Dortmund. Pingo, Lebenskünstler und Model, bekam irgendwann eine Pocke. Warum hohe Gewichte so hilfreich sind und wie er sich zum neuen Pingo verwandelte.

Der Mann, den alle nur Pingo (lange Geschichte) nennen, wischt die Bilder auf seinem Handy zur Seite, bis er findet, was er sucht. Aufnahmedatum: 5. November 2021, ein Jahr her. Pingo im Profil fotografiert. 70 Jahre alt, graue Haare, Bart – und ein Bauch, der sich über den Hosenbund wölbt. Nicht furchtbar viel, aber eben so, dass sich sein Träger dicklich fühlt.

Pingo wird auch als Best-Ager-Model (Ü40) gebucht.
Pingo wird auch als Best-Ager-Model (Ü40) gebucht. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

„Guck dir die Pocke an“, sagt der Mann, der mit bürgerlichem Namen Hans-Peter Magduschewski heißt und so spricht, wie man da eben spricht, wo er wohnt: Dortmund.

In seinem Leben war er schon viel: einst Schulabbrecher, Gastronom und Bobfahrer, dann Unternehmer, Werbefilmer, Best-Ager-Model (Ü40) – und jetzt noch der lebende Beweis dafür, dass es niemals zu spät ist, die Pocke zu bekämpfen.

Auftraggeber findet: zu pummelig

Unförmig war er geworden, fand er. Seine Ex-Frau hatte ihn auf das Bäuchlein angesprochen. Und beim Model-Shooting in München schickten sie ihn nach dem ersten von mehreren gebuchten Tagen wieder nach Hause: Er sei zu pummelig. Das war die Zeit vor einem Jahr, in der er sich sagte, dass es so nicht weitergehen könnte.

Zwölf Monate später ist die Pocke weitestgehend verschwunden. Sieben Kilogramm Körpergewicht sind weg. Und das obwohl sieben Kilogramm Muskelmasse dazugekommen sind. „Kannste dir ausrechnen, was ich an Fett abgenommen habe. Ich habe wieder ein ganz anderes Körpergefühl und neue Muckis. Das ist wunderbar.“ Muckis? Wieso Muckis? Weil sie eine wichtige Rolle bei seiner Verwandlung zum neuen Pingo gespielt haben. In seiner Not rief er nämlich einen alten Kumpel an: Prof. Ingo Froböse, Gesundheitsguru und Präventionspapst an der Deutschen Sporthochschule Köln.

Dünne Beine und dicker Bauch

Der checkte Pingo durch, bestimmte Fitnesswerte und Körperfettanteil: 29 Prozent. Durchschnitt. Die Diagnose stand fest. „Das typische Problem, das Männer um die 60 haben: dünne Beine, dünne Arme, dicker Bauch.“ Wie ein Kastanienmännchen, sagt Pingo. So gewöhnlich das Problem, so ungewöhnlich der Pingo.

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Zwei Mal flog er wegen chronischer Renitenz von der Schule, machte eine Ausbildung an der Hotelfachschule, saß dann in Marokko kurzzeitig im Knast (lange Geschichte) und kam anschließend mit Anfang 20 „mittellos und demütig“ in Winterberg an.

Zwischenstation im Hochsauerland

Die Eltern – ursprünglich aus dem Ruhrgebiet – führten im Hochsauerland in den 70er Jahren ein Restaurant, das damals Bierbrunnen hieß und heute Kupferpfanne. Da half der Pingo mit. Und weil es in Winterberg eine neue Eisbahn gab, fuhr Pingo auch zehn Jahre lang Bob. Den Bob, der vom örtlichen Rotlichtetablissement gesponsert wurde (lange Geschichte). Ebenfalls damals Bobfahrer in Winterberg: Ingo Froböse.Dieser riet ihm nun also: ab ins Fitnessstudio und ran an die Gewichte! Säule 1 des Pingo-Programms. „Ab dem 60. Lebensjahr kommt es zu einem starken Abbau der Muskelmasse“, erklärt der Professor.

„Definiertere Muskeln“ als je zuvor im Leben: Hans-Peter Magduschewski bei einer Kraftübung mit den Tauen.
„Definiertere Muskeln“ als je zuvor im Leben: Hans-Peter Magduschewski bei einer Kraftübung mit den Tauen. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Sarkopenie, sagt der Fachmann. Aktive Zellmasse geht verloren, passive Zellen, insbesondere die Fettzellen, gewinnen die Oberhand. Folge: geringerer Energieverbrauch auch in Ruhe, dadurch „massiv verlangsamter Stoffwechsel“. Dadurch: Pocke.

