Wenden. Die Corona-Impfung hat sie ihr altes Leben gekostet, sagt Jessica Froese aus Wenden. Sie leidet, kann nicht arbeiten – und wird sogar verlacht.

Jessica Froese (41) hat heute einen ihrer guten Tage, sagt sie. Einen, an dem sie nicht mehrheitlich im Bett liegen muss. Vor einem Jahr ließ sie sich gegen das Coronavirus impfen. Biontech als Auffrischung. Seitdem, sagt sie, sei nichts mehr, wie es war in ihrem Leben. Sie ist krank und kann nicht mehr arbeiten gehen.

Das Herz rast.

Taube Gliedmaßen.

Kopfschmerzen.

Schwindel.

Schwäche.

Schuld ist die Impfung. Das sagt Jessica Froese. Darauf deuten Untersuchungen hin. „Ich habe vertraut! Nun werde ich im Stich gelassen!“ Und zum Teil mit Häme und Ablehnung bedacht.

Was sie plagt, hat mittlerweile einen Namen: Post-Vac-Syndrom. Darunter leiden Menschen, die nach der Impfung gegen das Coronavirus ein oft diffuses Krankheitsbild entwickeln, das dem von Long-Covid-Patienten ähnelt. Beide Krankheiten haben gemeinsam, dass Betroffene oft nicht ernst genommen werden, dass sie sich ohnmächtig fühlen, weil man ihnen nicht helfen kann oder will.

5000 Euro aus eigener Tasche

Zwei Ordner hat Jessica Froese vor sich auf den Tisch gewuchtet. Einen armdicken, in dem der Schriftverkehr festgehalten ist: mit der Krankenkasse, mit Ärzten, mit der Sozialkasse, mit der Rentenkasse. In dem anderen: Rechnungen. 117 Seiten. 5600 Euro bisher. Alles aus eigener Tasche bezahlt, weil das, was Jessica Froese hat, zwar einen Namen trägt, aber offiziell offenbar nicht existiert. Ihre Krankenkasse jedenfalls hat noch jeden Erstattungswunsch abgelehnt.

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Mit Johnson & Johnson hatte sie sich im Sommer 2021 impfen lassen, weil es damals erste Bürgerpflicht war: Sie lieferte ihren Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie. Keine Nebenwirkungen. Januar 2022: Biontech-Auffrischung. Schon am Tag danach fing es an.

Dem Paul-Ehrlich-Institut wurden bis Ende Oktober des vergangenen Jahres deutschlandweit etwas mehr als 50.000 Verdachtsfälle von schwerwiegenden Nebenwirkungen nach einer Corona-Impfung gemeldet. Mit anderen Worten: Einer von 3000 Geimpften könnte betroffen sein, denn es handle sich hierbei um Verdachtsfälle, wie das Bundesgesundheitsministerium auf Nachfrage dieser Redaktion betont.

Ungewisser Blick in die Zukunft: Für die Blutwäsche hat Jessica Froese einen Spendenaufruf gestartet. Die Kosten von 15.000 Euro kann sie selbst nicht aufbringen, weil die Ersparnisse längst aufgebraucht sind.
Ungewisser Blick in die Zukunft: Für die Blutwäsche hat Jessica Froese einen Spendenaufruf gestartet. Die Kosten von 15.000 Euro kann sie selbst nicht aufbringen, weil die Ersparnisse längst aufgebraucht sind. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Bei 80 Prozent Impfquote in Deutschland sind das jedoch Tausende, die sich in gutem Glauben die Spritze setzen ließen, dafür möglicherweise mit der Gesundheit bezahlten – und sich verloren fühlen, weil es für sie mangels Studien keine festgelegte Therapie gibt.

„Ich hatte Todesangst“

Am Tag nach der Impfung beginnt alles mit Schüttelfrost, Fieber, massiven Kopfschmerzen und extremer Müdigkeit. „Ich dachte an eine normale Impfreaktion“, sagt Jessica Froese. Doch es tritt nach ihrer Auskunft keine Besserung ein, im Gegenteil. Eine Woche nach der Impfung liegt sie, so berichtet sie, auf der Couch, als ihr Blutdruck entgleist und ihr Puls hochschießt. Sie will etwas trinken, kann das Glas aber nicht halten. „Ich dachte mein Herz springt mir aus der Brust. Ich hatte Todesangst“, sagt sie. Notaufnahme Krankenhaus Olpe. Puls und Blutdruck beruhigen sich. Entlassung ohne Diagnose.

