Schwelm. Domenique Köster will es mit Immobilien weit bringen. Dann merkt sie, dass sie Knöpfe glücklicher machen. Wie Zufall und Mut ins Glück führen.

Die Ware der ausgelaufenen Kollektion hat Dominique Köster (35) stark reduziert. Ein Kaschmir-Seide-Gemisch in Beige, Rosa und Hellblau zum Stricken von Pullovern und Decken: das Wollknäuel für unter fünf Euro. Oder Bio-Baumwolle in Pink, Petrol und Creme-Weiß für unter zwei Euro. Aber die ältere Dame, die gerade den Nähladen „SchwaaBa“ in Schwelm betritt, braucht etwas anderes: „Knöpfe“, sagt sie. Die gibt’s ab 38 Cent das Stück.

Stipendium für die Elite-Universität in Harvard

„Bei mir“, sagt Dominique Köster, die alle nur Dodo nennen, „ging es eigentlich immer nur Vollgas um Karriere.“ Deswegen hat sie Immobilienkauffrau gelernt, deswegen studierte sie anschließend Real Estate Management in Bochum und erhielt ein Stipendium für die Elite-Universität Harvard in Boston, pendelte für den Master zwischen den USA, Hongkong, Shanghai, London und Regensburg, arbeitete während des dualen Studiums bei angesehenen internationalen Firmen mit. Sie sah sich irgendwann im Vorstand eines großen Unternehmens.

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Und jetzt? Hat sie diesen Stoff- und Knopfladen nahe der Schwelmer Innenstadt, in den Leute gehen, die gern nähen. Ein Leben, wie es eher selten verläuft. Eine Geschichte von Zufall und Mut, die ins Glück führen.

Millionenschweres Projekt Südstadt in Hattingen

Jeden Tag zwängt sie sich in ein Kostüm. So beschreibt sie ihr altes Leben. Sie beißt sich in einer männerdominierten Branche durch, wird als junge Frau bei einer Hattinger Immobilienfirma angestellt und mitverantwortlich für das millionenschwere Projekt Südstadt: Tausende Wohneinheiten, die als Teil der Stadtentwicklung saniert werden sollen. Die Eltern hatten gewollt, dass sie was Solides macht. „Häuser gibt es überall auf der Welt“, sagt sie sich damals.

Die Laufbahn war auf den Weg gebracht. Sie wollte unabhängig sein, auf eigenen Füßen stehen.

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Karriere, was sonst? Von den Ärzten hat sie längst die Gewissheit, dass sie keine Kinder bekommen könne. Es passt ganz gut zu ihr, dass sie sich auch das nicht vorschreiben lässt. Denn plötzlich ist sie schwanger. 2013 kommt ihr erster Sohn zur Welt. „Das war das pure Glück. Alles andere wurde plötzlich unwichtig.“ Sie denkt viel nach. Schnell ist ihr klar, dass sie nicht zurück in ihren alten Beruf will. Spätestens als 2015 ein Brüderchen folgt.

„Ich hatte nie die Absicht, einen Nähladen zu kaufen“

„Ich hatte nie die Absicht, einen Nähladen zu kaufen“, sagt Dodo Köster und macht eine einladende Geste in ihren Laden, der mit seinen Stoffen und Farben ein kleiner Abenteuerspielplatz zu sein scheint, in dem eigentlich nur ein Äffchen namens Herr Nilsson fehlt: „Das hier macht mir Spaß. Das bin ich. Wenn ich von allem die Nase voll habe, gehe ich abends hierher und nähe.“

Dodo Köster lacht viel und duzt alle, das hat sie aus dem Ausland mitgebracht, weil es ihr gefiel, weil es Nähe schafft und Offenheit verrät. Von überall, sagt sie, nimmt sie das Beste mit. Wie aus ihrem früheren Leben. „Wenn ich das nicht gemacht hätte, wüsste ich nicht, dass es nicht das Richtige für mich war.“

Ein Nähladen in Schwelm: Was soll der schon abwerfen?

Als die Kinder auf der Welt sind, fängt sie an, noch mehr zu nähen als ohnehin schon. Und weil sie das gut kann, zeigt sie einer Freundin, wie aus Stoff eine Babymütze wird. Dann zwei Freundinnen, dann vier. Plötzlich gibt sie Kurse und meldet dafür ein Gewerbe an.