10.000 Euro für fünf Tage Ibiza

Im Fitnessstudio war Pingo lange Jahre nicht, „obwohl ich eigentlich ein eitler Fatzke bin“, sagt er und lacht. 2015 erst war er zum Modeln gekommen, durch Zufall, wie so oft in seinem Leben.

Die Freundin einer seiner beiden Söhne hatte ein Shooting für eine Hotelkette auf Ibiza. Der Typ, der als Opa gebucht war, fiel aus. Sie hatte immer gefunden, dass Pingo modeln könne.

Anruf bei Pingo, ob er Zeit hätte, für fünf Tage nach Ibiza zu kommen. Er kam – und reiste mit 10.000 Euro mehr zurück nach Deutschland. Auch deswegen mag er sein neues Business.

Aber zurück zu den Gewichten: Mit 70 ran an die Hanteln? Echt jetzt? „Je oller, je doller“, sagt Froböse. Zumindest wenn gesundheitlich nichts dagegen spricht. Pingo übersetzt: „Wenn ich mit den Gewichten mehr als zehn Wiederholungen schaffe, sind sie zu leicht. Ich soll hohe Lasten bewegen, dafür weniger Wiederholungen machen.“ Zwei- bis dreimal in der Woche geht Pingo jetzt pumpen.

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Dazu macht er – Säule 2 – die Ausdauereinheiten, zu denen Froböse rät: dreimal in der Woche mindestens eine Stunde. Das kann ein strammer Spaziergang sein, eine Walking- oder Joggingrunde. Oder eine Fahrt mit dem Fahrrad, Pingos Leidenschaft.

Viel auf Reisen. Die Folge: Pocke

Lange Zeit verdiente er sein Geld als Unternehmer im Sportartikelbereich, Schuhe, Triathlonbekleidung, sowas. Aus Kalifornien brachte er schon in den 80ern neue Trends mit – und setzte sie später mit seiner eigenen Werbefilmfirma um.

Viel war er deswegen auf Reisen. Folge: Stress, Unterwegsessen. Auch deswegen: Pocke. Daher Säule 3: Ernährung. Froböse sind die Esspausen besonders wichtig, in denen wirklich nichts zu sich genommen wird außer Wasser, Tee oder schwarzer Kaffee. „Man muss Hunger zulassen, damit der Körper wieder lernt, auf den Speicher zurückzugreifen“, erklärt Froböse, der folgende Mahlzeiten verschreibt: Morgens energiegeladen, mittags nährstoffreich, abends eiweißreich.

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Pingo hält sich dran. Zum Frühstück macht er sich einen Smoothie aus gefrorenen Heidelbeeren, grünen Bananen, Weizenkeimen, Nüssen, Ahornsirup und veganem Eiweißpulver. Mittags gibt’s dann sowas wie Penne Arrabiata, um abends auf stärkehaltige Kohlenhydrate zu verzichten: kein Reis, keine Nudeln, keine Kartoffeln, kein Brot, dafür einen Tomatensalat mit Feta oder Gemüse aus dem Wok.

Spätestens 20 Uhr die letzte Mahlzeit

Meistens gönnt er sich sogar noch ein Eis als Dessert oder ein Gläschen Wein. „Niemals beides an einem Abend.“ Letzte Mahlzeit: spätestens 20 Uhr, lieber früher. An zwei Tagen in der Woche verzichtet er auf die dritte Mahlzeit gänzlich. Ist das nicht zu viel Askese? „Ich bin eine faule Sau. Ich hatte schon aufgegeben“, sagt Pingo über seine Pocke. Soll heißen: Wenn er es kann, kann es jeder. Wichtig sei, einen Plan zu haben und umzusetzen. „Ich habe nach vier Wochen schon die ersten Erfolge gesehen und gespürt. Dieses Glücksgefühl war Motivation genug.“

Seitdem hat ihn kein Auftraggeber mehr nach Hause geschickt. Die Ex-Frau wollte plötzlich genau wissen, wie er das gemacht hat. Und die Bilder im Profil sind auch wieder deutlich schmeichelhafter. „Ich habe jetzt“, sagt Pingo ungläubig, „deutlich definiertere Muskeln als je zuvor in meinen Leben.“