Bad Berleburg. Post Covid ist ein Problem. Eine Betroffene und ein Arzt über die schwierige Diagnose und Therapie, über Trittbrettfahrer und Rehamöglichkeiten.

Eine Woche ist es erst her, dass ihr alles zu viel wurde, dass sie in Tränen ausbrach. Nicht aus Verzweiflung, sondern aus kurzzeitiger Überforderung. Mit einem Mal ist das Gefühl da, unvorhersehbar, überwältigend. „Das kann schonmal passieren – auch heute noch“, sagt Corina Stehl. Seit mehr als einem Jahr kämpft sie gegen die Langzeitfolgen ihrer Corona-Infektion an. Sie glaubt, es bald geschafft zu haben.

Die 51-Jährige befindet sich derzeit in der Vamed Rehaklinik Bad Berleburg. Neben der Klinik Ambrock in Hagen die einzige in Südwestfalen, in der man sich auf die Behandlung von Long- und Post-Covid-Patienten spezialisiert hat. Wo man nach zwei Jahren Pandemie schon viel weiß über die Erkrankung, aber vieles eben auch noch nicht. Diese Rätsel und Ungewissheiten auch im Umgang damit sind für die, die das Virus mit Verzögerung außer Gefecht setzt, besonders zermürbend. Viele suchen Rat in Selbsthilfegruppen, wie sie mittlerweile zum Beispiel in Gevelsberg, Hagen, Arnsberg und Fröndenberg existieren.

Post-Covid-Patientin: Seit einem Jahr krankgeschrieben

Am 16. Dezember 2020 erhielt Corina Stehl das positive Test-Ergebnis, die Krankheit schonte sie nicht: Atemprobleme, hoher Puls, über 40 Fieber, Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns, starke Schmerzen. Drei Wochen, sagt sie, habe sie im Bett verbracht, zwei Wochen war sie danach noch krankgeschrieben, ehe sie wieder zur Arbeit ging. Das hat sie immer so gemacht, selbst wenn sie sich nicht zu hundert Prozent gesund fühlte. „Durchs Tun wird die Kondition wieder besser“, dachte sie.

Post-Covid-Patientin: Corina Stehl (51) aus Fritzlar.
Post-Covid-Patientin: Corina Stehl (51) aus Fritzlar. © WP | Privat

Sie erinnert sich an den Moment, als nach vier Wochen Arbeit plötzlich nichts mehr ging. „Ich saß in einer Videokonferenz, als ich von der einen auf die andere Sekunde nichts mehr konnte, nichts mehr wusste. In meinem Kopf war nur noch Leere.“ 12. Februar 2021. Seitdem ist die Sozialarbeiterin - verheiratet, Mutter einer erwachsenen Tochter - krankgeschrieben.

Im gleichen Gartencenter wie seit 20 Jahren – aber den Ausgang nicht gefunden

Wenn sie ein Buch zu lesen begann, wusste sie auf Seite 3 nicht mehr, was auf Seite 1 stand. Wenn sie Auto fuhr, dann nur ohne Radio – und trotzdem brachte sie das an ihre Grenzen, weil sie sich auf die Abläufe so sehr konzentrieren musste. Als sie in dem Gartencenter stand, in das sie seit 20 Jahren fährt, fand sie plötzlich nicht mehr den Weg hinaus. Kraftlos, orientierungslos, unkonzentriert, im wahrsten Sinne aus dem Gleichgewicht. So fühlte sich das an, sagt sie.

Woher das alles kommt? „Wenn wir das wüssten“, sagt Dr. Dietmar Schäfer, Ärztlicher Direktor und Chefarzt Neurologie in der Rehaklinik Bad Berleburg. „Wir gehen davon aus, dass es sich um entzündliche Veränderungen des Gehirns oder des Nervensystems handelt, die wir aber nicht sichtbar machen können.“ Eine Krankheit, die da ist, aber nicht messbar. Die keine Massenerscheinung ist, aber ernste Probleme bereitet.