Sie besorgt ihre Stoffe in dem Laden, der heute ihr gehört. „Kauf den Laden doch“, sagen die Besitzer, als sie mal wieder da ist – halb im Ernst, halb im Spaß antwortet sie: „Klar, zeigt mir mal die Zahlen.“ Sie geht davon aus, dass sich die Sache dann von allein erledigt. Im Ernst: ein Nähladen in Schwelm, was soll der schon abwerfen? „Aber die Zahlen waren gut.“ Zwei Wochen später sagt sie zu ihrem Mann: „Wir kaufen einen Nähladen.“ Genauer: das ganze Haus mit den Mietwohnungen. 2018 war das.

Kinderkurse und Kindergeburtstage in ihrem Nähladen

„Ich wusste aber auch, dass ich allein von der Oma, die sich eine Garnrolle im Laden kauft, nicht werde leben können“, sagt sie. Sie will das Nähen einem breiteren Publikum näherbringen – und präsentiert sich und ihren Laden sehr unterhaltsam auf Social Media: mal lustig, mal mit einem Augenzwinkern, mal informativ. „Viele denken, dass Nähen was für alte Leute ist. Das stimmt aber überhaupt nicht.“

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Kinderkurse gibt sie, und Kindergeburtstage kann man auch bei ihr feiern. Jeden Tag – außer sonntags - werden Kurse gegeben. Einen Onlineshop hat sie etabliert. „Was ich auf Social Media gemacht habe, hat anderen Ladenbesitzern und Influencern so gefallen, dass sie mich angesprochen haben, ob ich ihnen nicht helfen kann“, sagt sie.

Zweites Standbein: eine Kreativagentur

Deshalb gründet sie eine zweite Firma namens Katchd, eine Kreativagentur, die Kunden aus allen Branchen beim Auftritt auf Social Media hilft: Kleinunternehmer aus der Selbstmacherszene, Restaurants, Hotels, Start-ups, Handwerker. 15 Mitarbeiter hat Dodo Köster in ihrem Nähladen und der Agentur, manche arbeiten in beiden mit. Das sei ja das Hauptthema für alle: Mitarbeiter zu finden. „Ich habe 100 Prozent Vermittlungsquote.“

Im Schneidersitz hockt Dodo Köster auf einem der Tische in ihrem Laden. Sie sagt Sachen wie: „Ich denke immer: Einfach mal machen, könnte ja gut werden.“

Zerrissenheit zwischen Berufstätigkeit und Mama-Sein

Sie sei ein rastloser Mensch. Sie arbeite gern, sagt sie, wolle aber natürlich auch eine gute Mama sein. „Da bin ich manchmal innerlich zerrissen, weil ich Mama-Sein vielleicht auch anders definiere als andere.“ Manchmal wird sie unter ihren Postings gefragt, wo sie denn nun schon wieder sei und wer nach den Kindern schaue. „Klar bin ich viel unterwegs, aber die Zeit, die ich mit den Kindern verbringe, gehört auch nur ihnen: dann spielen wir was oder machen Ausflüge.“

Die Karriere, die sie erfolgreich angefangen hat, hat sie durch eine zweite ersetzt. Sie hat zu sich gefunden. „Es wäre der leichtere Weg gewesen, in der alten Branche zu bleiben. Da habe ich gutes Geld verdient“, sagt sie. „Aber ich habe gemerkt, was mich ausmacht und was mich erfüllt. Wenn ich nicht kreativ sein kann, dann schnürt mir das die Luft ab“, sagt sie.

Was andere denke, ist egal

Wo sie heute wäre, wenn sie ihre Karriere fortgesetzt hätte? Wenn sie weiter mit großen Projekten zu tun hätte und nicht mit Knöpfen? Das weiß sie nicht. Darüber denkt sie auch nicht nach. Sie ist glücklich, wie es ist. Das reicht ihr. Freunde und Familie hätten ohnehin gewusst, dass man ihr eine Idee, die sie sich in den Kopf setzt, nicht ausreden könne. Und alle anderen? „Ich muss nicht protzen und etwas zur Schau stellen. Was andere über mich denken, ist mir völlig egal.“