Viele Symptome und ein Ärzte-Marathon

Wenige Tage später werden Arm und Gesicht taub. So muss sich ein Schlaganfall anfühlen, denkt sie. Sechs Tage bleibt sie in der Klinik. Entlassung ohne Diagnose.

Wenige Tage später wird sie mit dem Krankenwagen eingeliefert. Entlassung ohne Diagnose. Ohne Therapieangebot. Immerhin mit der Bestätigung des Assistenzarztes, dass das alles mit der Impfung zusammenhängen könnte.

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Weitere Symptome, mal mehr und mal weniger ausgeprägt, sind: Koordinations- und Konzentrationsprobleme, Sehstörungen, Sehkraftverlust, Wortfindungsstörungen, Magen- und Darmbeschwerden, Lichtempfindlichkeit, Atemaussetzer, Schlafstörungen, Haarausfall, Gewichtsverlust.

Jessica Froese war bei ihrer Hausärztin, beim Kardiologen, Neurologen, Pneumologen, Augenarzt, Ergotherapeuten, Heilpraktiker, Venenfacharzt. Sie war bei Medizinern in Düsseldorf, Köln, Hannover, Dortmund, Olpe. Die Uniklinik Münster schrieb nach dem Besuch: „Zum jetzigen Zeitpunkt besteht keine definierte Therapieoption“.

Blutwäsche kostet 15.000 Euro, aber die Krankenkasse zahlt nicht

Sie schluckt Tabletten und Nahrungsergänzungsmittel, lässt Bluttests machen, die sie selbst bezahlt. Ein Labor in Berlin beschied ihr, dass sich in ihrem Blut als Reaktion auf die Impfung Autoantikörper bilden, die die entzündlichen, neurologischen und kardiologischen Beschwerden vermutlich verursachen.

Ein Arzt empfahl ihr daher eine Blutwäsche, für die sie nun einen Termin hat. Im März. In Hannover. Dreizehn Tage lang. Kosten? Alles zusammen rund 15.000 Euro. Kostenübernahme? „Diese Behandlung gehört nicht zu den schulmedizinischen Behandlungsmethoden“, schreibt ihr die Krankenkasse. Jessica Froese legt Widerspruch ein. Die Kasse bleibt bei ihrer Meinung.

Seit einem Jahr nicht mehr arbeiten

Bessere und schlechtere Tage habe sie, sagt Jessica Froese. An den schlechten könne sie kaum aufstehen und das Haus nicht verlassen, um mit den Hunden spazieren zu gehen oder einkaufen zu gehen. Ihr Sohn (22) ist aus dem Haus. Ihrer Arbeit als Integrationsfachkraft bei der Bundesagentur für Arbeit kann sie seit einem Jahr nicht mehr nachgehen. Sie wird jetzt wohl Erwerbsminderungsrente beantragen.

„Ich will doch nur wieder gesund sein“, sagt die Frau, die nach eigener Aussage mitten im Leben stand, gern Freunde traf, auf Konzerte und Festivals ging, Sport machte, Motorrad fuhr. „Am normalen sozialen Leben teilzunehmen ist fast unmöglich, da ich die meiste Zeit an meine Wohnung gebunden bin. Und der angeblich ach so große Freundeskreis wird kontinuierlich kleiner.“ Sie erhält seit Monaten nur noch Krankengeld. „Mein ganzes Erspartes ist nun weg.“ Für die Blutwäsche hat sie eine Spendenaktion ins Leben gerufen (zu finden unter: https://gofund.me/44c7039d).

Potenzielle Impf-Opfer können Entschädigungen geltend machen. Jessica Froese hat ihren Antrag an den Landschaftsverband Westfalen-Lippe im vergangenen Oktober abgeschickt, weil die Beschwerden zunächst sechs Monate anhalten müssen. Eine Antwort hat sie noch nicht. Und ihre Hoffnung ist nicht allzu groß nach all den Erfahrungen, die sie bisher gemacht hat.

