Hagen. Prof. Elfriede Leniger-Follert behauptet, eine erfolgsversprechende Therapie für Long-Covid- und Post-Vac-Patienten zu haben. Was ist da dran?

Die Patientin liegt auf der Liege, die Uhr an der Wand fest im Blick. Der Sekundenzeiger nähert sich der zwölf. „Fünf, vier, drei, zwei, eins - und los“, sagt die Frau, während in dem Augenblick Prof. Elfriede Leniger-Follert den Inhalt ihrer Spritze vorsichtig in die Armvene drückt: Magnesium, das nun durch den Kreislauf gepumpt wird. Dort, wo es im Körper anlangt, spürt die Patientin Wärme. Wo genau? Und wann? Das ist wichtig, sagt Leniger-Follert.

„Zunge“, sagt die Patientin. 20 Sekunden sind da vergangen.

„Brust.“ 23.

„Fuß.“ 28.

„Beine.“ 33.

„Hände.“ 38.

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Es ist ein Teil eines Prozederes, von dem Elfriede Leniger-Follert sagt: „Ich weiß, dass ich ein Verfahren habe, das vielen Long-Covid- und Post-Vac-Patienten helfen kann.“ Sie hat eine Privatpraxis in Hagen, ist 80 Jahre alt. Ausgerechnet dort gibt es ein Mittel gegen die diffusen Beschwerden, die Tausende Menschen plagen nach der Corona-Infektion oder der Impfung? Gegen die Probleme mit dem Herz, gegen die Kopfschmerzen, gegen den Schwindel, die Sehstörungen, die Muskelschmerzen? Eine Lösung, auf die Uni-Kliniken, Fach- und Hausärzte bisher nicht oder kaum zurückgreifen?

Wie wahrscheinlich ist das?

Unwahrscheinlich einerseits. Andererseits scheinen ihre Patienten wirklich Fortschritte zu machen. 60 Long-Covid- und 30 Post-Vac-Patienten habe sie schon behandelt oder sei dabei – mittlerweile kämen die aus fast ganz Deutschland. „Den meisten geht es sehr viel besser.“

Vier Fallbeispiele

Wie Gerald Hanisch (56) aus Hagen. Er erkrankte im Januar 2021. Es folgten: Wortfindungsschwierigkeiten, Erinnerungslücken und vor allem bleibende Abgeschlagenheit. 33 Spritzen erhielt er. „Ich bin vollständig wiederhergestellt“, sagt er.

Wie Lea Nientiedt (34) aus Münster. Sie wurde nach der zweiten Impfung im Juni 2021 krank und ist seit Januar in Hagen in Behandlung. „Ich bin zwei Jahre durch die Hölle gegangen, jetzt merke ich endlich, dass es mir langsam besser geht“, sagt sie. Das Herzrasen und die Blutdruckeskapaden hätten nach den ersten Spritzen aufgehört, die Muskelschmerzen und Taubheitsgefühle würden nachlassen.

Bis zur Magnesium-Therapie: Krankenzeit war „die Hölle“ und „eine Qual“

Wie Tim-Oliver Ostendorp (51/Name geändert) aus Hagen, der im Januar 2022 erkrankte, vergesslich und fahrig wurde, seinen Sport wegen Erschöpfung nicht mehr ausführen konnte und beim Tragen eines Wasserkastens schon an seine Grenzen geriet. „Das halbe Jahr war eine Qual“, sagt er. 50 Sitzungen bei Prof. Leniger-Follert halfen ihm, sagt er: „Ich bin dankbar, dass ich auf sie gestoßen bin.“

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Wie Jessica Froese aus Wenden. Sie ist die Frau auf der Liege. Die 41-Jährige klagt über Symptome, seit sie sich hat impfen lassen: Herzrasen, taube Gliedmaßen, Kopfschmerzen, Schwindel, Schwäche, Koordinations- und Konzentrationsprobleme, Sehstörungen, Wortfindungsstörungen, Magen- und Darmbeschwerden, Lichtempfindlichkeit, Schlafstörungen.

Sie hat – wie viele andere Betroffene – einen wahren Ärztemarathon hinter sich, war verzweifelt. Die WESTFALENPOST berichtete über sie im Februar. Daraufhin meldete sich Elfriede Leniger-Follert.

Durchblutungsstörungen werden an Kreislaufzeiten deutlich

22 Spritzen hat Jessica Froese bislang schon in mehreren Sitzungen erhalten, anschließend wird ihr gemäß der Therapie Sauerstoff über einen Konzentrator verabreicht. „Meine Symptome haben sich deutlich verbessert. Die Herz-Rhythmus-Störungen lassen nach und ich vertrage endlich auch wieder mehr Lebensmittel“, sagt sie. Fortschritte, auf die sie zuvor vergeblich wartete. Seit 13 Monaten ist sie krank, war seitdem nicht mehr arbeiten. „Wir werden ein halbes Jahr brauchen, damit Frau Froese wieder arbeitsfähig ist“, sagt Leniger-Follert.

Aber es dauere eben auch. Das Wärmeempfinden bei der Magnesium-Injektion hätte gleichzeitig mit der Brust auch am Kopf einsetzen müssen. Tat es aber nicht. „Das zeigt mir, dass die Durchblutung des Hirns noch nicht gut funktioniert, dass ein Sauerstoffmangel weiterhin vorliegt. Das könnte der Grund für die neurologischen Ausfallerscheinungen sein“, sagt Frau Professor, die die Mikrozirkulation als ihre Lebensaufgabe bezeichnet.

Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut geleitet

Nach dem Medizin-Studium in Marburg zog es sie nach Dortmund zum Max-Planck-Institut, wo sie nach dessen Auskunft in den 70er und 80er Jahren forschte und publizierte: Sie leitete am Institut für Systemphysiologie eine Forschungsgruppe, die sich mit der Sauerstoffversorgung des Gehirns beschäftigte. Ihre Entdeckung damals: Magnesium könne helfen, verengte Mikrogefäße wieder zu weiten und die Sauerstoffzufuhr zu normalisieren (siehe Stichwort unten). Wissenschaftliche Studien, die die Wirksamkeit eindeutig belegen, gibt es nicht.

Die Gabe reinen Sauerstoffs ist unter Medizinern umstritten. Zu viel Sauerstoff, so heißt es, könne toxisch wirken und in Lunge, Herz-Kreislauf- und Nervensystem zu Entzündungen und einer Verengung der Blutgefäße führen.

Magnesium-Sauerstoff-Therapie ist kein anerkanntes Verfahren

Die Ärztekammer Westfalen-Lippe wacht über die Einhaltung medizinischer Standards. „Die Magnesium-Sauerstoff-Therapie ist keine anerkannte Therapiemaßnahme“, teilt ein Sprecher auf Nachfrage mit, sie gehöre damit in den Bereich der „experimentellen Medizin. Wenn der Patient darüber informiert wird und keinen Schaden nimmt, ist das ein privater Vertrag und damit alles in Ordnung“.

Elfriede Leniger-Follert, die bis 2010 rund 20 Jahre lang außerplanmäßige Professorin an der Ruhr-Universität Bochum war, räumt offen ein, dass ihre Methode nicht anerkannt ist. „Ich kann auch verstehen, dass Kollegen deswegen kritisch da hinschauen“, sagt sie. Sie führte selbst eine kassenärztliche Hausarztpraxis in Hagen.

Von ihrer Methode ist sie aber überzeugt. Sie kann ohne Pause darüber reden: über Arteriolen, über elektrische Potenziale, über die Gradientdifferenz und wie das alles lindernd zusammenwirkt – auch bei Demenz, austherapierter chronischer Herzinsuffizienz.

Patent aus den USA für eine andere Entdeckung

„Diese Therapie dürfen nur erfahrene Ärzte vornehmen, das ist ein Eingriff in die Kreislaufregulation“, warnt sie: „Man muss genau wissen, was man tut.“ Eine intensive Anamnese gehe all dem voraus.

Was will diese Frau?

Sich profilieren?

Sich bereichern?

In ihrem Praxisraum in ihrem Privathaus steht nicht viel mehr als eine Liege und ein medizinisches Skelett. In einem der Bücherregale an der Wand liegt ein Dokument mit goldenem Abzeichen und rotem Band: ein Patentnachweis aus den USA von 1991 zur speziellen Behandlung von Kreislaufstörungen. Eine andere Sache, sagt sie, nicht für den Praxisalltag geeignet.

10 bis 15 Euro pro Sitzung für Kassenpatienten

Dass ihre Methode noch einmal so nachgefragt werden würde, hatte sie nicht mehr zu hoffen gewagt. Sie habe damals das Max-Planck-Institut verlassen und zuvor nicht ausreichend publiziert, um die Methode dem wissenschaftlichen Diskurs auszusetzen und bekannt zu machen. Sie sagt, sie wolle das nachholen und mit den Ergebnissen ihrer Patienten eine Studie aufsetzen.

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„Es geht mir nicht ums Geld. Ich möchte denen helfen, die schwer geschädigt sind“, sagt die 80-Jährige. 10 bis 15 Euro zahlt ein Kassenpatient pro Sitzung. Die Therapie sei zeitintensiv und kostengünstig – ein möglicher Grund, warum die Kollegen bisher verhalten reagieren. 15 Mediziner aus ganz Deutschland hätten sich zuletzt an sie gewandt, um die Methode bei ihren Patienten fortzuführen oder anzuwenden. Noch zu wenige, sagt sie.

Ihr wachse das alles langsam über den Kopf. Von morgens bis abends habe sie Patienten. „Ich kann das alleine nicht bewältigen. Ich brauche andere Ärzte, die mitziehen.“

<<< Stichwort: Magnesium-Sauerstoff-Therapie >>>

Prof. Elfriede Leniger-Follert sagt, dass sie den Mechanismus der krankheitsbedingten Verengung der Mikrogefäße 1983 entdeckte. Dadurch sei die Sauerstoffversorgung des Gehirns, der Netzhaut, des Innenohrs, der Lunge und Leber, in den Nieren und den Füßen eingeschränkt.

Bei allen Durchblutungsstörungen werde die Außenseite der Gefäßmuskelzellen negativ gegenüber der positiv geladenen Innenseite geladen (Kalium-Depolarisation). Diese Umkehr sei der Auslöser für die Verkürzung der ringförmigen Gefäßmuskeln, die sich somit verengten. Weniger Jahre später habe sie entdeckt, dass Magnesium-Ionen geeignet sind, die ungünstige Ladungsverteilung rückgängig zu machen. Dies öffne und erweitere die Blutgefäße wieder.