Siegen. Die Kolumbariumskirche Siegen ist ein Pilotprojekt. Hier baut Irmtrud von Plettenberg eine neue Art von Trauerpastoral auf. Warum ist das nötig?

Was kommt nach dem letzten Weg? Wer einen Angehörigen verliert, soll heute schnell wieder funktionieren. Orte der Stille, der Begegnung, des Gesprächs gibt es kaum. Irmtrud von Plettenberg kümmert sich um Menschen, die mit einem Verlust fertig werden müssen. Die Trauerbegleiterin und ihr Team haben die Kolumbariumskirche Siegen-Weidenau mit aufgebaut und dort für das Erzbistum Paderborn eine Trauerpastoral entwickelt. „Die Toten zu bestatten und die Trauernden zu begleiten, das ist eines der Werke der Barmherzigkeit“, sagt sie.

Im Kolumbarium sind alle willkommen, die ein christliches Begräbnis akzeptieren, ob Mitglied einer Kirche oder ausgetreten. „Ich bekomme sehr viele Formen von Bestattungen mit. Für mich als Trauerbegleiterin ist maßgeblich, wie die Menschen in dieser Schleusenphase zwischen Tod und Bestattung begleitet werden.“

Schleusenphase zwischen Tod und Bestattung

Die große Heilig-Kreuz-Kirche in Weidenau wurde nach einem radikalen Umbau Ostern 2021 als Kolumbariumskirche eingeweiht. Das Kolumbarium ist aufgebaut wie ein antiker Urnenfriedhof. Wer in den Gottesdienstraum will, muss das Gräberfeld durchqueren. So soll der Tod mitten ins Leben geholt werden. Beide Bereiche werden von einem monumentalen Glasgemälde getrennt, das die Auferstehung symbolisiert und von dem Künstler Prof. Thomas Kesseler geschaffen wurde.

Keine Schubladen

Der letzte Weg ist eben für Christen nicht das Ende. Danach kommt noch etwas. „Aber man sollte die Auferstehung nicht als fromme Soße über dem Leid der Trauernden auskippen. Viel wichtiger ist es, achtsam zu gucken, wo die Bibel eine haltgebende Botschaft gibt. Das Christentum lässt sich nicht in eine Schablone pressen. Der drohende und richtende Gott spielt bei den Trauernden nicht mehr eine solche Rolle wie früher. Eher geht es um die Frage: Gibt es da überhaupt noch was? Zweifel können da sein, um daran Halt zu finden. Das ist ja das Tolle an der Bibel, dass sie mit so vielen unterschiedlichen Bildern versucht, das ewige Heil zu beschreiben.“ Der Karfreitag mit seinem Leid zeigt die Perspektive von Ostern. „Oft schweigen wir ganz viel zusammen. Die Sprachlosigkeit des Karsamstags ist in der Trauerpastoral ganz wichtig.“

Die Urnengräber sind so gestaltet, dass sie Bänke bilden, auf die man sich setzen und seiner Toten gedenken kann. Dort sitzt auch Irmtrud von Plettenberg gerne, die Eingangstür im Blick, die Auferstehung im Rücken, und lädt die Besucher ein, mit ihr ins Gespräch zu kommen, wenn diese das mögen. Dort kommen aber auch die Besucher miteinander ins Reden. „Ich erlebe Trauer völlig unterschiedlich. Trauer ist individuell. Es ist wichtig, die Unterschiedlichkeiten zuzulassen.“

