Hagen. 160 Patienten aus ganz Deutschland melden sich bei Elfriede Leniger-Follert, um behandelt zu werden. 80 Ärzte wollen ihre Methode kennenlernen.

Auf den Moment freut sich Elfriede Leniger-Follert schon jetzt, sagt sie: Freitag, 22. September, 17.30 Uhr. Dann wird sie im Gebäude der Freien Universität in Berlin sein. Die Deutsche Gesellschaft der Physiologen trifft an jenem Wochenende zu ihrem Jahreskongress zusammen. Die frühere Professorin aus Hagen wird dort ihre Erkenntnisse darlegen, wie sie glaubt, Long-Covid- und Post-Vac-Patienten helfen zu können. Der Kampf um Anerkennung ihrer Methode geht weiter. Ihr Fall zeigt vor aber allem, wie groß der Bedarf an Therapien ist.

Hoffnungsschimmer für viele verzweifelte Long-Covid-Patienten

Vor fast fünf Monaten berichtete diese Redaktion über die Wissenschaftlerin und Medizinerin, die mit ihren 80 Jahren noch immer eine Privatpraxis in Hagen betreibt – und sicher ist, dass sie für jene eine Lösung hat, die nach einer Corona-Infektion oder der entsprechenden Impfung dauerhaft krank geworden sind, die über diffuse Symptome klagen: Herzrasen, taube Gliedmaßen, Kopfschmerzen, Schwindel, Schwäche, Koordinations- und Konzentrationsprobleme, Sehstörungen. Die von Arzt zu Arzt pilgern, ohne Hilfe zu bekommen, manchmal sogar, ohne ernst genommen zu werden. Viele sind verzweifelt. Für sie ist der Ansatz der Hagenerin ein Hoffnungsschimmer. Zu Recht? Darüber streiten Experten.

Fest steht: Die Berichterstattung löste unzählige Reaktionen aus. 160 Patienten hätten sich bei ihr gemeldet, 100 habe sie in Behandlung, mehr ginge nicht. Sie kämen aus Stuttgart, Regensburg, Berlin und Hamburg, aus Münster, Hannover, Bonn und Düsseldorf, aus Mainz, Mannheim, Freiburg und München.

80 Ärzte interessieren sich für die Methode der Hagener Medizinerin

Manchmal habe sie den ersten Patienten um 7.30 Uhr, der letzte gehe gegen 19 oder 20 Uhr. „Ich arbeite im Moment zwölf Stunden am Tag“, sagt sie. Zudem meldeten sich immer wieder Ärzte, die sich für die Methode interessierten: aus ganz Deutschland, auch aus der Schweiz. 80 seien es seit dem Erscheinen des Berichts gewesen. „Ich freue mich über das Interesse der Kollegen, denn allein schaffe ich das nicht mehr. Meine Warteliste ist jetzt schon sehr lang.“

+++ Lesen Sie auch: Long Covid - wie sich ein Hagener zurückkämpft +++

Ein Hausarzt aus Hagen wurde auf die Therapie aufmerksam und nahm Kontakt auf. „Wir haben gute Erfolge mit der Therapie erzielt“, sagt er. 20 Patienten seien es derzeit bei ihm. Bemerkenswert: Eine Frau, die nur noch fünf Prozent Sehkraft auf einem Auge gehabt habe und als austherapiert gegolten habe, könne nun wieder ausreichend gut sehen.

Für Ärzte keine sehr lukrative Behandlungsmethode

Der Arzt, der das erzählt, möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen, weil er fürchtet, dass bei ihm bald Zustände wie bei Elfriede Leniger-Follert herrschen: „Wir sind in der Praxis ohnehin schon am Limit. Mehr würden wir nicht schaffen.“ Der Anreiz für höhere Kapazitäten fehlt allerdings auch, denn die Behandlung ist nicht sonderlich lukrativ: zehn Euro pro Magnesium-Spritze.

Elfriede Leniger-Follert forschte in den 1970- und 1980er-Jahren am Max-Planck-Institut in Dortmund. Sie leitete am Institut für Systemphysiologie eine Forschungsgruppe, die sich mit der Sauerstoffversorgung des Gehirns beschäftigte. Ihre Entdeckung damals: Die Injektion von Magnesium könne helfen, verengte Mikrogefäße wieder zu weiten und die Sauerstoffzufuhr zu normalisieren (siehe Hintergrund).

Experimentelle Medizin: „Keine anerkannte Therapiemaßnahme“

Die Injektion von Magnesium sowie die Gabe reinen Sauerstoffs würden vielen Patienten helfen, sagt sie. Letzteres ist unter Medizinern umstritten. Zu viel reiner Sauerstoff, sagen sie, könne toxisch wirken und in Lunge, Herz-Kreislauf- und Nervensystem zu Entzündungen und einer Verengung der Blutgefäße führen. Wissenschaftliche Studien, die die Wirksamkeit der Magnesium-Sauerstoff-Therapie belegen, gibt es nicht.