Neurologen, Kardiologen, Lungenfacharzt: keine sichtbaren Ergebnisse

Corina Stehl ging damals, als sie zusammenbrach, zum Neurologen, zum Kardiologen, zum Lungenfacharzt, zum Hals-, Nasen-, Ohrenarzt. Sie wurde geröntgt, ins MRT geschoben, das Blut wurde untersucht. Nichts. Konzentration, Koordination und Merkfähigkeit waren beeinträchtigt, nach jeder kleinen Anstrengung war sie völlig fertig: zitternde Beine, rasender Puls, nass geschwitzt. Und ihr Zustand besserte sich nicht. „Erklären Sie das mal jemandem“, sagt sie. Wie ihr geht es Tausenden.

Die erste Hürde sei der Hausarzt, sagt Dr. Schäfer. Seit etwa einem Jahr wird die spezielle Reha in Bad Berleburg angeboten, 50 Patienten wurden bereits behandelt. Sehr aufwändig sei das, weil jeder Patient ein individuelles Programm erhalte, das immer wieder angepasst werden müsste. Rückschläge sind die Regel. Bei anderen Erkrankungen wisse man, wie weit man den Patienten über seine Grenzen hinaus belasten könne oder sogar müsse. Bei Post Covid sei das anders. Da müsse man auf den Patienten hören. Das Fatigue-Syndrom, diese alles überschattende Müdigkeit, sei sehr ausgeprägt. Die Beanspruchung muss gut dosiert werden. Pacing nennt das der Mediziner.

Der Hausarzt muss die richtigen Entscheidungen treffen

„Wenn der Hausarzt nicht die richtigen Entscheidungen trifft, dann wird es schwer für den Patienten“, sagt Dr. Schäfer. Es ist ja auch so schon nicht leicht. Die 50 Fälle, die er in Wittgenstein gesehen hat, seien höchst unterschiedlich gewesen. Manche seien nur erleichtert, dass sie endlich ernst genommen würden. Bei anderen liegen traumatisierende Corona-Erlebnisse vor, die eher psychologisch behandelt werden müssten.

Andere, die gäbe es auch und nicht zu selten, versuchten sich mit der Krankheit, die keiner sieht, nur Leistungen zu erschleichen. Trittbrettfahrer. Ein zunehmendes Problem. „Dafür gibt es spezielle Tests, die mit hoher Wahrscheinlichkeit jene herausfiltern, die ihr Leiden nur vortäuschen. Die Sozialleistungsträger erwarten da von uns klare Aussagen, die aber auch nicht immer so klar zu treffen sind.“

Reha-Aufenthalte: Nur die Hälfte spürt Fortschritte

Aber die meisten, sagt Schäfer, die wollten unbedingt zurück in ihr Leben. Wie Frau Stehl. Wie eine Polizistin, die er behandelte, 38 Jahre alt, topfit, der aber alles schwer gefallen sei: Erinnerungsleistungen, körperliche Anstrengung, einfach alles. Die Hälfte der Patienten hätte die Klinik mit einem Gefühl der Besserung verlassen. Eine Rückkehr in den alten Job sei denkbar. Die andere Hälfte spürt keine Fortschritte. „Das ist eine beeindruckend schlechte Quote“, staunt Schäfer, die er von anderen Erkrankungen nicht kennt. Manche fühlten sich nach der Reha sogar schlechter als zuvor.

Dr. Dietmar Schäfer, Ärztlicher Direktor und Chefarzt Neurologie in der Reha-Klinik Bad Berleburg.
Dr. Dietmar Schäfer, Ärztlicher Direktor und Chefarzt Neurologie in der Reha-Klinik Bad Berleburg. © WP | Michael Mutzberg

So ist es Corina Stehl auch schon gegangen. Im vergangenen Sommer war sie bereits in der Reha. Das raue Klima an der Nordsee werde ihr guttun, sagten die Ärzte. Doch die Reha überforderte sie körperlich, das führte zu Stress und der Stress wie immer bei Fatigue zu einer Verschlechterung des Zustandes. „Das Beste an diesem Jahr, das ich jetzt krank bin, war fast schon, dass ich diese Leere im Kopf hatte. Dadurch fühlte es sich nicht an wie ein Jahr.“

