftung“. Bis diese gegründet sei, müsse schnellstmöglich eine Übergangsstruktur gefunden werden, so Heinen-Esser, „mit einer klaren Verantwortung für die Wisente“.

Fachliche Partner unterstützen Stiftung

In einer Stiftung sollten neben dem Kreis Siegen-Wittgenstein, der Stadt Bad Berleburg, der Bezirksregierung in Arnsberg, dem Landesbetrieb Wald- und Holz, der Wittgenstein-Berleburg’schen Rentkammer auch der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband und der Waldbauernverband NRW vertreten sein. Hinzu kämen fachliche Partner aus der bisherigen Wisentallianz, wie der Zoo Köln oder der World Wildlife Found (WWF).

Wichtig, so Heinen-Esser ist auch die finanzielle Ausstattung. Die hat der Runde Tisch mit 450.000 Euro jährlich beziffert, 90.000 mehr als die bisherige Grundfinanzierung. Der Grund für die Kostensteigerung liege in der Wisentlogistik, dem Einfangen von Tieren zur Verkleinerung der Herde.

Trägerverein stellte im vergangenen Monat Insolvenzantrag

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Im Herbst 2022 hatte der Wisent-Trägerverein den öffentlich-rechtlichen Vertrag zum Projekt gekündigt und sich nicht mehr für die Tiere zuständig gefühlt. Im vergangenen Monat hatte der Wisentverein dann einen für alle überraschenden Insolvenzantrag beim Amtsgericht Siegen gestellt. Hintergrund waren die angekündigten Zwangsgelder von bis zu 250.000 Euro für jeden Fall, in dem Wisente weiterhin Schäden in den Wäldern der klagenden Waldbauern anrichten.

Im Jahr 2013 waren die ersten Wisente in Wittgenstein in die freie Wildbahn entlassen worden. Seitdem sorgte das Projekt insbesondere durch Gerichtsverfahren für Schlagzeilen. Weil die mächtigen Wildtiere in Sauerländer Privatwäldern für Schälschäden sorgten, hatten Waldbesitzer bis zum Bundesgerichtshof geklagt.

Mediator soll im Streit mit Waldbauern vermitteln

„Wir müssen aus der Rechts-Lethargie herauskommen“, sagt Heinen-Esser und verweist auf die Empfehlung des Runden Tisches, im Streit mit Grundstücksbesitzern einen Mediator einzusetzen. Zudem soll die „vertrackte Situation“ dadurch befriedet werden, dass die Wisente in Zukunft durch ein professionelles Herdenmanagement vom Betreten der Privatwälder im Sauerland abgehalten werden und so keine Schäden mehr auftreten.

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Schnellstmöglich müsse ein entsprechendes Konzept ausgearbeitet werden, so Grünen-Politiker Remmel: „Wir stellen uns eine Kombination aus einer Besenderung der Wisente, aus Drohnenüberfliegungen und den Einsatz von Rangern vor, um die Tiere zu lenken. Oberste Priorität hat die Vermeidung von Schäden.“ Die Besenderung, das erläuterte Remmel, solle statt bislang einem Tier sogar fünf Tiere der Herde umfassen. Der Zoo Köln liefere die Expertise. So seien die Tiere jederzeit zu orten und könnten vor dem Betreten der Grundstücke der Kläger vergrämt, also vertrieben werden.

Schadensregulierung gesichert

Für eine Zukunft des Projekts sind Remmel zufolge die „drei V’s“ notwendig: „Vertrauen, Vernunft und Verantwortung.“ Durch die Klageverfahren sei viel Vertrauen verloren gegangen, die Verantwortung sei „hin- und hergeschoben“ worden. Und die Vernunft? „Ich kann nur appellieren, die rechtlichen Fragen ein Stück weit zurückzustellen und darauf zu vertrauen, dass die erfolgversprechenden praktischen Herdenmanagement-Maßnahmen greifen“, so der Siegerländer.

Über den großen Streitpunkt Schadensregulierung hat sich der Runde Tisch ebenfalls Gedanken gemacht und bereits konkrete Zusagen erhalten. Für Anträge und die Schadensbegleichung sei ab sofort die Arnsberger Bezirksregierung zuständig, sagt Ursula Heinen-Esser. Die Schadensaufnahme liegt in den Händen der Forstämter. Neben Baumschäden sollen in Zukunft auch durch Wisente verursachte landwirtschaftliche Schäden reguliert werden. Dafür solle ein Schadensfonds mit jährlich 50.000 Euro bereitstehen.

