Lüdenscheid. Vor einem Jahr passierte es auf der Kirmes, nun in der Innenstadt: Zwei tödliche Vorfälle schockieren Lüdenscheid. Hinzu kommt eine Raubserie.

Er will seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Die Angelegenheit sei zu heikel, sagt er. Was der 65-Jährige aber verrät, ist, was ihm durch den Kopf ging, als er am Montag von dem erneuten tödlichen Vorfall in seiner Heimatstadt Lüdenscheid erfuhr. „Nicht schon wieder“, habe er sich gedacht, sagt der Passant, als er am Tag danach in der Nähe des Tatorts einkaufen geht.

Nicht schon wieder, der Gedanke dürfte manchem in Lüdenscheid vertraut sein. Am Nachmittag des 1. Mai wurde mitten in der Stadt ein 24-Jähriger durch einen Schuss tödlich verletzt – fast genau ein Jahr nach dem tödlichen Zwischenfall auf der Steinert-Kirmes, als im Zuge eines Streits ein Unbeteiligter zu einem tragischen Zufallsopfer wurde. Die Kirmes startet in eineinhalb Wochen wieder. Dass es gerade jetzt erneut zu einem tödlichen Schuss kam, ist vermutlich Zufall. Das fatale Ereignis wirft jedoch die Frage auf, ob in Lüdenscheid nicht grundsätzlich etwas aus den Fugen geraten ist, zumal es noch diese Raubserie gibt, die in Zusammenhang mit dem Kirmes-Vorfall stehen soll.

„Ich habe heute mit vielen Leuten gesprochen: Vielen geht sehr nah, was passiert ist, weil auch die Erinnerungen an das letzte Jahr sofort wieder hochkommen. Unvorstellbar, dass so etwas zweimal hier passiert. Natürlich leidet das Sicherheitsgefühl dadurch“, sagt Lüdenscheids Bürgermeister Sebastian Wagemeyer (SPD).

Nachdenklich: Lüdenscheids Bürgermeister Sebastian Wagemeyer zeigt sich von dem neuerlichen tödlichen Vorfall in seiner Stadt tief betroffen.
Nachdenklich: Lüdenscheids Bürgermeister Sebastian Wagemeyer zeigt sich von dem neuerlichen tödlichen Vorfall in seiner Stadt tief betroffen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Die Verunsicherung ist groß

Dienstagnachmittag, Brighouse Park, eine kleine Grünanlage mit Spielplatz in der Lüdenscheider Innenstadt. In der Nähe liegt die Fußgängerunterführung, die von der Polizei als Tatort des tödlichen Schusses vom Maifeiertag angegeben wird. Beate Tinz aus Lüdenscheid ist mit ihren drei Kindern im Park. Die Kinder lachen beim Spielen, Beate Tinz aber ist nachdenklich gestimmt. „Schrecklich“, sagt die 36-Jährige über den tödlichen Vorfall vom Vortag, „ich finde es total schlimm. Ich habe Angst, meine Kinder alleine weggehen zu lassen.“ Ähnlich besorgt äußert sich der Mann, der anonym bleiben möchte: „Man geht mit einem beklemmenden Gefühl durch die Stadt.“

Die Sorgen in Lüdenscheid – der Stadt, die durch die Sperrung der Rahmedetalbrücke auf der A 45 ohnehin zu kämpfen hat – sind groß. Und die Verunsicherung ebenfalls. Auch, weil die Umstände des jüngsten tödlichen Zwischenfalls noch unklar sind. Am Dienstagnachmittag teilte die Staatsanwaltschaft Hagen mit, dass zwei in der Nähe des Tatorts festgenommene 15- und 18-Jährige wieder freigelassen worden seien, weil sich der dringende Tatverdacht nicht erhärtet habe. Wie aus Ermittlerkreisen zu hören ist, tappt man bei der Suche nach einem Täter aber nicht im Dunkeln.

