Hagen. Die Heizperiode steht vor der Tür. Im vergangenen Jahr sorgte die Energiekrise für Unruhe. Das raten nun Versorger, Kommunen und Energieexperten.
Erinnert sich noch jemand daran, dass im vergangenen Jahr das Duschverhalten von Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) öffentlich diskutiert wurde? „Meine Duschzeit habe ich noch mal deutlich verkürzt“, berichtete der Bundeswirtschaftsminister im Juni 2022 dem SPIEGEL und gab den Bürgern weitere Energiespartipps, etwa: „regelmäßig das Eisfach abtauen, Duschkopf wechseln.“
Mancher Vorgang aus der Hochphase der Energiekrise wirkt heute wie eine Episode aus längst vergangener Zeit, liegt aber nur einige Monate zurück. Der Ausfall russischer Gaslieferungen verbreitete Angst, ließ die Preise explodieren. Warnungen vor existenzgefährdenden Nebenkostenabrechnungen machten die Runde, seit Juni 2022 gilt die zweite von drei Stufen des „Notfallplan Erdgas“, die Bundesregierung forderte Bürger und Unternehmen zum Energiesparen auf, die Abschaltung von Industriebetrieben stand zur Debatte.
Nun steht wieder die Heizperiode vor der Tür. Auf was sich in Südwestfalen Energieversorger, Kommunen und Vermieter diesmal einstellen und wozu Energieexperten sowie Mieterbund raten, zeigt eine Umfrage in der Region.
Der Energieexperte
Thomas Zwingmann weist daraufhin, dass die Gaspreise zwar niedriger seien als im Vorjahr, aber immer noch deutlich über dem Niveau vor der Energiekrise. „Bei Neukundenpreisen liegen wir bei 60 Prozent Mehrkosten im Vergleich zu 2021“, sagt der Energieexperte der Verbraucherzentrale NRW.
Verbraucher sollten „unbedingt“ die Preise vergleichen und den Anbieter nach sorgfältiger Prüfung wechseln, wenn man feststelle, dass ein anderer einen viel günstigeren Tarif anbiete. „Es gibt deutliche Preisunterschiede“, so Zwingmann.
Sollten die von der Bundesregierung im Zuge der Krise eingeführten Energiepreisbremsen – bei Gas 12 Cent pro Kilowattstunde (für 80 Prozent des Vorjahres-Verbrauchs), bei Strom 40 ct/kWh – wie geplant zum Jahresende auslaufen, sieht Zwingmann auf die meisten Verbraucher keine großen Veränderungen zukommen. Bei vielen Anbietern seien die Gas-Preise mittlerweile wieder unter die Werte der Preisbremse gefallen. Jedoch: „Sollten die Gaspreise durch Mangellagen im späten Winter wieder ansteigen, würde es ohne Gaspreisbremse wieder deutlich teurer.“
Eine andere Maßnahme hingegen könnte zeitnah für Zusatzkosten sorgen. „Es ist im Gespräch, die Umsatzsteuer auf Gas wieder anzuheben, von sieben Prozent zurück auf 19 Prozent wie vor der Energiekrise. Das führt dann zu höheren Kosten. Aus unserer Sicht wäre das zum jetzigen Zeitpunkt kein gutes Signal, weil es die Wechselbereitschaft vermindern würde und damit den Wettbewerb beeinträchtigt“, urteilt Zwingmann.
Die Versorger
Die Preise am europäischen Erdgasmarkt stiegen in den vergangenen Tagen kräftig an, nachdem es an einer Gaspipeline zwischen Finnland und Estland zu einem plötzlichen Druckabfall gekommen war; gezielter Angriff nicht ausgeschlossen. Auch die Lage im Nahen Osten spielt eine Rolle. Hinzu kommt in Deutschland die erwähnte Unklarheit über die Fortführung der Energiepreisbremsen wie über die Umsatzsteuerhöhe.
„Die weitere und vor allem konkrete Entwicklung der Preise für die kommenden Monate ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht seriös prognostizierbar“, teilt etwa E.ON mit. Auch die Entwicklung der Netznutzungsentgelte für Gas und Strom sei noch offen, betont die HochsauerlandEnergie GmbH.
Teils konnten sich Kunden bereits über Preissenkungen seitens der Versorger freuen, teils sind solche für die kommenden Wochen/Monate angekündigt (etwa BIGGE Energie oder AVU).