Berufsunfähig? Die Krankenkasse macht Druck

Doch die Krankenkasse machte Druck. Nach nur 26 von gesetzlich vorgeschriebenen 78 Wochen Krankengeld wurde der Medizinische Dienst der Krankenkassen beauftragt, Frau Stehl zu begutachten. Urteil: berufsunfähig. Sie möge bitte die Erwerbsminderungsrente beantragen. „Aber das wollte ich nicht. Ohne Arbeit bin ich nur ein halber Mensch“, sagt sie. Sie wollte eine zweite Reha. Den Platz in Bad Berleburg bekam sie schnell bewilligt.

Nicht ungewöhnlich, sagt Dr. Schäfer. Es sei nicht so, als könnten sie sich vor Patienten nicht retten, formuliert er. Die Nachfrage sei moderat, meist kämen jene zwischen 30 und 50 Jahren, die Erwerbstätigen, die wieder arbeiten gehen wollten. „Die Strukturen sind mittlerweile sehr professionalisiert worden, vor allem die Zuweisungen über die Rentenversicherung funktionieren gut“, sagt Schäfer. „Wichtig ist vor allem, dass der Antrag des Haus- oder Facharztes so genau wie möglich ausgefüllt ist.“ Schließlich hängt davon die Therapie und damit die Wahl der Klinik ab.

Erstmals wieder ein Buch gelesen und die Handlung erinnert

Bis März wird Corina Stehl noch in Bad Berleburg bleiben, danach hofft sie auf eine Wiedereingliederung und dass sie vielleicht halbtags wieder arbeiten können wird. „Ich habe es fast geschafft“, sagt sie siegesgewiss. Seit November ist es bei ihr langsam besser geworden. Ein einschneidendes Erlebnis war, als sie ein Buch bis zum Ende las und noch wusste, worum es ging. Es sei nichts Anspruchsvolles gewesen. „Was von Lotte Minck“, sagt sie und kramt im Gedächtnis nach dem Titel. „Der Tote im Pool“, sagt sie. Das Buch von Lotte Minck, das sie meint, heißt: „Cool im Pool.“

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Dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Dr. Max Liebl, zufolge spricht man von einem Post-Covid-Syndrom, wenn Patienten mehr als drei Monate nach einer Infektion noch Krankheitssymptome zeigten. „Je nach Quellen“, so der Oberarzt an der Berliner Charité, liegt bei „bis zu 10 bis 15 Prozent der Patienten, die an Covid-19 erkrankt waren, ein Post-Covid-Syndrom“ vor.

„Auch milde Verläufe können anhaltende Einschränkungen der Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit zur Folge haben“, so Liebl weiter. Allerdings fehlten bislang flächendeckende und fächerübergreifende Angebote und Konzepte für Behandlung und Rehabilitation. Daher hätten Hausarztpraxen derzeit eine große Bedeutung. Bei längerfristigem Rehabilitationsbedarf seien aber Netzwerke wichtig. Vielerorts entstünden solche gerade, auch mit Beteiligung von Reha-Ärzten.

„Die Kostenträger sehen den Bedarf und bewilligen die Leistungen“, so Christof Lawall von der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Rehabilitation (DEGEMED). Sie müssten aber bereit sein, „mehr Geld in die Hand zu nehmen, weil die Rehabilitation im Schnitt länger dauert und deutlich aufwendiger ist“.

Zu Beginn der Pandemie waren es vor allem Reha-Einrichtungen für Atemwegserkrankungen, die sich um Corona-Erkrankte gekümmert hätten, so Lawall. „Inzwischen nehmen auch Einrichtungen mit anderen Behandlungsschwerpunkten Patienten mit Post- oder Long-Covid auf. Einfach, weil der Bedarf da ist.“ Patienten sollten sich nicht scheuen, so Lawall, das Thema Reha von sich aus und schon während oder kurz nach einer überstandenen Corona-Infektion beim Haus- oder Facharzt anzusprechen. (

Infos laut DEGEMED: deutsche-rentenversicherung.de