Kein Ort mehr für Trauer

Trauerpastoral ist ein noch recht junger Bereich der Gemeindearbeit. Früher wurden Trauernde in ihren Familien aufgefangen und unterstützt, feste Rituale wie das Tragen von schwarzer Kleidung über einen bestimmten Zeitraum hinweg ermöglichten den nötigen Schutzraum. Heute müssen Menschen, die einen Angehörigen verloren haben, bald wieder funktionieren. Arbeitskollegen oder Bekannte wissen kaum, wie sie mit der Situation umgehen sollen, das Umfeld kommt schnell wieder im Alltag an, während für den Trauernden die Welt noch ganz verschoben ist. Deshalb sind Gesprächsangebote so wichtig. „Früher waren Trauernde in den ersten sechs Wochen unberührbar. Ich begleite im Moment eine Frau, die sagt, sie hat erst jetzt am Arbeitsplatz gemerkt, wer alles verwitwet ist. Die Trauer ist aus den Häusern rausgenommen. Heute machen Bestatter alles. Moderne Bestatter ermöglichen den Hinterbliebenen, möglichst viel selbst zu machen. Das hilft beim Begreifen.“

Nassgeweinte Teddys

Zu den empfindlichsten Momenten der Trauerbegleitung gehört der Umgang mit Kindern. „Ich habe hier in der Kirche eine Nische, wo es Kinderbücher zum Thema Sterben gibt, da kann man sich bedienen, sie mit nach Hause nehmen und irgendwann wieder mitbringen. Da sind auch zwei Kuscheltiere, denen ich meine Tränen erzählen kann. Die müssen oft in die Waschmaschine.“

Irmtrud von Plettenberg ist im Haus ihrer Familie in Finnentrop-Lenhausen aufgewachsen. Die Religionspädagogin war Gemeindereferentin in Schwerte, Herne, Hagen und Schmallenberg, bevor sie nach Siegen berufen wurde, um eine Trauerpastoral aufzubauen. Siegen ist eine von zwei Kolumbariumskirchen im Erzbistum Paderborn und die einzige, wo Trauerpastoral einen so großen Schwerpunkt bildet. „Wir müssen Kirche heute noch mehr in die Richtung denken: Sind wir bei den Menschen überall dort, wo Wunden sind? Da kann ich nur da sein und begleiten. Jesus hat sich von Thomas in die Wunden greifen lassen, er hat sich begreifen lassen. Weil ich selbst Tod, Trauer und Verlust erlebt habe, kann ich nahe dran sein.“

Trauerkultur im Wandel

Der Umgang mit den Toten ändert sich. Kolumbarien und Ruheforste ersetzen die traditionellen Grabstätten. Warum braucht man alternative Bestattungsmöglichkeiten? „Weil die Angehörigen nicht mehr an dem Ort wohnen, wo die Gräber sind. Und weil Friedhöfe heute oft kleine Gartenausstellungen sind, und dieser Wettstreit hat es vielen jungen Leuten verleidet.“ Auch in die Kolumbariumskirche Siegen kann man seinen Liebsten ein Blümchen mitbringen. Abstellen muss man es allerdings auf der Insel der Begegnung, wo auch die Kerzen angezündet werden.

Im Angesicht des Todes sind alle Menschen gleich. Und trotzdem machen Armut und Not auch die Angst vor dem Tod schwer. „Hierhin kommen Menschen, die wissen, dass sie sterben. Die reservieren ihre Grabstätten. Jeder soll hier die letzte Ruhe finden können, auch Wohnungslose. Deshalb haben wir unter anderem eine Kollekte für Sozialbestattungen. Es geht darum, dass jeder Einzelne eine würdige Bestattung bekommen kann, und zwar möglichst selbstbestimmt und nicht nur das Preiswerteste. Gott sortiert nicht nach Portemonnaie. Jeder Mensch hat eine Würde.“

Bitte keine achtlosen Sprüche

Als Trauerbegleiterin verzichtet Irmtrud von Plettenberg auf achtlose Sprüche und falsche Trostfloskeln. Kopf hoch, das wird schon wieder. Es war doch eine Erlösung für ihn/sie. „Man kann sich nicht auf diese Situation vorbereiten. Für mein Empfinden ist es ganz wichtig, da zu sein, mit Tränen, mit allem, und Mut zu machen, sich selbst sein zu können.“

Kontakt: 0271 77006233 oder www.kolumbariumskirche-siegen.de