Schmallenberg. Der Wald ist verschwunden. Ein Kunstprojekt will Trauerarbeit leisten. Warum die Aktion ein riesiges Netzwerk ist.

Die grünen Wälder auf den Hügelkuppen waren das Markenzeichen des Sauerlandes. Nun sind sie weg. An ihre Stelle treten braune Mondlandschaften, aus denen Baumstümpfe ragen wie abgebrochene Zahnstummel. Der Anblick rührt einen schier zu Tränen. Wie werden die Bürger damit fertig, dass ihr Wald plötzlich verschwunden ist? Diese Frage untersucht das Kunstprojekt „Das Brotbaumregime“ in unterschiedlichen Aspekten und Formaten. Als erste von vier Stationen ist jetzt eine Ausstellung in der Südwestfälischen Galerie in Schmallenberg-Holthausen zu sehen.

Fichte sticht, Tanne nicht

Die Videoinstallation „Anabiosis“ von Daniel Almagor (Arnsberg/Hamburg).
Die Videoinstallation „Anabiosis“ von Daniel Almagor (Arnsberg/Hamburg). © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Kuratorin Theresa Kampmeier lebt als freischaffende Künstlerin in Berlin. Ein Heimatbesuch in Arnsberg hat die Idee einer Aktion zur Sauerländer Waldkultur ausgelöst: „Der Fichtenwald ist für mich immer ein besonderes Zuhause gewesen. So etwas wie diese riesige, aufgewühlte Kahlfläche hatte ich in meinem ganzen Leben noch nie bewusst wahrgenommen. Wald war bis dahin etwas für mich, das viel beständiger ist als ich, mein Umkreis, die Gesellschaft.“ Bei ihren ersten Überlegungen hat Theresa Kampmeier schnell viele Mitstreiter gefunden, darunter die Kulturbüros in Arnsberg, Brilon und Schmallenberg sowie das Festival Spiritueller Sommer, aber auch Forstämter und Waldbauern.

Rasch war klar, dass man sich dem Thema nicht mit herkömmlichen Konzepten annähern kann, sondern dass es darum geht, Blickwinkel auf eine Fülle von Aspekten und Positionen zu ermöglichen. So steht denn jetzt die Führung mit dem Ranger neben der Kunstaktion und das internationale Konzeptkunstwerk neben den Fotos und Erinnerungen von Bürgern vor Ort. Das Ziel ist: Trauerarbeit für den verschwundenen Wald zu leisten. Die erste Resonanz bestätigt Theresa Kampmeier und ihr Team. Es gibt ein großes Bedürfnis, über den Waldverlust zu reden, sich auszutauschen. Der verschwundene Wald ist eine Wunde im Alltag vieler Menschen.

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Nicht mit dem Zeigefinger

Die Gleichzeitigkeit der Medien und Erzählweisen spiegelt sich in der Ausstellung in Holthausen. Erläuternde Wandtexte sucht der Besucher vergebens, stattdessen gibt es eine gute gemachte Infobroschüre. Die Inhalte sollen möglichst wenig belehrend im Gefälle zwischen Expertinnen versus Besuchern vermittelt werden, sondern auf Augenhöhe im Gespräch. Viele Exponate lassen sich über QR-Codes digital vertieft erkunden. Positionen von Zeitzeugen und von Fachleuten unterschiedlicher Richtungen werden mit Videointerviews eingebunden. Dazu gibt es regionale dokumentarische Archivalien. Und, ganz großes Kompliment: der Erläuterungstext ist auch in leichter Sprache verfügbar.

