Schmallenberg. Mit einem neuen Blick auf die Leistungen des Ökosystems Wald will der Schmallenberger Hans von der Goltz den Wald vor dem Klimawandel retten.
Die Zahlen sind dramatisch. Nur noch rund jeder vierte Baum in NRW ist gesund. Der Wald stirbt. Die Fichte ist kaum noch zu retten, aber Trockenheit, Stürme und Schädlinge attackieren auch andere Baumarten. Schon fast jede zweite Buche weist einen deutlichen Verlust von Blättern auf. Der Wald ist Klimaschützer – und gleichzeitig eines der größten Opfer der Erderwärmung. Er muss gerettet werden – nur wie?
„Wir müssen mit der Natur wirtschaften und nicht gegen sie“, sagt Hans von der Goltz. Der Schmallenberger ist Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft und ehemaliger Chef des Forstamtes Oberes Sauerland. Während viele Grüne und Naturschutzverbände den Wald am liebsten komplett sich selbst überlassen wollen, ist von der Goltz davon überzeugt, dass nur ein ökologisch und ökonomisch verantwortungsvoller Bewirtschaftungskompromiss den Wald sichert. Sein Konzept heißt Dauerwald.
Wald ist eine Geduldsache
Menschen, die sich beruflich mit Bäumen beschäftigen, haben in der Regel viel Geduld. Eine Rotbuche braucht bis zu 150 Jahre, um 30 Meter groß zu werden. Das prägt. Der Begriff Dauerwald ist auch schon gut 100 Jahre alt, der Forstwissenschaftler Alfred Möller hat ihn 1920 erfunden. Als selbst Fachzeitschriften vor zehn Jahren noch von einem „prognostizierten Klimawandel“ schrieben, erhielt von der Goltz für seinen Einsatz schon das Bundesverdienstkreuz.
Jetzt ist der Klimawandel real, wie man auch im Sauerland auf vielen kahlen Flächen besichtigen kann. Und von der Goltz wirbt umso intensiver für den Dauerwald: bei Politikern, Naturschutzverbänden, Jägern, Waldbesitzenden sowie Bürgerinnen und Bürgern.
Dauerwald bedeutet:
- Nicht nur mehrere Baumarten leben auf einer Fläche, sondern auch alte und junge Pflanzen. Diese Strukturvielfalt stärkt ihre Widerstandskraft.
- Die Wälder werden weitgehend der natürlichen Regeneration überlassen.
- Bäume werden so entnommen, dass die Struktur des Systems nicht gefährdet wird; Kahlschlag ist ausgeschlossen.
- Damit Tiere die jungen Pflanzen nicht auffressen, müssen sie konsequent bejagt werden. Mischwald gelinge nur mit angepassten Wildbeständen, die es in Deutschland kaum gebe, sagt von der Goltz.
- Eingriffe des Menschen werden möglichst vermieden. Spaziergänger, Geocacher, Mountainbiker und Pilzsucher stören abseits der Waldwege das Ökosystem beträchtlich. Von der Goltz: „Das freie Waldbetretungsrecht außerhalb der Wege gehört auf den Prüfstand.“
- Das Holz wird so geerntet, dass Humus und Böden geschont werden.
Das ganze System zählt
Der 70-Jährige spricht von einem strukturreichen Wald mit einem kleinflächigen Wechsel von lichten und dunklen Stellen. „Es zählt nicht nur die Stabilität seiner Bäume, sondern die des gesamten Ökosystems“, sagt er. Das funktioniere nur mit auch ökologisch verantwortlicher naturgemäßer Bewirtschaftung, nicht durch Stilllegung. Denn dann würden einige Baumarten die anderen verdrängen.
All das klingt sehr vernünftig und nachvollziehbar. Und warum braucht dieses Konzept dann fast so lange wie das Leben einer Buche, um sich durchzusetzen? Weil es einen Paradigmenwechsel, also eine grundlegende Änderung des Blickwinkels, zur Folge hat. Jahrzehntelang, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, galt der Wald vor allem als Holzbeschaffer. Jetzt geht es nicht mehr primär um seinen Ertrag, sondern um seine pure Existenz.
Abhängig von den Einnahmen bleibt der Waldbesitz trotzdem. Doch im Dauerwald büßt der Holz-Verkauf an Bedeutung ein. Der Holzeinschlag sei zwar genauso hoch wie bisher, aber in Mischwäldern zu ernten sei aufwendiger als in Monokulturen. „Außerdem gehen wir alle fünf Jahre nur mit geringen Eingriffsmengen in den Wald, um sein Gefüge möglichst wenig zu belasten“, sagt von der Goltz. „Zehn Prozent des Holzvorrats lassen wir als Lebensraum für seltene Arten ungenutzt im Wald liegen.“
Überwachung per Satellit
Hier setzt er mit einem revolutionären Vorschlag an: Waldbesitzende sollen dafür Geld bekommen, dass sie den Wald als intaktes Ökosystem erhalten. Dafür wird ein Resilienzindex gebildet. So lässt sich etwa per Satellit ermitteln, wie stark ein Wald die Luft kühlt. Faustregel: je kühler, desto besser, weil widerstandsfähiger. Gemessen werden kann auch die Photosynthese-Leistung und die Biodiversität. „Je höher der daraus ermittelte Indexwert, desto höher die Geldleistung“, sagt von der Goltz. „Die Honorierung von Erfolgen auf dem Weg zum Dauerwald ist ein großer Motivationsfaktor für den Waldbesitz.“
Die Satellitenüberwachung sei technisch kein Problem, sagt von der Goltz. Er stehe bereits mit einem Spezialunternehmen in Kontakt. Landwirtschafts- und Umweltministerium in Berlin seien von der Idee des Dauerwalds angetan,viele Waldbesitzerverbände ebenfalls. Überprüft werden soll die Resilienz rein nach wissenschaftlichen Kriterien, „frei von menschlicher Interpretation“, sagt von der Goltz.
Mehr Förster nötig
Und weil der Forstexperte so ein geduldiger Mann ist, lässt er sich auch von möglichen Problemen nicht abschrecken: Die Reviere der Förster müssten deutlich verkleinert werden, damit sie sich wieder besser um den Wald kümmern könnten, sagt er. Heißt: Es müssen neue Stellen geschaffen werden. Zudem müssten die Jäger davon überzeugt werden, mehr Tiere zu schießen. „Ohne intensive Bejagung werden zwei Drittel der jungen Pflanzen aufgefressen. Dann kann ich den Mischwald vergessen.“
Ein bisschen Überzeugungsarbeit steht also noch an. Doch ein ganzes Buchenleben soll es nicht mehr dauern, bis der Dauerwald Realität wird. „Ich habe nicht den Anspruch, alles auf 100 Prozent der Waldfläche in Deutschland umzusetzen“, sagt der Schmallenberger. „30 Prozent wären ein guter Anfang.“ Mit Pilotprojekten will er starten. Beispielhafte Dauerwälder in Deutschland und anderen europäischen Ländern existieren bereits. Politische Entscheidungen könnten noch in dieser Legislaturperiode fallen, sagt er. In fünf bis sechs Jahren sei die Datenerfassung praxisreif.
Fünf bis sechs Jahre? Fast nur ein Wimpernschlag im Leben eines Waldes. Aber die Zeit drängt. Sonst tötet ihn der Klimawandel.