Hagen/Lüdenscheid. Ein Mann geht zur Kirmes – und wird im Getümmel niedergeschossen. Der Todesschütze flieht. Nun könnte er in anderer Sache vor Gericht stehen.

Am Mittwoch geht es vor dem Hagener Landgericht weiter, dann steht der zweite Verhandlungstag in dem Verfahren gegen eine Jugendbande an, der eine Serie von zum Teil brutalen Raubüberfällen in Lüdenscheid und Umgebung vorgeworfen wird. Das ist aber nach Informationen dieser Zeitung noch nicht alles: Aus den Reihen der Angeklagten soll auch der Todesschütze der Lüdenscheider Kirmes kommen. Dort war im Mai bei einem Streit ein unbeteiligter Mann aus dem Leben gerissen worden. Ein Zufallsopfer.

Einer der vier Beschuldigten, die sich derzeit vor der 1. Großen Jugendstrafkammer am Landgericht Hagen unter anderem wegen besonders schweren Raubes zu verantworten haben, soll aus den Reihen seiner Mitangeklagten bezichtigt werden, auch für den tödlichen Schuss auf dem Volksfest verantwortlich zu sein. Diesen Vorgang bestätigen mehrere Quellen, auch wenn sich dazu weder Staatsanwaltschaft noch die beteiligten Anwälte äußern wollen.

Kugel durchschlug wohl Magen, Zwerchfell und Milz

Die neue Entwicklung ist ein wichtiges Puzzleteil bei der Aufklärung des tödlichen Kirmes-Vorfalls. Vor sieben Monaten waren bei einem Streit auf dem Fest mehrere Schüsse gefallen. Eine Kugel erwischte einen unbeteiligten 40-Jährigen im Bauch, durchschlug, so heißt es, Magen, Zwerchfell und Milz. Das Opfer – ein Asylbewerber aus dem Sudan – verblutete wohl, möglicherweise auch deshalb, weil in der unübersichtlichen Situation zunächst nicht klar war, dass und wie schwer der Mann getroffen worden war. Insgesamt wurden neun Hülsen am Tatort gefunden. Dass es damals unter den Kirmesbesuchern keine weiteren Opfer gab, war wohl pures Glück.

Der Ende November gestartete Prozess wegen der Raubüberfälle soll nun auch für Bewegung in dem Kirmes-Fall gesorgt und die Gesprächsbereitschaft der Angeklagten, die in Untersuchungshaft sitzen, vergrößert haben. So ist aus Ermittlerkreisen zu hören, dass es eine „glückliche Fügung“ sei, dass beide Fälle einer Gruppierung zugeordnet werden könnten.

Die Gruppe der Verdächtigen ist teils minderjährig, wird aber dennoch als „durchaus gefährlich“ beschrieben. Unter ihnen soll es einen organisierten Zusammenhalt geben. Bei einigen der Raubüberfälle, etwa auf eine Fast-Food-Filiale, hatten Überwachungskameras ihr Vorgehen aufgezeichnet. Auch nach dem tödlichen Schuss auf der Kirmes waren die mutmaßlichen Täter gefilmt worden, beispielsweise an einer Tankstelle in der Nähe des Tatortes. Des Weiteren wurden die Ermittler durch Chatverläufe und Handy-Standortdaten auf die Spur der Beschuldigten gebracht, auch Spürhunde kamen zum Einsatz. Was allerdings nach wie vor ungeklärt ist, ist der Verbleib der Tatwaffe.

Zwei Wochen nach dem tödlichen Schuss bei der Kirmes in Lüdenscheid hatte die Polizei eine Wohnung durchsucht und einen Heranwachsenden vorläufig festgenommen. Der Jugendliche wurde noch am selben Tag wieder entlassen.
Zwei Wochen nach dem tödlichen Schuss bei der Kirmes in Lüdenscheid hatte die Polizei eine Wohnung durchsucht und einen Heranwachsenden vorläufig festgenommen. Der Jugendliche wurde noch am selben Tag wieder entlassen. © dpa | Markus Klümper

Die Tatwaffe soll in Chatverläufen zu sehen sein

Fotos von der Waffe sollen in Chatverläufen der Beschuldigten zu sehen sein. In Ermittlerkreisen ist man hoffnungsvoll, die Pistole noch zu finden. Dies könnte der finale Schritt hin zur Aufklärung des Verbrechens sein, durch das ein Unschuldiger ums Leben gekommen war.

Rund um die Lüdenscheider Kirmes im Mai waren die Täter – die Rede ist von einer Gruppe von sechs jungen Männern im Alter zwischen 16 und 20 Jahren – zunächst offenbar mit einem Jugendlichen aneinandergeraten. Dieser hatte seinen Vater zu Hilfe gerufen. Im weiteren Zuge der Auseinandersetzung sollen dann, während sich die Täter entfernten, mehrere Schüsse abgegeben worden sein, aus einer scharfen Waffe und aus einer Schreckschusspistole. Einer davon wurde dem Zufallsopfer dann zum Verhängnis.

Wenige Wochen nach der Tat, im Juni, hatte die Polizei zunächst zwei 16 Jahre alte Verdächtige festgenommen, diese aber nach kurzer Zeit wieder auf freien Fuß gesetzt.

Den Angeklagten drohen mehrjährige Haftstrafen wegen Raubes

Unabhängig vom Ausgang dieses Falles drohen den Angeklagten für die Verübung der Raubüberfälle mehrjährige Haftstrafen. Den vier heute zwischen 18 und 22 Jahren alte Männern – drei Syrer, darunter zwei Brüder, und ein Marokkaner – wird vorgeworfen, zwischen Januar und Juni dieses Jahres in Lüdenscheid, Hagen und andernorts in unterschiedlicher Besetzung und teils mit unbekannten Mittätern Diebeszüge unternommen zu haben. In der Anklage ist von neun Fällen die Rede. Beute: gut 16.000 Euro.

Die Überfälle sollen zum Teil gewaltsam und bewaffnet über die Bühne gegangen sein, mit Messern und Schreckschusswaffen. Zu den Tatorten gehören neben einer Spielhalle in Hagen ein Juweliergeschäft, ein Schwimmbad, ein Paketshop, eine Tankstelle, ein Taxi und ein Kiosk (alle in Lüdenscheid), zudem erwähntes Fast-Food-Restaurant in Düsseldorf.