Die Kommunen
Sieben angefragte Kommunen aus der Region – Winterberg, Brilon, Siegen, Hagen, Meschede, Bad Berleburg und Arnsberg– melden jedoch ähnlich wie die Versorger: Die Ausgangslage vor diesem Winter sei gut, die Gasspeicher seien gut gefüllt (laut Bundesnetzagentur zu fast 100 Prozent). Bei einem milden Winter seien „keine großartigen Risiken“ zu erwarten, heißt es etwa aus Brilon. Ein „Restrisiko“ bleibe aber bestehen – sollte der Winter sehr kalt ausfallen und in anderen Ländern eine höhere Nachfrage entstehen. Die Bürger werden daher aufgerufen, weiter Energie einzusparen.
Die Energieeinsparverordnungen der Bundesregierung sind im Frühjahr ausgelaufen, unter anderem die Stadt Winterberg behält einige Maßnahmen dennoch bei, beispielsweise eine reduzierte Heiz-Temperatur in öffentlichen Gebäuden oder eine eingeschränkte Straßenbeleuchtung. Die Absenkung der Wassertemperatur im Hallenbad wurde hingegen wie in Brilon oder in Siegen aufgehoben. Spezielle Maßnahmen plant derzeit keine der genannten Kommunen.
Der Mieterbund
Aus Sicht des Landesverbandes des Deutschen Mieterbunds (DMB NRW) ist die Krise noch nicht überwunden. Auch wenn die Energiepreise, insbesondere bei Neuverträgen, wieder gesunken seien, erhielten viele Mieter erst zum Ende dieses Jahres ihre Abrechnung für 2022. Außerdem gebe es immer noch Vermieter, die in der Hochpreisphase teure Verträge abgeschlossen hätten, die noch liefen.
Der Wegfall der Energiepreisbremsen werde für diejenigen relevant, die noch in alten Verträgen gebunden seien. „Mieterinnen und Mieter sollten bei ihrem Vermieter darauf drängen, eventuell Kündigungsmöglichkeiten solcher Verträge zu nutzen. Hier werden die Auswirkungen sehr unterschiedlich sein. Die Rückkehr zum alten Umsatzsteuersatz hingegen wird flächendeckend bemerkbar sein, aber kalkulierbar, es wird um etwas mehr als zehn Prozent teurer für alle. Beides wird wiederum erst in den Abrechnungen bis zu einem Jahr später auf die Haushalte durchschlagen, die zur Miete wohnen“, sagt Geschäftsführer André Juffern.
Die Befürchtungen über hohe Nachzahlungen bei den Nebenkostenabrechnungen für 2022 hätten sich oft „leider“ bestätigt. „Aus den Mietervereinen wird eine Zunahme an extrem hohen Nachzahlungen gemeldet“, sagt Juffern, der empfiehlt, Nebenkostenabrechnungen genau zu prüfen. Es habe aber „gelegentlich“ auch deutliche Rückerstattungen gegeben.
Die Wohngenossenschaft
Für die Lendringser Wohnungsgenossenschaft Gewoge in Menden mit 2500 Wohnungen berichtet Prokurist Jonas Struck, dass „unsere Mieter fast ausnahmslos Guthaben aus der Nebenkostenabrechnung für 2022 erhalten“ hätten.
Die Gründe: Mehr als 80 Prozent der Mieter hätten im vergangenen Jahr einer freiwilligen Erhöhung der Nebenkostenvorauszahlungen zugestimmt. Außerdem hätten die Mieter ihr Heizverhalten geändert, 20 Prozent weniger verbraucht. Hinzu kamen die Dezemberhilfen durch die Bundesregierung, die Energiepreisbremsen sowie zurückgegangene Energiepreise.
„Im Vorjahr haben wir uns Sorgen und viele Gedanken über die Energieversorgung und die -Preise gemacht. Das ist diesmal nicht der Fall. Die Situation hat sich entschärft. Wir sehen aktuell kein Szenario mehr, in dem auf unsere Mieter existenzgefährdende Nachzahlungen zukommen könnten“, sagt Struck. Er mahnt aber Mieter zur Vorsicht: „Es ist schwierig abzuschätzen, wo wir nächstes Jahr bei den Nebenkostenabrechnungen für 2023 landen.“