Bad Berleburg. Nach dem Insolvenzantrag des Wisent-Trägervereins äußert sich dessen Anwalt. Was die Wittgensteiner jetzt vom Land Nordrhein-Westfalen erwarten.
Der neben dem Rothirsch als König der Wälder bezeichnete Wisent feiert in diesen Tagen sein Thronjubiläum: Vor 100 Jahren wurde mit der Gründung der „Internationalen Gesellschaft zur Erhaltung des Wisents“ der Grundstein gelegt, dass heute wieder Exemplare der einst in der Wildnis ausgerotteten Rinder durch die Wälder streifen.
Durch Zucht- und Wiederansiedlungsprojekte, jubelt der Verband der Zoologischen Gärten, lebten inzwischen mehr als 8225 Wisente in einem natürlichen Lebensraum, „vor allem in Polen und Weißrussland“. Bis zu 40, so ist zu ergänzen, finden sich in Südwestfalen – im Rothaargebirge, als Teil eines international beachteten Artenschutzprojekts.
Doch wie lange noch? Gerade hat der Wisent-Trägerverein mit Sitz in Wittgenstein einen Insolvenzantrag am Amtsgericht Siegen gestellt. Über den Antrag sei noch nicht entschieden, heißt es beim Gericht.
Verfahren auch vor dem Bundesgerichtshof
Stephan Hertel ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Baurecht und Architektenrecht. Der Jurist aus Remscheid stand dem Wisentverein bereits vor dem Amtsgericht Schmallenberg, dem Landgericht Arnsberg, dem Oberlandesgericht Hamm und dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe zur Seite.
Immer ging es um Klagen von Sauerländer Waldbauern, die sich dagegen wehren, dass die freilebenden Wisente ihre Grundstücke betreten und Schälschäden verursachen. Und jetzt der Insolvenzantrag, vorläufiger Höhepunkt in einem Rechtsstreit, der wenige Monate nachdem die ersten Wisente in Wittgenstein 2013 in die freie Wildbahn entlassen wurden begann.
Waldbauern wollten Ranger installieren
„Der Wisent-Trägerverein hatte keine Alternative zu diesem Schritt“, sagt Hertel, nachdem zwei Waldbesitzer mit Zwangsvollstreckungsmaßnahmen vor dem Landgericht Arnsberg „jährlich mehr als 250.000 Euro für eigene Wisentranger erstritten haben“. Die Ranger sollten als eine Art Hirte die mächtigen Rinder von den Privatgrundstücken im Wald fernhalten.
Mehr als 250.000 Euro – weil diese Summe das Vereinsvermögen übersteigt, hätten die Vorstandsmitglieder – wie es im Juristendeutsch heißt – „persönlich haften“ müssen. Genauer: Der 1. Vorsitzende des Wisentvereins, Bad Berleburgs Bürgermeister Bernd Fuhrmann, und seine Vorstandskollegen hätten Geld aus ihrer privaten Schatulle beisteuern müssen.
„Menschlich sehr nachvollziehbarer Schritt“
Nur durch einen Insolvenzantrag war dies zu verhindern, sagt Hertel: „Ich halte diesen Schritt für menschlich sehr nachvollziehbar.“ Denn: Sollte das Insolvenzverfahren eröffnet werden, würden alle gerichtliche Verfahren gegen den Verein auf Eis gelegt und die Zwangsvollstreckung eingestellt. Waldbauern aus dem Sauerland reagierten übrigens verärgert auf den Insolvenzantrag und forderten, dass sich der Verein seiner Verantwortung stellen müsse.
Doch wie stand es zuletzt um die Vereinsfinanzen? Bislang schreibe man „auch aufgrund öffentlicher und privater Unterstützung eine vernünftige schwarze Null“, so Hertel, „die von den Waldbesitzern nun eingeleitete Zwangsvollstreckung bricht dem Verein finanziell das Genick. Er ist zahlungsunfähig.“
Entschädigungszahlungen fließen nicht
Mit der Zwangsvollstreckung wollten die Waldbauern erreichen, dass der Wisentverein Gerichtsurteilen nachkommt. So wurde ihm aufgetragen, dafür zu sorgen, dass die Wisente nicht mehr die Grundstücke betreten und Schäden verursachen. Zumal sich niemand mehr zuständig fühle, Entschädigungszahlungen zu organisieren.
Hertel geht davon aus, dass das Insolvenzgericht „im Laufe der kommenden Woche darüber entscheiden wird, ob ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird“. Sollte der zu dem Ergebnis kommen, dass nicht genügend finanzielle Mittel vorhanden sind, „müsste der Verein liquidiert werden“.
Aber so weit soll es nicht kommen. „Was der Verein unbedingt möchte: das in Westeuropa einzigartige Artenschutzprojekt sichern“, betont Hertel. Im Herbst 2022 hatte der Wisentverein den öffentlich-rechtlichen Vertrag zum Projekt gekündigt und das Eigentum an den freilebenden Tieren aufgegeben. „Das war ein Hilfeschrei an alle Projektpartner“, sagt Hertel, „wenn man so will, ist der jetzt gestellte Insolvenzantrag ein Aufschrei.“
Politische Entscheidung gefordert
Denn der Verein fühle sich „alleingelassen“. Seit Jahren sei das Land NRW am Zug, findet Hertel: „Im Sommer 2019 hat der Bundesgerichtshof eine politische Entscheidung gefordert, wie es mit dem Wisentprojekt weitergeht; dass neue Rechtsgrundlagen von der Politik geschaffen werden müssen. Es passiert jedoch nichts.“
Seit der Kündigung des öffentlich-rechtlichen Vertrages vertrete der Verein die Auffassung, dass die Wisente herrenlos seien. Hertel: „Aber auch wenn dies nicht zutreffend sein sollte, unterstehen die Tiere als streng geschützte Art der Zuständigkeit des Landes NRW.“ Der Schritt zum Insolvenzgericht diene „auch dem Schutz der freilebenden Wisente“.
Zurück zum Verband der Zoologischen Gärten (VDZ) und dessen Freude über die vor 100 Jahren begonnene „Rettung des Europäischen Wisents“. Wenn man ein gemeinsames Ziel habe, sagte der Berliner Zoochef Andreas Knieriem, „dann kennt Artenschutz keine Grenzen.“ Höchstens die von Wittgenstein zum Sauerland.