Vermittlung in andere Artenschutzprojekte

Dennoch: Für das Wisentprojekt im Rothaargebirge bedarf es weiterhin eines langen Atems. Bis man die Herde auf 20 bis 25 Tiere verringert habe, dürften nach Expertenaussage „drei bis fünf Jahre“ vergehen, berichtet die CDU-Politikerin bei der Vorstellung der Empfehlungen des Runden Tisches.

Bei der Vermittlung der Tiere in andere Artenschutzprojekte werde auf die Kompetenz des „Wisentzentrums Hardehausen“ (Kreis Paderborn) des Landesbetriebs Wald und Holz gebaut. „Von dort heißt es, dass die Nachfrage nach Wisenten in Europa durchaus da ist“, ergänzt Johannes Remmel und spricht von einem „Nachfragemonopol“, weil Artenschutzprojekte speziell freilebende Wisente suchten und die Wisente im Rothaargebirge die einzige freilebenden Herde in Deutschland seien.

„Verringerung der Herdengröße wird schwierig“

„Die Empfehlung des Runden Tisches, die Wisente mit einem professionellen Herdenmanagement davon abzuhalten, die Grundstücke der Sauerländer Waldbauern zu betreten, kann ich vom Wortlaut her nur begrüßen“, sagte Friedrich Frhr. von Weichs, Anwalt eines klagenden Grundstücksbesitzers, auf Anfrage.

Er habe mit Blick auf die Umsetzung allerdings „große Bedenken: Allein die dringend gebotene Reduzierung der Herdengröße wird schwierig. Es ist ja nicht nur so, dass die Herde fröhlich weiter kalbt – viele der freilebenden Wisente im Rothaargebirge sind inzestuös und damit nicht marktgängig. Also: Keiner will sie haben.“

Engagement des Landes unklar

Aus seiner Sicht bleibt weiter die Frage offen, wie intensiv sich das Land NRW beim Wisentprojekt engagieren wolle: „Genau genommen hat in Düsseldorf niemand so richtig Lust auf das Projekt.“

Wird es weitere Klageverfahren geben? „So lange die Wisente keine Schäden an ihren Grundstücken verursachen“, so von Weichs, „werden die Waldbauern im Sauerland das Wisentprojekt nicht durch Klageverfahren boykottieren oder blockieren.“

Zurückhaltung im NRW-Umweltministerium

Das NRW-Umweltministerium reagierte zurückhaltend auf die Ergebnisse des Runden Tisches: Man habe die Empfehlungen „zur Kenntnis genommen“, teilte die Pressestelle auf Anfrage mit.

Das Ministerium unterstütze die Suche nach einer rechtssicheren und artenschutzfachlich-basierten Lösung – auch jenseits der bestehenden Strukturen. „Daher werden wir jetzt zunächst die Entscheidungen in den zuständigen politischen Gremien im Kreis Siegen-Wittgenstein und im ebenfalls betroffenen Hochsauerlandkreis abwarten, der am Runden Tisch bisher nicht beteiligt war.“ Klar sei jedoch, dass die Ergebnisse „noch einer rechtlichen, haushalterischen und naturschutzfachlichen Überprüfung und Bewertung unterzogen werden müssten“. Nach einer schnellen Lösung klingt das nicht.

Gut 30 Personen am Runden Tisch

Am gut 30 Personen starken Runden Tisch hatten Vertreter des Kreises Siegen-Wittgensteins, des Wisent-Trägervereins und dessen Fördervereins, der Arnsberger Bezirksregierung, des Landes NRW, des Landesbetriebs Wald und Holz und Politiker des Siegener Kreistags gesessen.

In einer ersten Reaktion auf die Empfehlungen des Runden Tisches sagte Bad Berleburgs Bürgermeister Bernd Fuhrmann, 1. Vorsitzender des Wisent-Trägervereins, dass man „weiterhin fest davon überzeugt“ sei, „die Ansätze zu einem konsensfähigen Gesamtkonzept mit nachhaltiger Zukunft für das Projekt zu realisieren. Mehr noch: Wir betrachten dies als unsere Verpflichtung.“

Nur für den Trägerverein selbst gibt es eben keine Zukunft in diesem Konstrukt.