Die geflochtene Lehmhütte ist sicherlich das spektakulärste Exponat in Holthausen. Auch der Boden ist aus Lehm, hier sollen die Gäste Mutter Erde möglichst nahe kommen. „Die Arbeit der Künstlerin Tabita Rezaire aus Französisch Guyana in Südamerika wurde schon im Gropius-Bau in Berlin gezeigt“, erläutert Theresa Kampmeier. Die Rauminstallation ist sorgfältig nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet. Im Inneren berichten vier Älteste auf Videos von ihrem Weg und ihren landwirtschaftlichen Tätigkeiten.“

Digitale Plastiknatur

Erhebliche Recherche steckt ebenfalls in der Videoarbeit „Anabiosis“ des jungen Künstlers Daniel Almagor (Arnsberg/Hamburg). Die Gäste betrachten einen Flügelaltar, auf dem ein utopisch-dystopischer Film zelebriert wird, eine Geschichte, deren Protagonisten sich in eine digitale Gesellschaft mit einem idealisierten Naturbild geflüchtet haben. Windräder sucht man in dieser Parallelwelt vergebens. Dafür findet man ein Paradies, ein Garten Eden aus Plastik, durch und durch künstlich und gemacht. Die Frage, die Almagor stellt, lautet: Wer erlöst uns eigentlich von unseren Erlösungsphantasien?

Die Künstlerin Yala Juchmann (Sundern/Berlin) wird für ihre Installation „Sediment und Kreatur“ zur Archäologin. Sie erforscht am Beispiel eines Steinbruchs nahe bei ihrem Elternhaus, was es heißen kann, im Wald aufzuwachsen und diese DNA als Spur im städtischen Leben zu verfolgen. Dabei spannt Yala Juchmann interessante Objekte zusammen: Baumhalterungen aus Stein, wie sie in Sägewerken eingesetzt werden und einen analogen Diaprojektor, der mit seinem Klacken den Raum erfüllt.

Liebeserklärung an den Wald

Der Maler und Bühnenbildner Gero Troike hat eine ganze Wand in sorgfältig abgestimmter Hängung mit kleinformatigen Gemälden zum Thema Wald gestaltet, einige Bilder hat er eigens für die Ausstellung geschaffen. Es ist eine Liebeserklärung an den Wald. Troike lebt im Forsthaus Rißmecke in Möhnesee, wo er sein Brennholz macht, von seiner letzten Gage an der Berliner Volksbühne hat er sich dafür einen kleinen Trecker gekauft. Der Wald bietet ihm Schutz und Wärme, er ist ihm Inspirationsquelle und seelische Heimat zugleich.

Am Schluss der Ausstellung ist die Wand der Erinnerung platziert. Knapp 100 Einsendungen haben die Kuratoren erhalten: Was verbindet ihr mit dem Wald? So lautete die Frage. Eingereicht wurden Fotos, Texte, Zeichnungen. Die Aktion läuft fort. Weitere Einsendungen an Annika Hester (annika@brotbaumregime.info). Aus den gesammelten Erinnerungen wird das Brotbaumteam eine Wanderausstellung bauen, die zum Beispiel in Rathäusern gezeigt werden soll. „Die Leute von hier können anderen Leuten erzählen, wie es sich anfühlt, wenn sich die Landschaft so radikal ändert“, begründet Theresa Kampmeier.

Riesige soziale Skulptur

Im Prinzip ist das ganze Brotbaumregime-Projekt eine riesige soziale Skulptur, ein vielstimmiges interaktives Netzwerk, das Menschen und Orte verbindet, das Kunstwerke ebenso anbietet wie Sägewerkführungen, Mountainbike-Touren oder Chorsingen. Die Ausgangsidee wird Schritt für Schritt als Erkenntnis zurückgespielt: Das Verschwinden des Waldes ist nicht nur wirtschaftlich und touristisch, sondern auch psychisch für den Einzelnen eine große Not.

Alle Termine: www.brotbaumregime.info. Am 8. Juli, 15 Uhr, gibt es an der St. Rochuskapelle Eslohe ein „Abschiedslied an den Fichtenwald“, eine Choraufführung mit Gespräch. Weitere Ausstellungen folgen in Arnsberg und Brilon.