Als Impf-Opfer wird man als Querdenkerin oder eingebildete Kranke behandelt

„Die meisten Ärzte möchten leider von Impfnebenwirkungen nichts hören und machen lediglich ihre Standard-Untersuchungen mit mir“, sagt Jessica Froese. „Beim Thema Corona-Impfung läuft man wie vor eine Wand. Entweder ist man die, die sich ihre Krankheit einbildet, oder noch schlimmer: Querdenkerin.“ Im Internet, wo die Hemmschwelle noch geringer ist, wird sie von jenen verlacht, die vor der Impfung warnten.

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Jessica Froeses Krankenkasse antwortet auf eine allgemeine Anfrage dieser Redaktion zum Umgang mit Post-Vac-Patienten eher ausweichend. Grundsätzlich übernehme sie die Kosten „für medizinisch notwendige Krankenbehandlungen“, lässt die AOK Nord/West wissen. „Kosten, die durch die Behandlung von anerkannten Impfschäden entstehen“, würden „nach Paragraph 63 Infektionsschutzgesetz pauschal erstattet“. Jesssica Froese fällt bislang aber offenbar in keine der beiden Kategorien.

Nur zwei offizielle Anlaufstellen gibt es bislang für Post-Vac-Patienten: die Charité in Berlin und die Uniklinik Marburg, die eine eigene Sprechstunde einrichtete und sich einer „Flut an Anfragen“ ausgesetzt sieht. Wenn Jessica Froese im Februar ihren Termin hat, dann hat sie elf Monate darauf gewartet.

Erst 253 Anträge bewilligt

Einer bundesweiten Umfrage der „Welt am Sonntag“ zufolge haben die Versorgungsämter bislang 253 Anträge auf Entschädigung nach Coronavirus-Impfung bewilligt, 38 davon in NRW. 1808 Anträge haben die Ämter den Angaben zufolge abgelehnt. Derzeit seien noch 3968 Anträge in Bearbeitung.

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So wie der von Jessica Froese. Ihr Lächeln hat sie noch nicht verloren, zumindest nicht an den guten Tagen. „Verzweifelt bin ich trotzdem“, sagt sie. Sie setzt darauf, dass die Blutwäsche ihr helfen wird, dass sie danach, wenn sich der Körper von der anstrengenden Behandlung erholt hat, wieder arbeiten kann. 4000 Euro hat sie bereits zusammen. Aber es fehlt noch zu viel.

Was passiert, wenn sie sie das Geld nicht zusammenbekommt? Sie zuckt mit den Schultern. Von den Ärzten hat sie Schwarz auf Weiß, dass ihre Autoimmunerkrankung fortschreiten wird, dass Organe schaden nehmen könnten und sie zum Pflegefall werden könnte. „Die Impfung“, sagt sie, „hat bestimmt vielen das Leben gerettet. Empfehlen würde ich sie aber niemandem mehr.“ Denn es sieht so aus, als habe sie die Impfung ein Teil ihres früheren Lebens gekostet.

<<< HINTERGRUND >>>

Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts wurden rund 65 Millionen Menschen mindestens einmal geimpft. Dem Paul-Ehrlich-Institut liegen 333.492 Verdachtsfälle von Nebenwirkungen vor und und 50.833 Verdachtsfälle schwerwiegender Nebenwirkungen. Ob ein Anspruch auf eine staatliche Versorgung bei einem Impfschaden besteht, entscheidet das Versorgungsamt des jeweiligen Bundeslandes.

Allein beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (zusammen mit dem Landschaftsverband Rheinland für NRW zuständig) sind seit Beginn der Pandemie 428 Anträge eingegangen: 22 wurden bewilligt, 58 abgelehnt, 20 erledigten sich auf sonstige Weise, 328 Anträge sind in Arbeit. Versorgungsleistungen sind Rentenzahlungen je nach Schwere des Gesundheitsschadens, Heilbehandlungen oder Hinterbliebenenversorgung. Hinterblieben sind Witwen, Witwer, Lebenspartner, Waisen und Eltern.