+++ Lesen Sie auch: Long Covid und Post Vac - Krankheiten, die man nicht messen kann +++

Die Ärztekammer Westfalen-Lippe wacht in der Region über die Einhaltung medizinischer Standards. „Die Magnesium-Sauerstoff-Therapie ist keine anerkannte Therapiemaßnahme“, teilte ein Sprecher schon vor Monaten mit, sie gehöre damit in den Bereich der „experimentellen Medizin. Wenn der Patient darüber informiert wird und keinen Schaden nimmt, ist das ein privater Vertrag und damit alles in Ordnung“.

Patienten bürgen mit ihrem Namen für die Wirksamkeit

Viele Patienten bürgen jedoch mit ihrem Namen für die Wirksamkeit. Jüngstes Beispiel: Die Schmallenbergerin Katja Geueke-Hennemann, die nach zwei Jahren Schmerzen wieder Hoffnung schöpft, die wieder stundenweise arbeiten und Freunde treffen kann.

Anderes Beispiel: Simone Sehr aus Siegen, deren Asthma und Rheuma sich nach einer Corona-Infektion spürbar verschlechterte, wie sie sagt. Sie klagte über Kurzatmigkeit, Herzrasen und Müdigkeit. Knapp 40 Spritzen erhielt sie, erst in Hagen, dann bei ihrer Hausärztin in Siegen. Die Schmerzen hätten nachgelassen, sie könne wieder unbeschwert mit dem Hund spazieren gehen. „Ich bin begeistert. Bei manchen anderen Ärzten hatte ich den Eindruck, nicht ernst genommen zu werden. Ich hatte die Hoffnung, dass das hier eine spannende, neue Entdeckung sein könnte. Und so war es“, sagt sie.

Seit anderthalb Jahren nicht mehr arbeitsfähig

Jessica Froese ist eine andere Patientin von Elfriede Leniger-Follert. Seit dem Frühjahr fährt sie zwei- bis dreimal pro Woche aus ihrer Heimat Wenden (Kreis Olpe) nach Hagen, um sich behandeln zu lassen. Ihre Hausärztin übernimmt weitere Behandlungen. 144 Spritzen hat Jessica Froese bislang erhalten. Am Anfang sah es so aus, als stelle sich schnell Besserung ein. Die Herzrhythmusstörungen verschwanden endlich.

Jessica Froese wird seit der zweiten Corona-Impfung wegen den Folgen behandelt.
Jessica Froese wird seit der zweiten Corona-Impfung wegen den Folgen behandelt. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann Funke Foto Services

„Ich habe mir schon ausgemalt, wie ich im August wieder arbeiten gehe“, sagt Jessica Froese. Doch ihrer Arbeit als Integrationsfachkraft kann sie seit anderthalb Jahren nicht mehr nachgehen. „Es stagniert gerade“, sagt sie.

Kongress in Berlin: Beitrag für den wissenschaftlichen Diskurs

Für den Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft der Physiologen hat sich Elfriede Leniger-Follert, jahrelang außerplanmäßige Professorin der Ruhr-Universität Bochum, selbst angemeldet. Sie öffnet sozusagen auf dem Markt der Wissenschaft einen Stand - bereit zum Gespräch. „Frau Leniger-Follert ist nicht von uns eingeladen worden, sondern hat ihren Beitrag aktiv auf der Kongress-Webseite eingereicht“, sagt Prof. Dr. Stefan Gründer, Präsident der Deutschen Physiologischen Gesellschaft.

Jeder Beitrag werde von mindestens drei Experten begutachtet. „Die allermeisten werden angenommen – es sei denn, sie verstoßen gegen Grundsätze der medizinischen Ethik -, um einen Beitrag für den wissenschaftlichen Diskurs zu liefern.“ Experten der Gefäßmedizin aus ganz Deutschland sind vor Ort – und debattieren über ihre Themen. Elfriede Leniger-Follert wird bereit sein.

<<< HINTERGRUND >>>

Welche Erkenntnisse liegen der Magnesium-Sauerstoff-Therapie zugrunde? Dr. Elfriede Leniger-Follert sagt, dass sie den Mechanismus der krankheitsbedingten Verengung der Mikrogefäße 1983 entdeckte. Durch die Verengung sei die Sauerstoffversorgung des Gehirns, der Netzhaut, des Innenohrs, der Lunge und Leber, in den Nieren und den Füßen eingeschränkt.

Bei allen Durchblutungsstörungen werde die Außenseite der Gefäßmuskelzellen negativ gegenüber der positiv geladenen Innenseite geladen (Kalium-Depolarisation). Diese Umkehr sei der Auslöser für die Verkürzung der ringförmigen Gefäßmuskeln, die sich somit verengten. Wenige Jahre später habe sie entdeckt, dass Magnesium-Ionen geeignet sind, die ungünstige Ladungsverteilung rückgängig zu machen. Dies öffne und erweitere die Blutgefäße wieder.