Am Tatort in Lüdenscheid herrscht am Tag danach wieder Innenstadt-Normalität. 24 Stunden zuvor war dort der 24-Jährige laut Polizei zunächst lebensbedrohlich verletzt worden, später sei der junge Mann, bei dem es sich um einen Syrer handeln soll, im Krankenhaus gestorben. Zeugen hatten am Montagnachmittag den Notruf alarmiert und eine verletzte Person in der Fußgänger-Unterführung gemeldet. Eine Mordkommission ermittelt.

Anklageerhebung im Kirmes-Fall steht bevor

In der Fußgängerunterführung sind drei Überwachungskameras zu sehen. Ob Videoaufnahmen Details zum Tathergang zeigen, wollten die Ermittler am Dienstag nicht verraten. Auch zu dem Ergebnis der Obduktion des Leichnams, dem Verbleib der Tatwaffe oder den Umständen der Tat beziehungsweise dem aktuellen Ermittlungsstand wurden keine weiteren Auskünfte erteilt.

Vorbehaltlich der weiteren Ermittlungsergebnisse erinnert der Fall in manchen Punkten an das tragische Ereignis im Vorjahr. Damals, am 21. Mai 2022, waren auf der Steinert-Kirmes bei einem Streit mehrere Schüsse gefallen – wohl im Zuge einer Auseinandersetzung zwischen einer Gruppe junger Männer im Alter zwischen 16 und 20 Jahren mit einem Jugendlichen, der seinen Vater zur Hilfe rief. Eine Kugel erwischte damals einen unbeteiligten 40-Jährigen im Bauch. Das Zufallsopfer – ein sudanesischer Asylbewerber – verblutete wohl.

Damals wurden, ähnlich wie heute, recht schnell zwei Teenager (16) festgenommen, aber auch schnell wieder freigelassen. Inzwischen wird ein heute 18-jähriger Marokkaner beschuldigt, für den tödlichen Kirmes-Schuss verantwortlich zu sein. Der junge Mann war Anfang Februar zusammen mit drei Syrern wegen einer Serie von Raubüberfällen in Lüdenscheid, Hagen und andernorts verurteilt worden (zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren). Wie im Laufe dieses Verfahrens vor dem Landgericht Hagen bekannt wurde, wird der 18-Jährige aus den Reihen seiner Mitangeklagten bezichtigt, den fatalen Schuss auf der Kirmes abgegeben zu haben. Mit einer Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft Hagen ist zeitnah zu rechnen, auch wenn von der Tatwaffe jede Spur fehlen soll.

Tatort Steinert-Kirmes: Im Vorjahr kam auf dem Volksfest in Lüdenscheid ein Asylbewerber aus dem Sudan durch einen Schuss ums Leben.
Tatort Steinert-Kirmes: Im Vorjahr kam auf dem Volksfest in Lüdenscheid ein Asylbewerber aus dem Sudan durch einen Schuss ums Leben. © dpa | Markus Klümper

Sicherheitskonzept wurde angepasst

Wie aus Ermittlerkreisen zu hören ist, soll eine Verbindung jener beiden Fälle zu dem tödlichen Schuss vom Maifeiertag unwahrscheinlich sein. Dennoch rückt der Vorfall das Thema Sicherheit in den Fokus – wenige Tage vor dem Beginn der Steinert-Kirmes 2023.

Der Veranstalter des Volksfestes, der Bürger-Schützen-Verein Lüdenscheid, erklärt, dass man wegen des Vorfalls im Vorjahr das Sicherheitskonzept angepasst habe. So kämen nun vier statt zwei Security-Mitarbeiter zum Einsatz. „Wir werden dafür sorgen, dass sich die Leute wohl und sicher fühlen auf der Kirmes“, sagt Thomas Jacob, der Vorsitzende der Bürger-Schützen.

Und Bürgermeister Wagemeyer kündigt an: „Ich bin sehr sicher, dass wir ein vernünftiges Sicherheitskonzept für die Kirmes haben. Wir als Stadt Lüdenscheid werden uns das in der kommenden Woche noch einmal vorstellen lassen. Ich bin davon überzeugt, dass die Polizei noch ein bisschen wachsamer sein wird und womöglich die Präsenz erhöhen wird, um den Bürgern die Sorgen zu nehmen.“